Hamburg. Josha Vagnoman fehlte fünf Monate mit einem Fußbruch. Nun ist er zurück, will aufsteigen – und 2021 nach Tokio.

Josha Vagnoman steht im Regen. Buchstäblich. Ausgerechnet als der 19 Jahre alte Jungprofi mit seinen HSV-Kollegen am Donnerstagmittag den Trainingsplatz betritt, fängt es an, wie aus Eimern zu schütten. Doch irgendwie scheint die plötzliche Sturmflut den Fußballer nicht zu irritieren. Vagnoman läuft, Vagnoman grätscht, Vagnoman schießt. Kurz um: Vagnoman macht das, was er bis vor Kurzem fünf Monate lang nicht machen konnte: Fußball spielen.

Wer sich etwas länger mit dem hochveranlagten Rechtsverteidiger unterhält, der bekommt relativ schnell einen Eindruck davon, wie sehr Vagnoman das Fußballspielen zuletzt gefehlt hat. 14 Pflichtspiele verpasste der gebürtige Hamburger wegen eines gebrochenen Fußes. „In den fünf Monaten ohne Fußball habe ich genau solche Szenen sehr vermisst“, sagt der U-21-Nationalspieler, als er auf eine ganz bestimmte Szene bei seinem ersten Spiel nach der Zwangspause gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth angesprochen wird.

Dort flitzte Vagnoman nach nur sieben Minuten über die rechte Seite, schob den Ball durch die Beine seines Gegenspielers und flankte vor das Tor. „So einen Tunnel brauchte ich einfach mal wieder“, sagt der Fußballer, der nach dem Corona-Neustart den besten „Kicker“-Notendurchschnitt unter den HSV-Profis hat, die bei allen vier Spielen dabei waren.

Josha Vagnoman gilt als Instinktfußballer

Josha Vagnoman ist so einer, den man Instinktfußballer nennt. Mit neun Jahren fiel er einem HSV-Trainer bei einem U-10-Hallenturnier auf St. Pauli auf. Dieser kleine Steppke vom SC Poppenbüttel schoss Tor um Tor, war trickreich – und vor allem schnell.

Beim Training wurde Vagnoman nass gemacht.
Beim Training wurde Vagnoman nass gemacht. © Witters

Extrem schnell machte der Dreikäsehoch auch nach dem Hallenturnier Karriere. Vagnoman wechselte als Zehnjähriger zum HSV, durchlief alle Jugendmannschaften und wurde vor zwei Jahren mit 17 Jahren und 89 Tagen jüngster HSV-Bundesligaspieler der Geschichte.

„Ich habe immer davon geträumt, als Profi im Volksparkstadion zu spielen. Und jetzt ist der Traum wahrgeworden“, sagt hinter Xavier Amaechi der zweitjüngste HSV-Profi, als er am Donnerstag wieder im Trockenen sitzt. Und: „Ich war schon als Kind immer ein Fan vom HSV.“

„Mein Traum von Olympia lebt weiter“

Bevor es nun zu kitschig wird, müsste man die Geschichte an dieser Stelle beenden. Doch Vagnomans Geschichte beim HSV sollte jetzt erst richtig losgehen. Denn der Youngster spielte sich rasch in die Notizbücher vieler internationaler Scouts – und wurde auch vom DFB nicht übersehen.

Im Januar wurde das zu dem Zeitpunkt bereits verletzte Talent auch von U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz in den erweiterten 50-Mann-Olympia-Kader eingeladen. Ende März, als Vagnoman noch immer fehlte, wollte Kuntz das Aufgebot zusammenstreichen. Dann kam Corona – und mit dem Virus die Hoffnung, bei den um ein Jahr verschobenen Olympischen Spielen von Tokio eben doch dabei zu sein.

„Mein Traum von Olympia lebt weiter“, sagt Vagnoman nun. „Ich hatte großes Glück im Unglück. Ohne Corona hätte ich wohl keine Chance auf Olympia in diesem Jahr gehabt, weil die Frist für den Kader Ende März gewesen wäre. Und da war ich ja noch verletzt.“

Dass er als potenzieller Olympiakandidat der Anti-Doping-Agentur Nada möglicherweise schon bald wieder permanent Bericht über seinen Aufenthaltsort erstatten muss, ist für Vagnoman verschmerzbar. „Wir haben eine App, in der man jeden Tag eintragen muss, wo man wann ist. Das ist schon ungewohnt“, sagt er. „Gerade zu Beginn neigt man dazu, nicht sofort an solche Dinge zu denken. Aber irgendwann gewöhnt man sich daran, jede Minute abrufbar zu sein.“

Vagnoman in England heiß begehrt

Für Vagnoman gilt also ab sofort die leicht abgewandelte Sepp-Herberger-Weisheit: Nach dem Traum ist vor dem Traum. „Mein erstes Ziel ist der Aufstieg, mein zweites Ziel wäre Olympia.“ Dass der pfeilschnelle Außenverteidiger beide Ziele realisieren kann, da ist man sich beim HSV ziemlich sicher.

Noch während der Rehaphase verlängerten die Verantwortlichen den ohnehin bis 2021 laufenden Vertrag bis 2024 – ohne Ausstiegsklausel. „Wir sind stolz, dass wir mit Josha ein sehr talentiertes Eigengewächs, das unseren gesamten Nachwuchsbereich durchlaufen hat, weiter von unserem Weg überzeugen konnten“, sagte Sportdirektor Michael Mutzel, nachdem die Tinte trocken war.

HSV erkämpft sich Heimsieg gegen Wiesbaden nach Rückstand:

HSV erkämpft sich Heimsieg gegen Wiesbaden nach Rückstand

Torschützen unter sich: David Kinsombi (r.) und Joel Pohjanpalo haben mit ihren Toren das Spiel für den HSV gegen Wiesbaden gedreht.
Torschützen unter sich: David Kinsombi (r.) und Joel Pohjanpalo haben mit ihren Toren das Spiel für den HSV gegen Wiesbaden gedreht. © Witters
Klasse Schusshaltung: David Kinsombi bei seinem sehenswerten Ausgleichstreffer. Der Offensivmann avancierte mit einem Doppelpack beim 3:2-Heimsieg gegen Wiesbaden zum Matchwinner.
Klasse Schusshaltung: David Kinsombi bei seinem sehenswerten Ausgleichstreffer. Der Offensivmann avancierte mit einem Doppelpack beim 3:2-Heimsieg gegen Wiesbaden zum Matchwinner. © Witters
Kinsombis zweiter Streich: Das Siegtor gegen Kellerkind Wehen Wiesbaden.
Kinsombis zweiter Streich: Das Siegtor gegen Kellerkind Wehen Wiesbaden. © Witters
Julian Pollersbeck feierte sein Saisondebüt. Beim ersten Gegentor, einem Traumtor von Wiesbadens Torjäger Schäffler, war er machtlos.
Julian Pollersbeck feierte sein Saisondebüt. Beim ersten Gegentor, einem Traumtor von Wiesbadens Torjäger Schäffler, war er machtlos. © Witters
HSV-Verteidiger Timo Letschert (l., neben Wiesbadens Doppel-Torschütze Schäffler) erwischte einen gebrauchten Nachmittag: Der Niederländer verschuldete beide Gegentore.
HSV-Verteidiger Timo Letschert (l., neben Wiesbadens Doppel-Torschütze Schäffler) erwischte einen gebrauchten Nachmittag: Der Niederländer verschuldete beide Gegentore. © Witters
Letscherts Landsmann, HSV-Innenverteidiger Rick van Drongelen, wirkte wieder nicht sicher, war aber diesmal zumindest nicht an den Gegentoren beteiligt.
Letscherts Landsmann, HSV-Innenverteidiger Rick van Drongelen, wirkte wieder nicht sicher, war aber diesmal zumindest nicht an den Gegentoren beteiligt. © Witters
Wirbt Topscorer Sonny Kittel etwa um eine Teilnahme beim Maskenball?
Wirbt Topscorer Sonny Kittel etwa um eine Teilnahme beim Maskenball? © Witters
Der angeschlagene Jeremy Dudziak brachte nach seiner Einwechslung die Wende für den HSV. Seine wendigen Haken haben Bundesliganiveau.
Der angeschlagene Jeremy Dudziak brachte nach seiner Einwechslung die Wende für den HSV. Seine wendigen Haken haben Bundesliganiveau. © Witters
HSV-Kapitän Aaron Hunt war auf dem Platz nur durch Fouls zu stoppen.
HSV-Kapitän Aaron Hunt war auf dem Platz nur durch Fouls zu stoppen. © Witters
HSV-Trainer Dieter Hecking wusste, bei wem er sich zu bedanken hatte: Bei Matchwinner David Kinsombi.
HSV-Trainer Dieter Hecking wusste, bei wem er sich zu bedanken hatte: Bei Matchwinner David Kinsombi. © Witters
Youngster Josha Vagnoman versuchte es auch einmal mit einem strammen Distanzschuss.
Youngster Josha Vagnoman versuchte es auch einmal mit einem strammen Distanzschuss. © Witters
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Tatsächlich war die Vertragsverlängerung kein Selbstgänger. Der HSV und Vagnoman-Berater Dieter Gudel verhandelten fast fünf Monate, ehe man sich einigte. Der Hintergrund: Neben drei Clubs aus England (Stoke City, Wolverhampton und Newcastle) klopfte auch der italienische Champions-League-Viertelfinalist Atalanta Bergamo an.

Vagnoman hat sich in Hamburg verliebt

Doch Vagnoman lehnte ab. „Der HSV ist mein Verein, Hamburg ist meine Stadt.“ Das musste er nicht nur in Italien und England ausrichten lassen, sondern vor allem in der eigenen Kabine klarmachen. Denn auch unter den Beratern seiner Kollegen hatte sich längst herumgesprochen, dass der HSV offenbar einen Rohdiamanten besitzt. Sämtliche Anfragen im Kollegenkreis ließ der Familienmensch allerdings abblitzen.

Neben seinem Berater, der früher als Nachwuchsleiter des HSV maßgeblich für die Entwicklung Vagnomans in der Jugend verantwortlich war, vertraut der Überflieger eigentlich nur noch einem: dem eigenen Papa. „Mein Vater ist einer meiner wichtigsten Ratgeber“, gibt Vagnoman im Gespräch mit dem Abendblatt unumwunden zu.

Den Rat von Papa Karaboue brauchte der Junior vor allem nach seiner Verletzung im Oktober aus dem DFB-Pokalspiel gegen Stuttgart (1:2 n. V.). Die Diagnose Fußbruch war ein Schock. Die Empfehlung einer Operation ein zweiter.

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„Ich habe mich zu Anfang echt schwer mit der Option einer Operation getan. Da musste erst einmal der Familienrat tagen“, sagt Vagnoman, der aber doch am 3. November in München operiert wurde. „Im Nachhinein war das die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.“

Die einzige Entscheidung, die ihm momentan schwerfällt, ist die zwischen den Kochkünsten seiner Eltern. „Meine Mutter und mein Vater sind beide sehr gute Köche“, sagt Vagnoman. „Mein Vater kocht eher afrikanisch, meine Mutter eher deutsch. Absolut lecker ist beides.“

Und das Beste: Warm und trocken ist es daheim in Lemsahl sowieso.