Hamburg. Tim Leibold ist einer der besten HSV-Transfers des Sommers – und ein Beispiel dafür, wie es im Fußball hinter den Kulissen zugeht.
Ein paar Tage ist es erst her, dass die „Spiegel“-Journalisten Rafael Buschmann und Michael Wulzinger ihr zweites gemeinsames Buch veröffentlichten: „Football Leaks 2“. 573 Seiten über die Hinterzimmertricks, Geheimabsprachen und Schattenseiten der Milliardenbranche Fußball. „Ob es um die dubiosen Geschäftspraktiken von internationalen Spitzenclubs wie dem FC Barcelona, von Manchester City oder Paris Saint-Germain geht, um die Ausbeutung von Jugendspielern oder die Vertuschung von Straftaten: Die Gier im Fußball kennt kaum noch Grenzen“, heißt es auf dem Buchrücken.
Doch was für die Großen der Branche gilt, muss bei den Kleinen nicht anders sein. Oder wie sagt man noch mal so schön: Kleinvieh macht auch Mist.
Tim Leibold, 1,74 Meter klein, steht am Donnerstagvormittag mit verschränkten Armen ein paar Meter neben dem HSV-Trainingsplatz im Volkspark und gibt Auskunft über sein Seelenleben zwei Tage nach dem verlorenen Stadtderby. Der HSV-Neuzugang lächelt höflich und sagt mehr oder weniger bedeutungsvolle Sätze wie „Ist abgehakt“, „Das wirft uns nicht aus der Bahn“, „Wir müssen unsere Lehren aus dem Spiel ziehen“ oder: „Wir haben ja nicht so viel Zeit, um über das Derby nachzudenken.“
Wollte der 1. FC Nürnberg bei der Leibold-Ablöse tricksen?
Der Linksverteidiger hat leicht reden. Trotz der Niederlage am Millerntor, da sind sich eigentlich alle HSV-Experten einig, gilt Leibold als einer der Toptransfers dieses Sommers. Der Ex-Nürnberger, der als Ersatz für keinen Geringeren als den brasilianischen Olympiasieger Douglas Santos geholt wurde, hat bislang keine einzige Pflichtspielminute verpasst. Mit drei Assists liegt er nach sechs Spieltagen auf Rang vier aller Zweitliga-Vorlagengeber. Und bei einer festgeschriebenen Ablöse von 1,8 Millionen Euro darf man mit Fug und Recht von einem Schnäppchen sprechen.
Und an dieser Stelle wird die Geschichte vom mutmaßlichen Schnäppcheneinkauf erst interessant. Denn wenn es nach Nürnbergs Sportvorstand Robert Palikuca gegangen wäre, dann wäre Leibold wohl statt für 1,8 Millionen eher für drei Millionen Euro nach Hamburg gewechselt. Die Kurzversion in anderen Worten: Hinterzimmertricks, Geheimabsprachen, die Schattenseite des Fußballs.
Und hier die lange Version: Ziemlich genau anderthalb Jahre ist es her, dass der „Club“ auf seiner eigenen Homepage nicht ohne Stolz verkündete: „Leibe: Ich bleibe!“ Was der FCN bei der Bekanntgabe des neuen Dreijahresvertrags bis 2021 aber nicht erwähnte, war neben dem üppigen Gehalt (bis 1,5 Millionen Euro) die Ausstiegsklausel, auf die Leibold-Berater Karl Herzog seinerzeit bestand. Demnach sollte Leibold für eine (vergleichsweise geringe) Ablöse von 1,8 Millionen Euro die Franken verlassen können. Bedenkt man, dass der HSV Leibold-Vorgänger Santos für zwölf Millionen Euro (plus optionale drei Millionen) nach St. Petersburg verkaufte, schien die Leibold-Ablöse fast schon lächerlich gering.
Ein unmoralisches Angebot
Das dachte sich wohl auch HSV-Sportchef Jonas Boldt, als er zum ersten Mal von dieser Klausel hörte. Das Pikante: Zu diesem Zeitpunkt wusste offenbar noch kein Nürnberger, dass sich die festgeschriebene Ablöse in der Szene längst herumgesprochen hatte. Es folgte, was in der Millionenbranche Fußball folgen musste: Ein unmoralisches Angebot, ein versuchter Hinterzimmertrick. Denn: Wie das Abendblatt erfuhr, soll Nürnbergs Sportvorstand Palikuca Leibolds Berater Herzog angeboten haben, drei statt 1,8 Millionen Euro als festgeschriebene Ablöse zu kommunizieren. Das mutmaßliche Win-win-Angebot: Die zusätzlichen 1,2 Millionen Euro, die man erwirtschaftet hätte, hätte man 50:50 zwischen Berater und Club aufteilen können. Das Abendblatt fragte bei Palikuca nach, erhielt allerdings nur eine schriftliche Antwort von Nürnbergs Medienabteilung: „Grundsätzlich machen wir zu Vertragsdetails und den dazugehörigen Verhandlungen keine Angaben.“
Im Fall von Leibold schien Nürnberg ohnehin die Rechnung ohne den Wirt gemacht zu haben. Denn obwohl Spielerberater grundsätzlich nicht den besten Ruf genießen, soll sich Herzog auf eine derartige Geheimabsprache offenbar partout nicht haben einlassen wollen.
HSV-Sportvorstand Jonas Boldt glücklich über Neuzugang
Das Ende vom Lied: Leibold wechselte – für 1,8 Millionen Euro. „Er hat sich die Entscheidung sehr schwer gemacht und war hin- und hergerissen, ob er es machen soll oder nicht. Aber dann ging doch alles ganz schnell“, ließ sich Palikuca seinerzeit zitieren.
Und HSV-Sportvorstand Jonas Boldt? Der betont zweieinhalb Wochen nach dem Ende der Wechselfrist nur noch einmal, wie glücklich er über seinen Schnäppchenzugang aus dem Frankenland sei. Es sei ja ein Transfer gewesen, der erst sehr spät vonstatten gegangen war. „Ein sehr bewusster Transfer“, sagt Boldt und lobt: „Wir legen großen Wert auf eine funktionierende Mannschaft. Da war Tim eine wichtige Nummer. Wir kennen seine Stärken, sowohl auf dem Platz als auch in der Kabine.“ Dass zu diesen Stärken offenbar auch Ehrlichkeit (und vor allem ein aufrichtiger Berater) zählt, sagt Boldt am Donnerstag nicht. Und Leibold? „Ich hatte eine schöne Zeit in Nürnberg“, sagte er gestern kurz und knapp nach dem Vormittagstraining. Und: „Ich komme gerne nach Nürnberg zurück.“