Hamburg. Daniel Thioune und Timo Schultz sollen mit neuen Reizen und neuen Trainerteams ihre Clubs entwickeln. Parallelen sind beachtlich.
196 Kilometer liegen zwischen den zwei niedersächsischen Kleinstädten Georgsmarienhütte und Wittmund. Es sind die Geburtsstädte von Daniel Thioune (45) und Timo Schultz (42). Den neuen Trainer des HSV und den neuen Chefcoach des FC St. Pauli verbindet allerdings deutlich mehr als nur die Autobahnen 1 und 29 zwischen ihren Heimatorten bei Osnabrück und Wilhelmshaven. Thioune und Schultz haben in den vergangenen vier Jahrzehnten einen erstaunlich ähnlichen Weg hinter sich gebracht. Nun stehen beide für den neuen Weg ihrer Clubs. Für den neuen Hamburger Weg.
Es ist kein Geheimnis, dass sich bis vor zehn Tagen nicht nur der HSV um die Zusage von Daniel Thioune bemühte, sondern auch der FC St. Pauli. Am Ende entschied sich Sportchef Andreas Bornemann für Timo Schultz. Nach einer sowohl für den HSV als auch für den FC St. Pauli enttäuschenden Saison mit den Trainerroutiniers Dieter Hecking (55) und Jos Luhukay (57) schlagen die beiden Hamburger Zweitligisten nun einen neuen Kurs ein, der von neuen Merkmalen geprägt ist. Weniger wirtschaftliche Mittel, weniger Gerede von großen Zielen, mehr Entwicklung, mehr Leistung, mehr Demut. Dafür stehen die Namen Thioune und Schultz.
Parallelen zwischen HSV und St. Pauli
Wer die Aussagen der zwei Fußballlehrer von ihren Pressekonferenzen und die Fotos der jeweiligen Vorstellung an den beiden Montagen innerhalb einer Woche nebeneinanderlegt, wird viele Parallelen finden. Und damit ist nicht ihre Vorliebe für Kapuzenpullover und T-Shirts gemeint. Lösungen aufzeigen, Prozesse entwickeln, transparent kommunizieren – es ist die moderne Sprache der Fußballlehrer, die nun auch im Volkspark und am Millerntor angekommen ist. Und die den neuen Hamburger Weg beim HSV und bei St. Pauli in den kommenden Monaten prägen wird.
Der Thioune-Talk: So tickt der neue HSV-Trainer
Parallelen gibt es bei den zwei Clubs aber auch auf einer anderen Ebene: der wirtschaftlichen. Thioune und Schultz sind für den HSV und St. Pauli im Vergleich zu ihren jeweiligen Vorgängern die deutlich günstigere Wahl. Auch wenn sich der HSV das Paket aus Thioune und seinem Co-Trainer Merlin Polzin mehr als 300.000 Euro Ablöse an den VfL Osnabrück kosten ließ, liegen die zwei im Gehaltsranking deutlich unter dem ihrer Vorgänger Hecking und Dirk Bremser. Dass jener Bremser (54) auch im Trainerteam von Thioune noch eine Rolle spielt, gilt daher als unwahrscheinlich.
Umbruch im Trainerteam beim FC St. Pauli
Auch der FC St. Pauli setzt zur neuen Saison auf einen Umbruch im Team des Chefcoaches. Am Dienstag teilte der Club mit, dass neben Luhukays Vertrautem Hans Schrijver (60) auch die Co-Trainer Markus Gellhaus (50) und André Trulsen (55) den Verein verlassen. Insbesondere mit der Trennung von Vereinslegende „Truller“ setzt St. Pauli ein klares Zeichen. „Schweren Herzens, vor allem im Fall von André Trulsen, haben wir uns dazu entschieden, mit einem neuen Trainerteam an den Start zu gehen, um in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft für eine neue Ansprache und frischen Wind zu sorgen“, sagte Schultz.
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Mit dem jungen Loic Favé (27) aus der U 19 des Eimsbütteler TV könnte sich St. Paulis Chefcoach nun einen ähnlich jungen Kollegen an die Seite holen wie Thioune mit Merlin Polzin (29). Favé und Polzin haben beide eine Vergangenheit im Hamburger Jugendfußball und gelten als spannende Nachwuchstrainer.
HSV legt Fokus auf eigene Talente
Das waren auch Thioune und Schultz, als sie das erste Mal an der Seitenlinie aufeinandertrafen. Im August 2015 war das, als sich die U 17 des VfL Osnabrück (mit Trainer Thioune) von der U 17 des FC St. Pauli (mit Trainer Schultz) mit 3:3 trennte. Ihre Wege führten sie dann jeweils über die U 19 bis zum Profiteam. Dabei entwickelten sie Nachwuchskräfte wie Felix Agu (20) und Finn-Ole Becker (20) zu Stammkräften für die Lizenzspielermannschaft.
Genau diesen Weg sollen Thioune und Schultz nun bei den Hamburger Profiteams gehen. Dem HSV bleibt nach dem Rückzug der Großsponsoren und dem verpassten Aufstieg angesichts der klammen Clubkasse gar keine andere Wahl, als den Fokus auf die Entwicklung der eigenen Talente zu legen. Mit Josha Vagnoman (19), Xavier Amaechi (19), Jonas David (20), Aaron Opoku (21) und Manuel Wintzheimer (21) hat der HSV einige Jungprofis, die Thioune auf die nächste Entwicklungsstufe heben soll.
HSV und FC St. Pauli streben hohe Ziele an
St. Paulis Ex-Trainer Luhukay hatte bereits in der vergangenen Saison diverse Nachwuchsspieler befördert, sie aber genauso schnell wieder fallen gelassen. Einzig U-20-Nationalspieler Becker kam auf regelmäßige Einsätze. Schultz, der Luhukays angestoßene Prozesse weiterführen will, kritisierte bei seiner Vorstellung die fehlende Gier der Talente.
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Trotz aller Demut und Bescheidenheit ist aber klar, dass der HSV und der FC St. Pauli auch in der kommenden Saison hohe Ziele anstreben. Das ergibt sich zwangsläufig durch den Gehaltsetat, mit dem beide Clubs wieder zu den Top sechs der Liga gehören werden. Während der HSV knapp über 20 Millionen Euro für seinen Kader ausgeben wird, liegt St. Pauli knapp unter der 20-Millionen-Marke. Intern haben sich St. Paulis Bosse festgelegt, den Etat trotz Corona nur geringfügig zu kürzen. Alle möglichen Mittel sollen in der neuen Saison in die Profimannschaft fließen. Das Ziel: Der finanzielle Aufwand soll sich im Vergleich zu den Vorjahren in mehr als 25 Spielen auf dem Platz widerspiegeln.
St. Paulis Trainer Schultz will "einen Schuss Frechheit"
Das gleiche Vorhaben verfolgt der HSV mit Thioune. „Wir wollen und müssen die Entwicklung in den Fokus stellen. Und das verkörpert Daniel Thioune mit Haut und Haaren“, hatte Sportvorstand Jonas Boldt vor einer Woche gesagt. Ein Schwerpunkt: Spieler sollen im Laufe der Saison besser werden – und nicht wie zuletzt unter Hecking in der Schlussphase der Spielzeit schlechter.
Thioune und Schultz spielten unter Hecking
Der Name Hecking ist indes eine weitere Parallele in den Biografien von Thioune und Schultz. Die beiden trafen als Aktive in verschiedenen Konstellationen zwar siebenmal aufeinander, verpassten es aber knapp, miteinander zu spielen. 2002 holte Hecking als Trainer des VfB Lübeck den offensiven Mittelfeldspieler Thioune quasi als Nachfolger für den offensiven Mittelfeldspieler Schultz, der zu Holstein Kiel wechselte. Über die beiden sprechen wollte Hecking am Dienstag aber ebenso wenig wie der ehemalige DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth (seit 2018 Heracles Almelo), der sowohl Thioune (2016) als auch Schultz (2018) im Fußballlehrer-Lehrgang betreute.
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Es ließen sich noch weitere Parallelen zwischen den Spätstartern, Familienmenschen und ehemaligen Studenten der Erziehungswissenschaft finden. Zum Beispiel ihre Nähe zu einem bekannten niedersächsischen Gemüse. Während Schultz in Ostfriesland einst beim Boßeln um den Grünkohl-Preis spielte, wurde Thioune vor einem Jahr sogar zum regionalen Grünkohl-König gekürt.
All das ist: Vergangenheit. „Zurück in die Zukunft“, sagte Schultz am Montag. Und beschrieb damit stellvertretend den neuen Hamburger Weg, den der FC St. Pauli und der HSV jetzt gehen wollen.