Hamburg. Anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen, zeigen die Hamburger eine ganz schwache Leistung. Immerhin: Eine gute Nachricht gibt es.

Timo Letschert war nicht mehr zu halten. Der Niederländer wollte nach dem Schlusspfiff auf Schiedsrichter Martin Thomsen los und konnte nur mit Mühe zurückgehalten werden. Auch HSV-Trainer Dieter Hecking und Sportvorstand Jonas Boldt eilten nach dem 1:1 (1:0) gegen den VfL Osnabrück auf den Rasen und hatten Gesprächsbedarf.

Anlass war die Szene in der letzten Minute der Nachspielzeit, als Letschert nach einer Ecke von Benjamin Girth zu Boden gezogen wurde. Tatsächlich hätte der Unparteiische auf Strafstoß für den HSV entscheiden können. Doch auch aus Köln kam kein Hinweis von Videoschiedsrichter Günter Perl. „Ich muss die Schiedsrichter und den Videoassistenten heute hart kritisieren. Das war ein klarer Elfmeter“, sagte Hecking.

Tatsächlich konnten sich die Hamburger aber glücklich schätzen, dass sie gegen Osnabrück einen Punkt holten. Angesichts der zweiten Halbzeit und des Torchancenverhältnisses hätte der VfL einen Auswärtssieg verdient gehabt. Der HSV wiederum vergab die große Chance, aus eigener Kraft den Aufstieg zu schaffen und sich von Heidenheim abzusetzen.

HSV droht Bundesliga-Aufstieg erneut zu verspielen

So können die Schwaben aus Stuttgart am Mittwoch und die Schwaben aus Heidenheim am Sonntag im direkten Duell am HSV vorbeiziehen. „Wir sind selbst schuld“, sagte Torschütze Martin Harnik, der die Hamburger in der ersten Halbzeit in Führung gebracht hatte. „Wir kriegen zu viele Gegentore. Das hat uns Bielefeld voraus, die spielen halt zu Null“, so Harnik.

Während Bielefeld dank des Punktverlustes des HSV auf dem Sofa den endgültigen Aufstieg feiern konnte, drohen die Hamburger wie schon in der Vorsaison die Rückkehr in die Bundesliga zu verspielen. „Wir hatten den Sieg heute nicht verdient“, sagte Hecking. „Wir haben sehr langatmig gespielt. Es hat viel zu wenig geklappt. Wir waren gedanklich nicht so frisch. Das ist sicherlich ein Ergebnis, das uns nicht passt.“

Der HSV in der Einzelkritik

Hecking vertraute gegen Osnabrück der Startelf, die vor vier Tagen in Dresden gewonnen hatte. Einzig in der Innenverteidigung musste er wechseln. Gideon Jung ersetzte den gesperrten Rick van Drongelen. Fünf verschiedene Formationen hatte Hecking in dieser Saison schon in der Innenverteidigung ausprobiert. Für das Pärchen Timo Letschert und Jung war es allerdings die Premiere. „Ich bin nervöser als normal. Wir müssen wach sein und unser Spiel machen“, sagte van Drongelen in ungewohnter Zuschauerrolle vor der Partie.

Noch nervöser waren allerdings die Mitspieler des Niederländers. Wie schon in den Heimspielen zuvor gegen Wehen Wiesbaden und Holstein Kiel begannen die Hamburger unsicher. Vor allem im Spielaufbau und in den Defensivzweikämpfen agierte der HSV ängstlich. Anders als in den jüngsten Heimspielen wurden diese Phase aber nicht bestraft. Dabei hätte Osnabrücks Assan Ceesay auf Vorlage von Felix Agu nur noch ins leere Tor schieben müssen (22.), wählte aber den falschen Fuß. Riesenglück für den HSV, der von Minute zu Minute schwächer wurde.

HSV lässt sich trotz Führung überlaufen

Mitten in dieser Phase gingen die Hamburger plötzlich in Führung. Harnik spielte sich auf der linken Seite per Doppelpass mit David Kinsombi in den Strafraum und wurde dort nicht richtig angegriffen. Sein Linksschuss landete schließlich im Netz (35.). Es war der erste Treffer der Bremer Leihgabe seit Oktober 2019. Für den HSV war es das 60. Tor der Saison. Zum Vergleich: Vergangene Spielzeit waren es am Ende 45.

Dass der HSV sich in dieser Saison das Leben immer wieder so schwer macht, zeigte sich dann aber wieder auf der anderen Seite. Trotz einer Führung im eigenen Stadion gegen das schwächste Team der Rückrunde ließ sich der HSV auf einfachste Art überlaufen. Kein Hamburger kam nach einem einfachen langen mehr hinterher, als Julian Pollersbeck die von Jung abgefälschte Hereingabe von Sebastian Klaas in den Rückraum abwehrte. Moritz Heyer konnte von dort aus völlig unbedrängt einschieben (57.).

HSV – VfL Osnabrück: die Statistik

Hamburger SV

Pollersbeck – Vagnoman (73. Gyamerah), Letschert, Gideon Jung, Leibold – Fein (88. Samperio) – Kinsombi (64. Schaub), Hunt – Harnik (74. Hinterseer), Pohjanpalo, Kittel (64. Jatta). – Trainer: Hecking 

VfL Osnabrück

Kühn – Heyer, Susac, Gugganig – Ajdini, Blacha (83. Schmidt), Köhler (89. Ouahim), Agu – Heider (89. Girth), Klaas (65. Henning), Ceesay (65. Amenyido). – Trainer: Thioune 

Tore

1:0 Harnik (35.), 1:1 Heyer (57.)

Schiedsrichter

Martin Thomsen (Kleve)

Zuschauer

Keine

Gelbe Karten

– Ceesay (3), Ajdini (3), Köhler (2) 

Erweiterte Statistik (Quelle: deltatre)

Torschüsse: 5:8Ecken: 4:1 Ballbesitz: 68:32 % Zweikämpfe: 109:121

1/7

Die Antwort des HSV? Sie blieb aus. Osnabrück dagegen drängte sogar auf den Siegtreffer und hatte die größeren Chancen. Heckings Elf schaffte es bis auf die Letschert-Szene nicht mehr, gefährlich vor das Tor zu kommen. Nur sechs Torschüsse sind Minusrekord für den HSV in dieser Saison.

Die einzige gute Nachricht für die Hamburger: Auch Heidenheim konnte in Fürth nicht gewinnen und verpasste die Möglichkeit, nach Punkten mit dem HSV gleichzuziehen. „So wie ich Stuttgart, Heidenheim und uns in dieser Saison wahrnehme, wird es wahrscheinlich bis zum letzten Spieltag ein Showdown bleiben“, sagte Hecking. Nicht nur wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher.