Hamburg. HSV will Fankneipen und Szenetreffs durch virtuelle Spieltage und Crowdfunding retten. Wirtin von Kultkneipe schlägt Alarm.

Am vergangenen Freitag war der kritische Punkt das erste Mal erreicht: Jan Walter Möller war verzweifelt. Der Fußballfan, der bei jedem HSV-Heimspiel, bei jeder Weltmeisterschaft und bei jeder Europameisterschaft dabei ist, konnte einfach nicht mehr. Er konnte einfach nicht mehr ohne Fußball. „Es war tatsächlich so schlimm, dass ich mir auf irgendeinem Spartensender am Abend die Partie Kaiserslautern gegen Borussia Dortmund angeschaut habe“, sagt Möller. „In voller Länge! Aus dem Jahr 1994!!“

Seit Montag unterstützt der HSV Fankneipen­ und Szeneläden.
Seit Montag unterstützt der HSV Fankneipen­ und Szeneläden. © HSV | HSV

In Zeiten von Corona nimmt man als Fußballfan, was man bekommt. Deswegen war Möller auch wenige Tage später sehr aufgeschlossen, als er das erste Mal von den virtuellen Spieltagen hörte, die der HSV für einen guten Zweck seit diesem Montag veranstaltet. „Ich muss gestehen, dass ich schon stolz auf meinen HSV bin, dass er diese Aktion auf die Beine gestellt hat“, sagt Möller im täglichen Telefon-Podcast „HSV – wir reden weiter“. „Die Idee ist einfach grandios.“

HSV setzte die Aktion in Rekordzeit um

Die Idee in Kurzform: An jedem Spieltag sollen HSV-Fans auf der Crowd­funding-Plattform „Gofundme“ für Szeneläden und HSV-Kneipen genau das spenden, was sie ansonsten ohnehin ausgegeben hätten. Eine Idee, die – wenn man ganz ehrlich ist – nicht nur grandios, sondern auch ein wenig geklaut ist. So sollen bei der Originalaktion von Borussia Dortmund (#BorussiaVerbindet) mehr als 150.000 Euro für lokale Betriebe zusammengekommen sein.

„Auch bei anderen Vereinen gibt es ähnliche Initiativen. Bei Sozialprojekten darf man sich nicht zu schade sein, etwas nicht zu machen, nur weil es an einem anderen Standort schon umgesetzt wurde“, sagt Cornelius Göbel. Der leitende Fanbeauftragte des HSV zögerte in der vergangenen Woche nicht lange und setzte in Zusammenarbeit mit der Marketing- und der Medienabteilung des HSV die Aktion in Rekordzeit um.

Es geht nicht nur um das Geld

Seit Montag, als der HSV eigentlich vor ausverkauftem Stadion gegen den VfB Stuttgart gespielt hätte, ist das Projekt #HSVerFürHamburg nun online. Mit dem Szenetreff Tankstelle, der Winterhuder Sky-Bar SameSame, der Kiezkneipe Kombüse, dem Klamottenladen 1887 Shop und der Barmbeker Fightschool Basch haben sich bereits fünf HSV-Läden angemeldet. Dabei geht es aber längst nicht nur um das Geld. „Läden wie der 1887 Shop oder die Tankstelle leben von und für die HSV-Fans“, sagt Göbel. „Die kann man nicht so einfach nach der Krise ersetzen. Wenn diese Läden die Krise nicht überleben, dann bricht ein Stück HSV-Fankultur für immer weg.“

Die Gefahr ist tatsächlich gegeben. So musste Tankstelle-Chefin Caro Gawlik für ihre drei Angestellten Kurzarbeit beantragen, elf geringfügig Beschäftigte sogar entlassen. „Ich hafte für alles“, sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. „Wenn das noch länger als drei Monate so geht, dann kann ich Privatinsolvenz anmelden“

Große Solidarität

Seit dem 14. März ist die Szenebar geschlossen. „Ich habe keine Einnahmen mehr. Für uns ist das verheerend“, sagt Gawlik, die seit 15 Jahren die „Tankstelle“ betreibt. „Wir waren noch nie reich. Aber unser Laden ist eine Institution der HSV-Subkultur. Wir halten unseren Laden mit viel Leidenschaft am Leben.“

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Ähnliches gilt seit elf Jahren auch für den 1887 Shop an der Kleinen Reichenstraße. Die Betreiber Joachim Eybe und Nils Kuhlwein konnten seit Corona zwar ihr Onlinegeschäft ausbauen, allerdings fällt für die beiden das komplette Spieltagsgeschäft flach. „Bei jedem Heimspiel haben wir vier Anhänger rund um das Stadion. Da generieren wir normalerweise einen Großteil unseres Geschäfts“, sagt Eybe, der durch die Solidaritätsaktion #HSVerFürHamburg trotzdem guten Mutes ist. „Wenn man Corona irgendwas Positives abgewinnen will, dann, dass es zu einem anderen Umgang untereinander führt. Ich bin schwer gerührt von der ganzen Solidarität und von der Bereitschaft, zu helfen.“

Informationen zum Coronavirus:

In nur zwei Tagen kamen für den 1887 Shop 598 Euro zusammen, für die „Tankstelle“ spendeten 35 Fans mehr als 1600 Euro. Ein Fan hatte sogar 1887 Euro zunächst gespendet, sich aber beim Komma vertan … „Jeder Cent hilft“, sagt Wirtin Gawlik gerührt. Und HSV-Superfan Jan Walter Möller? Hat natürlich genauso gespendet wie zum Beispiel auch die Band Abschlach!. „Vielleicht lässt uns die Krise ja sogar näher zusammenrücken“, sagt Möller – und freut sich auf den nächsten virtuellen Spieltag am Ostersonntag gegen Wehen Wiesbaden.