Rotenburg. Kann der HSV-Trainer mit dem Druck umgehen? Hannes Wolf will Ingolstadt überraschen, ohne seine Spieler weiter zu verunsichern.
Hannes Wolf achtete auf jedes Detail. Mit den Händen in den Jackentaschen beobachtete der HSV-Trainer am Donnerstag die Einheit in Rotenburg an der Wümme. Immer wieder unterbrach er die Standardübungen, um seine Spieler zu korrigieren, teilweise auch lautstark. Es war vor allem eine Situation, die ihn störte: Nachdem der Ball die Seitenlinie überquert hatte, blieb Bakery Jatta für einen Augenblick stehen und verpasste den Moment des Umschaltens von Angriff auf Abwehr. Wolf lief auf den Platz und gab dem Flügelspieler mit ausgebreiteten Armen deutlich zu verstehen, was er davon hielt.
„Wenn der Ball ins Aus geht, können wir nicht fünf Sekunden nachdenken und abschalten, sondern wir müssen laufen und ans Limit gehen“, erklärte der HSV-Coach nach der Einheit.
Das Restprogramm der Aufstiegskandidaten
Drei Tage vor dem so wichtigen Heimspiel des HSV gegen den FC Ingolstadt (Sonnabend, 13 Uhr, live bei Sky und bei abendblatt.de) schärft Wolf die Sinne seiner Profis. Nachdem die Hamburger durch den Absturz auf Platz vier den Aufstieg zu verspielen drohen, ist der 38-Jährige verstärkt als Psychologe gefragt. „Wir sind vom Gejagten zum Jäger geworden. Diese Rolle wollen wir leben, und dafür müssen wir das Vertrauen in die eigene Stärke zurückgewinnen“, sagt Wolf, der nach nur drei Punkten aus sechs Spielen die Verunsicherung aus den Köpfen seiner Spieler kriegen muss.
Hannes Wolf: zeit der Experimente vorbei
Der gebürtige Bochumer weiß, dass drei Spieltage vor Saisonende die Zeit der Experimente vorbei ist. Bei der 0:2-Pleite bei Union Berlin missglückte sein in der Rückrunde schon häufig praktizierter Versuch gewaltig, den Gegner mit einer neuen Formation zu überraschen.
Der seit Wochen formschwache Gideon Jung wirkte auf ungewohnter Position als rechter Part einer defensiven Dreierkette komplett überfordert. Durch die Umstellung, Jatta zumindest für eine Halbzeit als Sturmspitze agieren zu lassen, beraubten sich die Hanseaten ihrer größten Stärke. Mit dem Rücken zum Tor kamen die Sprintqualitäten des Gambiers kaum zur Geltung.
HSV-Trainingslager in Rotenburg
HSV beschwört den Geist von Rotenburg
Anders als in den Ligaspielen in Köln (1:1) und beim St. Pauli (4:0) sowie im DFB-Pokal in Paderborn (2:0) und zumindest in der ersten Hälfte gegen Leipzig (1:3), in denen Wolfs taktische Maßnahmen aufgingen, verunsicherte er seine Mannschaft in Berlin durch falsche Entscheidungen.
Gegen Ingolstadt wird Wolf nun wieder auf eine bewährte Formation setzen: „Wir versuchen, ein Grundgerüst zu vermitteln, an dem die Spieler sich festhalten können. Im Ballbesitz haben wir klare Abläufe, denn wir brauchen ein Gefühl von Vertrauen.“ Auch wenn der Trainer „erst sehr spät“ über seine Aufstellung entscheiden will, bedeutet dies im Einzelnen, dass Jung aus der Startelf rotiert und Jatta auf Linksaußen wirbelt.
Der Einsatz von Mangala und Hunt ist noch offen
Ob die spielstarken, aber angeschlagenen Orel Mangala (Fußprellung) und Kapitän Aaron Hunt (Rücken) dem HSV wieder zu mehr Struktur verhelfen können, ist noch unklar. Sehr wahrscheinlich ist es dagegen, dass Pierre-Michel Lasogga im Angriff für mehr Torgefahr sorgen soll. Für einen Einsatz des Sturmbullen spricht außerdem sein Defensivverhalten bei gegnerischen Standards. Eine Qualität, die nun besonders gegen die abstiegsbedrohten, aber zuletzt zweimal siegreichen Bayern gefragt sein wird.
„Ingolstadt ist kopfballstark und gefährlich bei Standards, da müssen wir mit aller Intensität dagegenhalten“, fordert Wolf, der sichtlich angespannter wirkt als noch vor wenigen Wochen. „Selbstverständlich merke ich das. Es wäre ja Wahnsinn, das Gegenteil zu behaupten“, antwortet der HSV-Coach, als er auf den für ihn persönlich gestiegenen Druck angesprochen wird. „Es ist wichtig, damit richtig umzugehen – vor allem vor der Mannschaft.“
Es geht um die Grundtugenden des Fußballs
Denn seine Ansprachen vor den Spielern sollen wieder zu mehr Aggressivität auf dem Platz führen als zuletzt. Nach der Partie in Berlin hatte der für den Kader verantwortliche Sportvorstand Ralf Becker „fehlende Typen“ moniert. Auch Wolf klagte über mangelnde Bereitschaft, läuferisch und kämpferisch an die Grenze zu gehen. Es sind Grundtugenden des Fußballs, die den HSV noch zu Beginn der Amtszeit von Wolf ausgezeichnet hatten.
Seit dem Derbysieg vor siebeneinhalb Wochen gegen den FC St. Pauli scheinen den Profis diese Attribute jedoch phasenweise abhanden gekommen zu sein. Durch teamstärkende Maßnahmen wie ein Dartsturnier unter den Spielern sowie zwei gemeinsame Abende vor dem Fernseher zu den Champions- und Europa-League-Spielen soll das Wir-Gefühl und der Wille, ans Leistungslimit zu gehen, gefördert werden. „Wir müssen diese Stärke wieder fühlen und sie uns im Spiel zurückholen“, sagt Wolf. Sein Schlussappell für das kommende Heimspiel: „Es wäre gut, wenn’s jetzt abgeht!“