Hamburg. Vor dem Dresden-Spiel lässt Trainer Dieter Hecking Fußballgolf spielen. Seine Vorgänger griffen zu teils kuriosen Maßnahmen.

Dieter Hecking hatte seine Lockerheit zurück. Der HSV-Trainer lachte, als er am Donnerstagnachmittag das Podium im Presseraum des Volksparkstadions betrat. Keine drei Tage waren vergangen, seit der Chefcoach an selber Stelle saß und nach dem erneuten Last-minute-Drama beim 3:3 gegen Holstein Kiel sagte: „So einen Rückschlag muss auch ich erst einmal verarbeiten.“

Gesagt, getan. Am Tag vor dem Spiel bei Zweitliga-Schlusslicht Dynamo Dresden an diesem Freitag (18.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) versprühte der 55-Jährige wieder Zuversicht. Ein psychologisches Problem bei seinen Spielern, dass Hecking am Montag noch selbst angesprochen hatte, wollte er sich nicht mehr einreden lassen. „Das hat mit Psychologie und dem Kopf nichts zu tun. Wir haben uns spieltaktisch nicht gut verhalten“, sagte der Fußballlehrer.

Hecking machte allerdings auch kein Geheimnis aus der Tatsache, dass seine Spieler nach dem dritten Nachspielzeit-K.-o. innerhalb der fünf Geisterspiele eine spontane Frischzellenkur benötigten. „Meine Mannschaft war sehr, sehr enttäuscht“, sagte Hecking. Und so verlegte das Trainerteam die Einheit am Mittwoch kurzerhand nach Soltau. Normalerweise testet Hecking zwei Tage vor dem Spiel die Startformation und seine taktischen Ideen. Diesmal durften sich die HSV-Profis beim Fußballgolf entspannen, Spaß haben und eine Ablenkung vom Aufstiegskampf genießen.

HSV-Trainer Hecking braucht keinen Teampsychologen

„Die Mannschaft hat diesen Tag gebraucht. Nur mit Druck und Verbissenheit werden wir es nicht schaffen“, sagte Hecking über die Spaßaktion, bei der die Spieler auch mal vier Stunden das Handy zur Seite legten. Anschließend gab es ein gemeinsames Essen. „Das war ein sehr schöner Tag“, so Hecking. Um die Stimmung bei den Spielern zu lockern, ließ Hecking das Training einfach mal Training sein. „In dieser Phase geht es nicht um Training, sondern um einen guten Mix aus Anspannung und Entspannung.“

Hecking sollte nach 20 Jahren Trainererfahrung wissen, was seine Mannschaft jetzt gerade braucht. Mit Patrick Esume hatte der HSV sich für die letzten Wochen der Saison zwar einen externen Trainer dazugeholt, der mit seiner Art für positive Energie im Team sorgen soll. Auf einen Teampsychologen aber verzichtet Hecking beim HSV. So sollen eben Aktionen wie Fußballgolf dazu beitragen, dass die Mannschaft in der finalen Saisonphase in der richtigen mentalen Verfassung auf dem Platz steht.

Dieter Hecking: Nur mit Druck wird es der HSV nicht schaffen

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    Was diese Maßnahmen am Ende bringen, lässt sich nur schwer messen. Versucht haben es die HSV-Verantwortlichen in den vergangenen 30 Jahren vor den entscheidenden Spielen mit unterschiedlichsten Methoden.

    Lockerungsübungen haben beim HSV Tradition

    1991 sorgte etwa der damalige Präsident Jürgen Hunke für Schlagzeilen, als er den selbsternannten „Hexer“ Ernst-Adolf Bretzlaff engagierte, um den HSV noch zur Meisterschaft zu zaubern – was mit Platz fünf nicht so ganz klappte.

    In die Voodoo-Kiste griff 1998 auch Frank Pagelsdorf. Der damalige Trainer versuchte es im Abstiegskampf mit einer Art Rasen-Akupunktur. Sein Bekannter Jens Strohschein, damals hauptberuflich Schichtleiter in einem Reifenlager, steckte vier fünf Zentimeter lange Stopfnadeln hinter die Tore, um den Heimfluch zu vertreiben. Zauberfußball spielte der HSV zwar nicht mehr, am Ende reichte es aber zumindest für den Klassenerhalt.

    Genauso wie 2014, als Mirko Slomka sich vor dem 32. Spieltag einen Geistheiler in den Volkspark holte. Der Bio-Energetiker Joseph Kuhnert sollte die negative Energie beseitigen. Zumindest kurzfristig verpuffte der Effekt. Der HSV verlor beim FC Augsburg 1:3 und das Abendblatt titelte: „HSV von allen guten Geistern verlassen.“ Es grenzte fast schon an Hexerei, dass die Hamburger die letzten fünf Saisonspiele verloren und auch in der Relegation nicht gewannen und trotzdem in der Liga bleiben durften.

    Labbadia beschwor den Geist von Malente

    Der Spuk sollte den HSV aber nur ein Jahr später wieder einholen. Bruno Labbadia brauchte zwar keine Nadeln, dafür gleich drei Kurztrainingslager in Rotenburg (einmal) und in Malente (zweimal), um sich schließlich in der dramatischen Relegation in Karlsruhe zu retten. Beim gemeinsamen Lagerfeuer und einer Bootsfahrt hatte das Team zuvor den Geist von Malente beschworen.

    2018 sollte dem HSV dann aber nicht einmal mehr der „Gyros-Schwur“ helfen. Vor den entscheidenden Spielen kamen Trainer Christian Titz und sein Team regelmäßig in Pinneberg bei Dimitrios Pardalis im „Thessaloniki“ zusammen. Der erstmalige Abstieg des HSV aber war auch so nicht mehr zu verhindern.

    Auch Dynamo Dresden hat Druck

    Nun will der HSV mit aller Macht zurück in die Bundesliga. Doch zuletzt wurde wie schon im Vorjahr deutlich, dass der Aufstiegsdruck die Spieler spürbar belastet. Das betraf junge Profis wie Xavier Amaechi nach seiner Einwechslung gegen Kiel (Hecking: „Er hat sich Druck gemacht, die Beine wurden schwer“) als auch erfahrene Spieler wie Timo Letschert oder Tim Leibold, die zuletzt in den Schlussminuten immer wieder wackelige Füße bekamen.

    Die gute Nachricht für den HSV: Am Freitag hat auch der Gegner aus Dresden einiges zu verlieren. Nachdem Dynamo aufgrund der Corona-Quarantäne verspätet die Saison wiederaufnahm, braucht der Club dringend Punkte, um im Rennen um den Klassenerhalt den Anschluss zu halten. „Der HSV steht genauso unter Druck wie wir“, sagte Trainer Markus Kauczinski am Donnerstag.

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    Hecking hofft, dass sein Team sich endlich mal wieder für den Aufwand belohnt. Mit Konzentration, Ruhe und Lockerheit – und ganz ohne Hokuspokus.