Hamburg. Jahrelang stand die Grenze fest – bis Corona. Bevor der Club Anteile verkaufen kann, muss Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Marcell Jansens Agenda für die vergangene Woche hatte vor allem einen Schwerpunkt: durchpusten. Der 34-Jährige wollte auf Mallorca ein paar Tage lang mal nur die Seele baumeln lassen und sich erholen. Von den Corona-Folgen für seine zahlreichen Unternehmensbeteiligungen. Von seinem privaten Umzug von Eppendorf nach Winterhude. Und natürlich auch von all dem HSV-Stress, den sein Doppelamt als Vereinspräsident und AG-Aufsichtsratschef so mit sich bringt.
Doch gleich zweimal machte Corona der geballten Erholung einen Strich durch die Rechnung. Einerseits durch die Reisewarnung des auswärtigen Amtes. Und andererseits beschäftigte den HSV-Präsidenten auch im Urlaub noch das große Corona-Interview mit Frank Wettstein, das der Finanzvorstand dem Abendblatt kurz vor Jansens Abflug gegeben hatte.
HSV: 24,9-Prozent-Grenze verankert
Besonders die Passage über eine mögliche Öffnung der 24,9-Prozent-Grenze. „Wenn wir in die Lage kommen, dass unser Eigenkapital pandemiebedingt aufgezehrt wird, dann müssen wir uns schon nach Alternativlösungen umschauen“, hatte Wettstein in dem Interview gesagt. „Und neue Investoren wären dann genauso ein möglicher Lösungsansatz wie die Möglichkeit, dass schon vorhandene Investoren ihre Anteile aufstocken.“
Zur Erinnerung: Beim HSV ist in der Satzung verankert, dass der Verein nicht mehr als 24,9 Prozent seiner Anteile verkaufen kann. Bislang wurden 23,8 Prozent veräußert, alleine 20,6 Prozent an die Kühne Holding AG von Milliardär Klaus-Michael Kühne.
Verkauft der HSV weitere Anteile? Jansen stützt Wettstein
Im Gespräch mit dem Abendblatt signalisiert Jansen Unterstützung für Wettsteins Überlegungen: „Der Aufsichtsrat hat maximales Vertrauen in den Vorstand. Wir wissen, dass der Vorstand alle Facetten dieser Thematik mit der gebotenen Sorgfalt beleuchtet“, sagt der Kontrollchef, der daran erinnert, dass coronabedingt auf den HSV finanziell sehr anspruchsvolle Zeiten zukommen: „Eine der Fragen wird natürlich auch sein, was passiert, wenn wir noch sehr lange ohne Zuschauereinnahmen auskommen müssen. Dann fehlen uns – und auch allen anderen Clubs – Millioneneinnahmen.“
HSV-Vizepräsident ist Gegner von Anteilsverkäufen
Doch der HSV wäre wahrscheinlich nicht der HSV, wenn bei der zentralen Frage um weitere Anteilsverkäufe alle Entscheidungsträger im gleichen Boot sitzen würden. Ausgerechnet Jansens Vizepräsident Thomas Schulz hat sich intern als klarer Gegner einer Öffnung der 24,9-Prozent-Grenze positioniert – und will diese Haltung im Hinblick auf einen eventuellen Antrag bei der kommenden Mitgliederversammlung Anfang 2021 (noch nicht fest terminiert) auch öffentlich verteidigen.
Mehr noch: Schulz soll intern auch die Meinung vertreten, dass bei einem weiteren Anteilsverkauf die Einnahmen ohnehin nicht der HSV AG, sondern dem HSV e. V., also dem Mehrheitseigner, zustehen würden.
HSV-Mitglieder haben das letzte Wort
Noch sind diese Überlegungen ungelegte Eier, die aber schon auf der nächsten Mitgliederversammlung in die Pfanne gehauen werden könnten. „Das Thema ist im Prinzip ganz eindeutig“, sagt Jansen. „Erstens haben in dieser Frage bei uns die Mitglieder das letzte Wort. Und zweitens brauchst du bei allen theoretischen Diskussionen ganz praktisch dann auch einen Käufer. Unser Vorstand kann ohnehin nur Optionen aufzeigen. Entscheiden müssen unsere Mitglieder. Und das ist auch gut so.“
Was Jansen nicht sagt: Tatsächlich hatten sich die Mitglieder des HSV ja bereits entschieden. Anfang 2019 wurde auf der Mitgliederversammlung be-
schlossen, die 24,9-Prozent-Grenze, die bis dato immer noch einen Durchschlupf im Kleingedruckten bot, fest zu verankern. Im Juli 2019 hatte das HSV-Präsidium den Beschluss auch umgesetzt.
Ist das Geschäft des HSV krisenresistent?
Doch dann folgte Corona – und die Gewissheit, dass man schweren Zeiten entgegensieht. „Unser Geschäftsprinzip ist schlichtweg nicht krisenresistent“, sagt nicht Jansen. Auch nicht Wettstein. Sondern Alexander Jobst. In einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ skizziert Schalkes Marketingvorstand unverblümt den königsblauen Ist-Zustand, der in mancher Hinsicht auch an den HSV der vergangenen Jahre erinnert: „Wir können nicht mehr auf die Zukunft wetten.
Und wieder auf eine Fremdfinanzierung hoffen, wenn der sportliche Erfolg dann ausbleibt. Das hat viele Jahre funktioniert. Es funktioniert aber jetzt nicht mehr, weil wir uns damit mehr und mehr strangulieren.“ Sein Fazit: „Wir können uns mit neuen Fremdfinanzierungen nicht von dem Schuldenberg befreien. Für Schalke ist deshalb das Thema Eigenkapital wichtig.“
Für Schalke – und natürlich auch für den HSV. „Man wird ab einem bestimmten Punkt darüber diskutieren müssen“, antwortete Wettstein auf die Frage, ob die 24,9-Prozent-Hürde angesichts der Corona-Herausforderungen noch in Stein gemeißelt sei.
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Der bestimmte Punkt scheint erreicht. Doch bei den nun folgenden Diskussionen dürfte auf die HSV-Verantwortlichen jede Menge Überzeugungsarbeit zukommen. Bei vielen Mitgliedern sind die Erinnerungen an die Ausgliederung 2014 und die nicht eingehaltenen Versprechen noch frisch.
Seinerzeit wurden blühende HSV-Landschaften, strategische Partner und Einnahmen von 100 Millionen Euro versprochen. Das Ende der Geschichte: Neun negative Geschäftsabschlüsse in Folge, zweimal Relegation, ein Abstieg und zwei nicht gelungene Aufstiege.
Die Diskussionen sind damit nicht beendet. Sie fangen erst an.