Hamburg. Ausrutscher oder Apokalypse? Spiel eins nach der Derby-Niederlage entscheidet über die Bewertung des verlorenen Stadtduells.

Es wäre wohl ein wenig übertrieben, zu behaupten, dass die Party im Hause Gonther am Montag bis tief in die Nacht ging. Doch die gute Laune der sechsköpfigen Feiergesellschaft im heimischen Wohnzimmer in Dresden will Sören Gonther auch Tage später nicht kleinreden. „Mein Fußballherz schlägt immer noch auch für St. Pauli“, gibt der Ex-Kiezkicker zu. „Deswegen haben wir uns auch sehr gefreut, haben mit dem einen oder anderen Kaltgetränk auf den Derbysieg angestoßen. Für mindestens ein halbes Jahr ist Hamburg braun-weiß.“

Geht es nach Gonther, dann darf es am Sonntag gerne auch lila-weiß statt braun-weiß heißen. Der 32 Jahre alte Innenverteidiger, der fünf Jahre lang für St. Pauli spielte, ist am Wochenende mit seinem neuen Club Erzgebirge Aue im Volkspark zu Gast.

„Grundsätzlich hat der HSV natürlich eine brutal starke Mannschaft. Für uns wird es das schwerste Saisonspiel. Jeder im Stadion wird erwarten, dass der HSV nun gegen das kleine Aue gewinnt, am besten sogar deutlich“, sagt Gonther, der sich trotzdem etwas im Spiel gegen den großen HSV ausrechnet: „Genau das ist ja unsere Chance. Wir werden mutig nach Hamburg fahren.“

Auch Stuttgart konnte Aue nicht schlagen

Aues Mut ist gut begründet. In sieben Saison-Pflichtspielen (Liga und Pokal) wurde der FC Erzgebirge bislang nur einmal geschlagen. Längst gilt Aue als Überraschungsteam der Zweiten Liga, was auch der VfB Stuttgart bereits schmerzlich erkennen musste. Gegen den Tabellenführer erkämpfte (und erspielte) sich der mutmaßliche Außenseiter aus dem Erzgebirge ein torloses Remis. Bleibt die Frage: Warum Aue?

„Aue ist eine gewachsene Mannschaft“, sagt ein Hamburger, der diese Mannschaft wie kein anderer Hamburger kennt. Für Hannes Drews, U-21-Trainer beim HSV und bis zum vergangenen Sommer Cheftrainer beim FC Erzgebirge, ist die Entwicklung seines alten Teams keine wirkliche Überraschung. „Erstmals seit vielen Jahren konnten die Verantwortlichen das Gros der Mannschaft im Sommer beisammenhalten – und sich zudem punktuell verstärken. Zum Beispiel mit Sören Gonther in der Innenverteidigung.“

Gonther ist geschmeichelt. „Das hört man gerne. Schöne Grüße an Herrn Drews nach Hamburg“, sagt der Abwehrmann, der aber auch inhaltlich mit Drews einer Meinung ist: „Schon vor meinem Wechsel hatte ich mich intensiv mit Aues Mannschaft beschäftigt. Und positiv ist mir aufgefallen, dass man die Leistungsträger und den Kern der Mannschaft beisammenhalten konnte. Die Mannschaft ist eingespielt, ist erfahren und hat eine gute Achse.“

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Aue: Machtkampf führte zu Trainerwechsel

Hauptsächlich verantwortlich für den Überraschungserfolg der Mannschaft, auch da sind sich Drews und Gonther einig, ist einer, den sie in Aue nur „Mister Erzgebirge“ nennen. „Helge Leonhardt ist der große Macher von Aue. Er lebt den Verein wie kein Zweiter“, antwortet Drews auf die Frage nach dem Erzgebirge-Präsidenten. Und Gonther ergänzt: „Er ist positiv verrückt. Jeder hier in Aue weiß genau, was ihm der Club bedeutet. In Aue geht nichts ohne die Meinung von Helge Leonhardt.“

Dass diese Meinung bisweilen auch kontrovers sein kann, musste in dieser Saison bereits Daniel Meyer spüren. Der Trainer wurde nach drei Siegen aus den ersten vier Pflichtspielen und „einem vertraulichen und persönlichen Gespräch“ beurlaubt, wie es im offiziellen Kommuniqué des Clubs hieß. Auf Meyer folgte auch kein Müller oder Schulze, sondern Schuster, Dirk Schuster.

Hinter vorgehaltener Hand kursiert in Aue nun die Version, dass „Mister Erzgebirge“ Leonhardt gerne ein gewichtiges Wörtchen in den sportlichen Personalüberlegungen mitgesprochen hätte, was Meyer wiederum nicht akzeptieren wollte. „Wie ein Sportdirektor bei anderen Vereinen möchte Helge Leonhardt vorab wissen, welche Ideen man als Trainer im Kopf hat. Er hat auch immer seine eigene Meinung“, erinnert sich Drews an seine Aue-Zeit. „Aber in meinem Fall wollte er nie eingreifen. Helge Leonhardt möchte mitgenommen und informiert werden. Und das ist auch sein gutes Recht.“

Aue hat sich zum Überraschungsteam gemosert

Über seine Rechte soll „der König vom Auenland“ („11Freunde“) ganz genau Bescheid wissen. Leonhardt ist Präsident, Sportchef, Mäzen, Sponsor und manchmal sogar ein bisschen Trainer in Personalunion. Gemeinsam mit Zwillingsbruder Uwe lenkt er die Geschicke seines Herzensvereins mit einer Ausnahme von fünf Jahren bereits seit 1992. Zunächst war Uwe Präsident, Bruder Helge saß im Aufsichtsrat. 2014 tauschten sie dann die Rollen.

„In den Neunzigern standen alle Fans noch wie echte Patrioten hinter der Führung“, sagte Helge Leonhardt mal. Eine flammende Muttertagsrede („Liebe Kameraden“), in der er auf dem Stadionrasen mit Sonnenbrille zum Auer Publikum spricht, hat es kürzlich sogar ungewollt zum YouTube-Hit geschafft: „Es leben die Mütter als Grundpfeiler der Gesellschaft“, bellte Leonhardt ins Mikrofon – und schrie den weiblichen Anhängern im Stadion noch einen gut gemeinten Rat entgegen: „Den Frauen, die noch keine Mütter sind, eine Botschaft“, rief er, und brüllte dann: „Werdet Mütter!“

Nun ja. Gonthers Frau Johanna hat sich den Rat offenbar zu Herzen genommen. Drei Kinder hat die Familie Gonther. Und geht es nach Leonhardt, dann darf Papa Sören an diesem Wochenende in Hamburg gerne nachziehen. Mit drei Punkten.

Pyro und zwei Tore: Die Bilder des Stadtderbys:

Pyro und zwei Tore – FC St. Pauli schlägt den HSV

HSV-Kapitän Rick van Drongelen ist bedient: Der FC St. Pauli siegt mit  2:0 im Stadtderby.
HSV-Kapitän Rick van Drongelen ist bedient: Der FC St. Pauli siegt mit 2:0 im Stadtderby. © Witters
St. Pauli jubelt über das 1:0: Torschütze Diamantakos lässt die Muskeln spielen.
St. Pauli jubelt über das 1:0: Torschütze Diamantakos lässt die Muskeln spielen. © Witters
Rick van Drongelen unterlief ein unglückliches Eigentor zum 2:0 für St. Pauli.
Rick van Drongelen unterlief ein unglückliches Eigentor zum 2:0 für St. Pauli. © Witters
Kurz vor der Pause erzielte Hinterseer den mutmaßlichen Ausgleich für den HSV. Doch der Treffer zählte nicht, weil der Ball beim Abspiel Jattas im Toraus gewesen sein soll.
Kurz vor der Pause erzielte Hinterseer den mutmaßlichen Ausgleich für den HSV. Doch der Treffer zählte nicht, weil der Ball beim Abspiel Jattas im Toraus gewesen sein soll. © Witters
Manche können es einfach nicht lassen: Der Anpfiff der zweiten Hälfte verzögerte sich wegen der Pyro-Inszenierung der Ultras auf beiden Seiten.
Manche können es einfach nicht lassen: Der Anpfiff der zweiten Hälfte verzögerte sich wegen der Pyro-Inszenierung der Ultras auf beiden Seiten. © Witters
Die Rechnung für diese Clowns zahlen mal wieder die Vereine.
Die Rechnung für diese Clowns zahlen mal wieder die Vereine. © Witters
Der FC St. Pauli war viel aggressiver und handlungsschneller als der HSV.
Der FC St. Pauli war viel aggressiver und handlungsschneller als der HSV. © Witters
Hecking schimpfte an der Seitenlinie über das Gegentor und korrigierte anschließend einiges an der Grundordnung seines Teams.
Hecking schimpfte an der Seitenlinie über das Gegentor und korrigierte anschließend einiges an der Grundordnung seines Teams. © Witters
Knoll räumt HSV-Spielmacher Kittel unsanft ab.
Knoll räumt HSV-Spielmacher Kittel unsanft ab. © Witters
Dieses Bild täuscht: Tim Leibold und der HSV waren in der ersten Halbzeit meistens einen Schritt zu spät gegen Finn Ole Becker und St. Pauli.
Dieses Bild täuscht: Tim Leibold und der HSV waren in der ersten Halbzeit meistens einen Schritt zu spät gegen Finn Ole Becker und St. Pauli. © imago / MIS
Duell der Topsprinter Conteh gegen Narey.
Duell der Topsprinter Conteh gegen Narey. © Witters
Youngster Vagnoman ersetzte den schwer verletzten Gyamerah rechts hinten in der Viererkette.
Youngster Vagnoman ersetzte den schwer verletzten Gyamerah rechts hinten in der Viererkette. © Witters
Dadurch konnte Rechtsaußen Narey, der im Vorfeld von einigen als Rechtsverteidiger gehandelt worden war, auf seiner Stammposition bleiben.
Dadurch konnte Rechtsaußen Narey, der im Vorfeld von einigen als Rechtsverteidiger gehandelt worden war, auf seiner Stammposition bleiben. © imago / Beautiful Sports
HSV-Keeper Heuer Fernandes bekam in der Anfangsphase mehr zu tun als ihm lieb war.
HSV-Keeper Heuer Fernandes bekam in der Anfangsphase mehr zu tun als ihm lieb war. © Witters
HSV-Profi Bakery Jatta wurde von den St.-Pauli-Fans mit Respekt empfangen. Auf dem Platz fand er kaum statt.
HSV-Profi Bakery Jatta wurde von den St.-Pauli-Fans mit Respekt empfangen. Auf dem Platz fand er kaum statt. © Witters
Adrian Fein war der beste HSVer in einer schwachen ersten Hälfte aus Sicht der Gäste.
Adrian Fein war der beste HSVer in einer schwachen ersten Hälfte aus Sicht der Gäste. © imago / Beautiful Sports
St. Paulis Knoll im Duell der Mittelfeldarbeiter mit Kinsombi.
St. Paulis Knoll im Duell der Mittelfeldarbeiter mit Kinsombi. © Witters
Tolle Geste: Die HSV-Profis wärmten sich geschlossen im Trikot des schwer verletzten Jan Gyamerah auf.
Tolle Geste: Die HSV-Profis wärmten sich geschlossen im Trikot des schwer verletzten Jan Gyamerah auf. © Witters
St. Paulis Kultfan, Schauspieler Axel Prahl (an der Seite von Geschäftsführer Andreas Rettig), ließ sich das Hamburger Stadtderby nicht entgehen.
St. Paulis Kultfan, Schauspieler Axel Prahl (an der Seite von Geschäftsführer Andreas Rettig), ließ sich das Hamburger Stadtderby nicht entgehen. © Witters
Anders als im Vorfahr verlief die Anfahrt des HSV-Mannschaftsbusses am Millerntor diesmal relativ friedlich.
Anders als im Vorfahr verlief die Anfahrt des HSV-Mannschaftsbusses am Millerntor diesmal relativ friedlich. © Witters
Auch der Einlass der rivalisierenden Fanlager verlief friedlich.
Auch der Einlass der rivalisierenden Fanlager verlief friedlich. © Witters
3000 HSV-Fans beteiligten sich am Derbymarsch durch den Schanzenpark bis zum Millerntor-Stadion.
3000 HSV-Fans beteiligten sich am Derbymarsch durch den Schanzenpark bis zum Millerntor-Stadion. © dpa
Unmittelbar vor der Ankunft am Stadion musste der Marsch ein zweites Mal gestoppt werden.
Unmittelbar vor der Ankunft am Stadion musste der Marsch ein zweites Mal gestoppt werden. © dpa
Der Grund war ein Rauchtopf.
Der Grund war ein Rauchtopf. © dpa
Der Fanmarsch begann um 17.35 Uhr mit rund 1500 HSV-Anhängern im Schanzenpark.
Der Fanmarsch begann um 17.35 Uhr mit rund 1500 HSV-Anhängern im Schanzenpark. © dpa
Die Polizei setzte Kameras ein, um mögliche Straftäter zu überführen. Die Stimmung blieb friedlich.
Die Polizei setzte Kameras ein, um mögliche Straftäter zu überführen. Die Stimmung blieb friedlich. © dpa
3000 HSV-Fans ziehen bei ihrem Marsch zum Millerntor-Stadion über die Karolinenstraße. Die Polizei rüstete sich mit Wasserwerfern, die aber nicht zum Einsatz kamen.
3000 HSV-Fans ziehen bei ihrem Marsch zum Millerntor-Stadion über die Karolinenstraße. Die Polizei rüstete sich mit Wasserwerfern, die aber nicht zum Einsatz kamen. © dpa
Während des rund 50-minütigen HSV-Fanmarsches waren mehrere Straßen im Karoviertel gesperrt.
Während des rund 50-minütigen HSV-Fanmarsches waren mehrere Straßen im Karoviertel gesperrt. © dpa
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