Hamburg. HSV scheint den Aufstieg zu verspielen. Nun soll ein Kurz-Trainingslager die Wende bringen. Wurde der Kader falsch zusammengestellt?

„War’s das schon?“ fragte Hannes Wolf in einem süffisant-sarkastischen Ton, als er am Montagmittag auch die letzte Frage beantwortet hatte. 15 Minuten und 35 Sekunden hatte die TV-Analyse mit dem HSV-Trainer am Tag nach dem 0:2 bei Union Berlin und dem damit verbundenen Absturz aus den Aufstiegsrängen gedauert. Quälend lange Minuten, die Wolf geduldig und höflich versuchte, mit Antworten, Inhalten und Erklärungen zu füllen. Mit der entscheidenden Frage tat sich der Fußballlehrer aber schwer: Wie konnte das passieren? Wolf holte kurz Luft, machte eine Gedankenpause und sagte dann: „Es sind verschiedene Dinge.“

Um es vorweg zu nehmen: Nein, das war es noch nicht für Hannes Wolf. Trotz einer bislang desaströsen Rückrunde in der Zweiten Liga mit schon sechs Niederlagen, nur 16 Punkten aus 14 Spielen und nun schon sechs Partien in Serie ohne Sieg wird der HSV-Vorstand um Bernd Hoffmann und Ralf Becker an seinem Trainer festhalten. Und auch der 38-Jährige, der in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten ist, will nur einen Teil der Verantwortung übernehmen. „Ich ziehe mir nicht jeden Schuh an“, sagte der 38-Jährige am Montag.

Mentalität, Wille und Bereitschaft

Stattdessen wiederholte Wolf die Worte seines Sportchefs Becker, der bereits unmittelbar nach dem Abpfiff des Union-Spiels von fehlenden Typen und Führungsspielern innerhalb der Mannschaft sprach. „Wir haben viele Spieler, die ihre Verfassung suchen“, sagte Wolf nun über die Gründe der Fehlentwicklung im Jahr 2019. Immer wieder ging es dabei um Themen wie Mentalität, Wille und Bereitschaft. „Die maximale Schärfe, sich einzubringen und hart zu trainieren, habe ich zuletzt schon vermisst. Wir können schon mehr laufen. Es muss jetzt jeder verstehen, dass wir uns hier reinknallen und reinfeuern müssen.“ Und noch einmal: „Wir haben viele Spieler, die nicht auf dem Level waren.“

Bilder von der Niederlage in Berlin:

Der Untergang: HSV verliert bei Union Berlin

Bengalisches Feuer vor dem Spiel - kein Feuer beim HSV.
Bengalisches Feuer vor dem Spiel - kein Feuer beim HSV. © WITTERS | TimGroothuis
Josha Vagnoman (HSV) liegt vor Berlins Trainer Urs Fischer
Josha Vagnoman (HSV) liegt vor Berlins Trainer Urs Fischer © WITTERS | TimGroothuis
Ratlos: Trainer Hannes Wolf (HSV)
Ratlos: Trainer Hannes Wolf (HSV) © WITTERS | TimGroothuis
Julian Ryerson und Josha Vagnoman
Julian Ryerson und Josha Vagnoman © WITTERS | TimGroothuis
Pyro, nein danke?
Pyro, nein danke? © Bongarts/Getty Images | Boris Streubel
Berlins Christopher Trimmel (r) kämpft gegen Josha Vagnoman vom Hamburger SV um den Ball.
Berlins Christopher Trimmel (r) kämpft gegen Josha Vagnoman vom Hamburger SV um den Ball. © dpa | Andreas Gora
Grischa Proemel hier mit Khaled Narey.
Grischa Proemel hier mit Khaled Narey. © Bongarts/Getty Images | Boris Streubel
Auch Aaron Hunt war außer Form.
Auch Aaron Hunt war außer Form. © dpa | Andreas Gora
Bakery Jatta (HSV) vergab eine große Chance .
Bakery Jatta (HSV) vergab eine große Chance . © WITTERS | TimGroothuis
Leo Lacroix
Leo Lacroix © Bongarts/Getty Images | Boris Streubel
Getümmel: Hee-Chan Hwang wurde eingewechselt, blieb aber farblos.
Getümmel: Hee-Chan Hwang wurde eingewechselt, blieb aber farblos. © WITTERS | TimGroothuis
Choreographie im Stadion an der Alten Försterei Berlin
Choreographie im Stadion an der Alten Försterei Berlin © WITTERS | TimGroothuis
Bakery Jatta und Ken Reichel
Bakery Jatta und Ken Reichel © Bongarts/Getty Images | Boris Streubel
Wegweisend? Pierre-Michel Lasogga (HSV)
Wegweisend? Pierre-Michel Lasogga (HSV) © WITTERS | TimGroothuis
Trainer Hannes Wolf und Sportdirektor Ralf Becker (HSV)
Trainer Hannes Wolf und Sportdirektor Ralf Becker (HSV) © WITTERS | TimGroothuis
Berkay Özcan und Julian Ryerson
Berkay Özcan und Julian Ryerson © Witters
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Eine Analyse, die Fragen aufwirft. Hat der HSV mal wieder ein Mentalitätsproblem? Wurde der Kader für die nervliche Belastung des Aufstiegszwangs falsch zusammengestellt? Wenn Becker von fehlenden Führungsspielern spricht, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er bei der Auswahl der Führungsachse danebengelegen hat. Wenn Wolf von einem schlechten Zustand der Mannschaft spricht, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er für den körperlichen und mentalen Zustand der Spieler verantwortlich ist? Und Vorstandschef Bernd Hoffmann? Der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zusammen mit Sportvorstand Ralf Becker vor der Saison Trainer Christian Titz freie Hand bei der Auswahl der Führungsspieler gelassen zu haben, obwohl man zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass Titz nur ein Trainer auf Zeit sein werde.

Gideon Jung sucht seine Form

Titz setzte vor der Saison auf die Führungsachse um Gideon Jung, Gotoku Sakai, Lewis Holtby und Aaron Hunt. Und heute? Kapitän Hunt ist dauerverletzt und droht gegen Ingolstadt wegen einer Rückenverletzung erneut auszufallen. Vizekapitän Holtby wurde suspendiert und darf ab sofort nur noch bei der U 21 trainieren, weil er sich weigerte, als Ersatzspieler mit nach Berlin zu fahren. Holtbys Einsicht, die er am Sonntagabend über seine sozialen Kanäle teilte („Die Gäule sind mit mir durchgegangen“), kam zu spät.

Aushilfskapitän Sakai flog nach einer Formschwäche aus der Startelf und Gideon Jung ist nach seinem Knorpelschaden auf der Suche nach seiner früheren Verfassung. Gegen Berlin patzte er vor dem 0:1 schwer. Warum Wolf seit Wochen an Jung festhält, sorgt in der Fanszene für Unverständnis.

„Wir brauchen die Gideon Jungs und Go Sakais in dieser Phase“, sagte Wolf, der in dieser Woche genau überprüfen will, auf welche Spieler er sich in den letzten drei Saisonpartien und zwei möglichen weiteren Nervenspielen in der Relegation verlassen kann. Aus diesem Grund wird der HSV von Mittwoch bis Freitag einmal mehr ein Kurztrainingslager beziehen. Wie schon 2015 im Abstiegskampf unter Bruno Labbadia und 2017 unter Markus Gisdol geht es für den HSV-Tross nach Rotenburg an der Wümme.

Die Option Malente wurde ebenfalls geprüft, aber aufgrund der suboptimalen Trainingsplätze verworfen. „Wir wollen uns einschwören und müssen jetzt die Spieler finden, die sich für den HSV und in unserer neuen Rolle als Jäger zerreißen“, sagt Wolf.

Stabile Achse finden

Für den Trainer geht es jetzt auch darum, eine stabile Achse zu finden, die der nervlichen Belastung und der fußballerischen Herausforderung in den letzten Saisonwochen gewachsen ist. Probiert hat der Trainer in den vergangenen Spielen viel. Wahrscheinlich zu viel. In einem Spitzenspiel wie am Sonntag ohne gelernten Stürmer zu starten sorgte nicht nur extern für Unverständnis. Anders als bei Titz, der vor seiner Entlassung im Oktober ähnliche Fehler beging, stützen die Clubbosse ihren Trainer in dieser Phase nach innen und nach außen. Wolf muss dieses Vertrauen nun mit richtigen Entscheidungen zurückzahlen.

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Der Trainer ist wiederum darauf angewiesen, dass seine Spieler alles dafür tun, körperlich in den besten Zustand zu kommen. So wie Léo Lacroix, der überraschend in den vergangenen drei Ligaspielen zum Leistungsträger aufstieg und neben Verteidiger Rick van Drongelen (20) die Rolle des Führungsspielers angenommen hat. Warum Lacroix über Wochen gar keine Rolle mehr beim HSV spielte, begründete Wolf am Montag wie folgt: „Er hat Phasen gehabt, in denen er nicht so gut trainiert hat. Zudem haben wir mit David Bates extrem oft zu null gespielt. Du willst als Trainer ja auch Verlässlichkeit bieten und nicht ständig den Innenverteidiger wechseln.“

Zeit der Wechselspiele muss vorbei sein

Die Zeit der Wechselspiele muss beim HSV nun vorbei sein. Was gar nicht so leicht ist, wenn Führungsspieler wie Hunt oder Stürmer Pierre-Michel Lasogga immer wieder mit muskulären Verletzungen zu tun haben. Auch Orel Mangala, der mit 21 Jahren zwar kein Führungsspieler, aber Leistungsträger ist, droht wegen seiner Fußverletzung am Sonnabend gegen Ingolstadt erneut auszufallen. Jungen Spielern wie Berkay Özcan (21), Vasilije Janjicic (20) oder Josha Vagnoman (18) fehlt noch die Konstanz, um das Fehlen der Führungsspieler zu kompensieren.

Ohnehin ist beim HSV intern die Ansicht gereift, dass die Mannschaft offenbar doch zu jung zusammengestellt wurde. Sollte der Club den Wiederaufstiegverfehlen, dürfte der Fokus auf dem Transfermarkt verstärkt auf erfahrenen Spielern wie Bochums Stürmer Lukas Hinterseer (28/18 Saisontore) liegen.

Noch aber war es das ja nicht. Der Wiederaufstieg ist ja weiterhin möglich. „Wir müssen uns jetzt zerreißen für das Ziel“, sagte Wolf zum Abschluss. Dann wäre zwar nicht alles gut. Aber möglicherweise das Ende.