Hamburg. Nach der Derby-Pleite muss der HSV zeigen, dass er aus den Fehlern der vergangenen Saison gelernt hat. Der Trainer macht den Anfang.
Wie eine Gruppe geprügelter Matrosen gingen die Profis des HSV am Dienstagmorgen um 10.30 Uhr aus dem Videoraum im Erdgeschoss des Volksparkstadions. Einer nach dem anderen lief hinter dem Pult vorbei, an dem Trainer Dieter Hecking anschließend seine Analyse den Medienvertretern erklären sollte.
Vor allem Stürmer Lukas Hinterseer schlich nach seinen vergebenen Chancen am Vorabend mit einem Gesichtsausdruck durch die Katakomben, als habe der HSV den Aufstieg verspielt. Dabei war es lediglich die erste Saisonniederlage, die das Team zu verarbeiten hatte. Und doch schmerzte dieses 0:2 im Stadtderby beim FC St. Pauli offenbar mehr, als der HSV es zugeben wollte.
Nur einer stand wenig später an seinem Pult und ließ an keiner Haarspitze erkennen, dass diese Niederlage den HSV aus der Bahn bringen könnte: Trainer Hecking. Der 55-Jährige benutzte das Bild eines Tankers, der auf der Ostsee zu sinken drohte und den man in den vergangenen Wochen zusammen wieder „in die Waagerechte gebracht“ hatte.
„Gestern mussten wir den Motor wieder etwas zurückschrauben, aber wir bringen ihn wieder ans Laufen“, sagte Hecking nicht nur den Medien, sondern auch seiner Mannschaft in der Videoanalyse. Hecking hätte auch Panik-Rocker Udo Lindenberg zitieren können, der einst sang: „Keine Panik auf der Titanic“.
HSV ließ die nötige Galligkeit vermissen
Captain Hecking und seine Crew wähnen sich also weiter auf dem richtigen Weg Richtung Bundesliga. Und doch gab die verlorene Stadtmeisterschaft viele Aufschlüsse, wie schnell es beim HSV wieder Richtung Untergang gehen kann. Nämlich dann, wenn man sich schon im sicheren Fahrwasser zu bewegen glaubt. „Vielleicht brauchten wir diese Niederlage, um zu spüren, dass es auch mal eine Niederlage geben wird, wenn wir nur bei 97 Prozent sind“, sagte Hecking. „Jetzt haben wir einen ersten Schuss vor den Bug bekommen. Da gilt es bei allen die Antennen wieder hochzustellen.“
Die Bilder des Stadtderbys:
Pyro und zwei Tore – FC St. Pauli schlägt den HSV
Erinnerungen wurden am Montagabend wach an die vergangene Saison. Auch da stand der HSV mit vier Siegen aus den ersten fünf Spielen an der Tabellenspitze und wurde von der „Bild“ bereits als „Bayern München der Zweiten Liga“ betitelt. Was folgte, war ein 0:5 gegen Jahn Regensburg, weil der HSV einen Spannungsabfall erlitt. Auch gegen St. Pauli ließ Heckings Team in der ersten halben Stunde die nötige Galligkeit vermissen. „Das war keine Derby-würdige Leistung, und deswegen haben wir verdient verloren“, sagte Kapitän Aaron Hunt, dessen Einwechslung dem HSV nach der Halbzeit mehr Struktur gab, die Niederlage aber nicht verhinderte.
Hecking: "Das ist so nicht zu akzeptieren"
Hecking dagegen hatte bei seiner Mannschaft kein Motivationsproblem ausgemacht. Vielmehr seien es spieltaktische Ideen gewesen, die sein Team missachtet hätte. „Die Umsetzung hat mich überrascht, weil wir es anders besprochen hatten. Wir haben keinen Zugriff gehabt, wir standen zu weit auseinander. Das erste Gegentor fällt zu einfach.“ Noch mehr ärgerte sich Hecking über das zweite Gegentor mitten in der stärksten Phase des HSV. Bei einem schnell ausgeführten Freistoß standen seine Spieler nicht geordnet. Dabei hatte Hecking diese Szene explizit in der Vorbereitung als Variante bei St. Pauli angesprochen. „Das ist so nicht zu akzeptieren“, klagte der Cheftrainer.
Mit der Videoanalyse am Morgen wollte Hecking das Derby dann aber auch abhaken. „Dass der Nachbar feiert, hat er sich verdient. Uns ärgert das. Das darf uns aber nicht zu lange ärgern, weil wir am Sonntag wieder drei Punkte holen müssen“, sagte der Trainer. „Die Derbykarten werden in einem halben Jahr neu gemischt.“ Entscheidend sei nun, die richtigen Lehren zu ziehen. Eine davon dürfte auch früheren Trainern des HSV bekannt vorkommen: „Es gibt keine Selbstläufer“, sagte Hecking. Das gelte insbesondere für den kommenden Gegner aus dem Erzgebirge. „Aue ist kein Kleiner. Die haben elf Punkte. Das ist genau diese Denke, die ich beim HSV ausgemacht habe. Da versuche ich gegen anzugehen.“
Der Fußballlehrer muss im Volkspark die Herausforderung meistern, den schweren Dampfer HSV selbstbewusst zu steuern, ohne dabei zu schnell die Attitüde eines Luxus-Kreuzfahrers anzunehmen. „Wir werden nicht wie das Messer durch die zarte Butter schmelzen“, sagte Hecking und wechselte damit in die Metaphorik der Kulinarik.
Vagnoman soll eine weitere Chance erhalten
Seinen Spielern machte Hecking klar, dass es keinen Grund gebe, sich nach der Derbypleite zu verstecken. „Ich habe ihnen gesagt: Geht raus, zeigt euch in der Stadt, akzeptiert die Derbyniederlage. St. Pauli war diesmal einen Tick besser. Es gibt aber keinen Grund, mit gesenktem Kopf herumzulaufen.“ Damit adressierte er zum einen Stürmer Hinterseer, der die Riesenchance zum Ausgleich vergab. „Lukas hätte der Held werden können. Die beste Antwort wären jetzt zwei Tore am Sonntag gegen Aue.“
Aber auch der junge Josha Vagnoman durfte sich angesprochen fühlen. In seinem ersten Spiel unter Hecking von Beginn an tat sich der 18-Jährige als Ersatz des verletzten Jan Gyamerah schwer. Im Laufe der Partie legte das Eigengewächs seine Nervosität ab. „Einem 18-Jährigen muss man in seinem ersten großen Derby zugestehen, dass noch nicht alles rundläuft“, sagte Hecking. Gegen Aue wird Vagnoman wohl die nächste Chance bekommen. „Ich würde heute dazu tendieren, ihn wieder spielen zu lassen“, sagte Hecking.
Schiffbruch wird der HSV nicht erleiden, da ist sich der Trainer sicher. „Aber wir brauchen einen langen Atem.“ Und wer den Steuermann kennt, der weiß, dass er den Sturm aushalten kann.