Hamburg. Hamburgs Fans freuen sich auf Woods und Hunts Rückkehr, sorgen sich aber vor den Spielen gegen Dortmund und Bayer vor dem Absturz.

Der Arbeitsauftrag für den trainingsfreien Sonntag war unmissverständlich formuliert: viel pflegen, ein wenig ausruhen, und wenn es zeitlich passt, dann bitteschön auch noch entspannen. „Für uns geht es jetzt erst einmal darum, die Wunden zu lecken“, sagte HSV-Trainer Markus Gisdol, der mit dem verbalen Wundenlecken bereits am Tag nach dem 0:2 in Hannover anfing: „Es waren ein bisschen zu viele Ausfälle für uns“, sagte der Coach. „Aber jetzt zu lamentieren bringt ja nichts. Nun müssen eben die anderen einspringen.“ Gisdol machte ein ernstes Gesicht, bemühte sich aber, dabei so entschlossen wie möglich zu wirken: „Und das werden sie auch.“

Gisdols Gesicht spiegelte das aktuelle HSV-Dilemma trefflich wider. Man ist in einer veritablen Einerseits-Andererseits-Situation gefangen. Einerseits zehren Trainer und Team noch immer von den beiden Auftaktsiegen gegen Augsburg (1:0) und Köln (3:1). Andererseits ärgert man sich über die chancenlosen Niederlagen gegen Leipzig (0:2) und am Freitagabend in Hannover (0:2).

Wood und Hunt kehren nacheinander zurück

Nach vier Spielen steht der HSV auf einem tollen achten Platz in der – zugegebenermaßen wenig aussagekräftigen – Tabelle. Einerseits. Andererseits könnte man mit zwei Niederlagen in der „Englischen Woche“ gegen Dortmund und in Leverkusen nach unten durchgereicht werden. Einerseits ist die Erleichterung groß, dass diese Woche Bobby Wood (schon gegen Dortmund) und Aaron Hunt (erst gegen Leverkusen) zurückkehren sollen.

Andererseits gesellt sich zu den Langzeitverletzten Nicolai Müller (Kreuzbandriss) und Filip Kostic (Muskelfaserriss) auch noch Rick van Drongelen, der wegen eines Knochenödems bis Oktober ausfällt. „Auf der einen Seite wird sich unsere Personalsituation nicht schlagartig verbessern“, sagt Gisdol am Sonnabend. „Auf der anderen Seite haben wir sechs Punkte im Rücken, die uns nach wie vor guttun.“ Einerseits-Andererseits-Arithmetik.

Bilder vom Spiel in Hannover:

HSV im Nordduell bei Hannover 96

Die Entscheidung: Hannovers Ilhas Bebou staubt einen Freistoß zum 2:0 ab, den HSV-Torhüter Christian Mathenia nicht festhalten konnte
Die Entscheidung: Hannovers Ilhas Bebou staubt einen Freistoß zum 2:0 ab, den HSV-Torhüter Christian Mathenia nicht festhalten konnte © Imago/Team 2
In der 50. Minute durfte Martin Harnik zur Führung für Hannover 96 einstochern
In der 50. Minute durfte Martin Harnik zur Führung für Hannover 96 einstochern © dpa
HSV-Torhüter Christian Mathenia flutschte der Ball unter den Händen durch
HSV-Torhüter Christian Mathenia flutschte der Ball unter den Händen durch © Imago/Team 2
Mathenia nahm hinterher beide Tore auf seine Kappe
Mathenia nahm hinterher beide Tore auf seine Kappe © Imago/Team 2
Und so freute sich der gebürtige Hamburger Harnik über seinen Treffer gegen den HSV
Und so freute sich der gebürtige Hamburger Harnik über seinen Treffer gegen den HSV © Getty Images
Auch der ehemalige St.-Pauli-Profi Philipp Tschauner ballte im Strafraum der Gastgeber die Fäuste
Auch der ehemalige St.-Pauli-Profi Philipp Tschauner ballte im Strafraum der Gastgeber die Fäuste © Witters
Vor dem Treffer hatten Kampf und Krampf das Nordduell geprägt
Vor dem Treffer hatten Kampf und Krampf das Nordduell geprägt © Witters
Spontan-Neuzugang Sejad Salihovic bewies nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit direkt Ballgefühl
Spontan-Neuzugang Sejad Salihovic bewies nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit direkt Ballgefühl © Imago/MIS
Am Ende ging der Daumen des Bosniers aber nur für die HSV-Fans nach oben
Am Ende ging der Daumen des Bosniers aber nur für die HSV-Fans nach oben © Witters
Törles Knöll kam am Ende noch zu seinen ersten Bundesliga-Minuten
Törles Knöll kam am Ende noch zu seinen ersten Bundesliga-Minuten © Imago/MIS
Nordduell, Baby: Hannovers Niclas Füllkrug (l.) und Hamburgs Kyriakos Papadopoulos im Nahkampf
Nordduell, Baby: Hannovers Niclas Füllkrug (l.) und Hamburgs Kyriakos Papadopoulos im Nahkampf © WITTERS | TimGroothuis
Einen Zweikampf mit fataleren Folgen gab es zwischen Sven Schipplock und Felipe
Einen Zweikampf mit fataleren Folgen gab es zwischen Sven Schipplock und Felipe © WITTERS | TayDucLam
Hannovers brasilianischer Verteidiger musste anschließend verletzt ausgewechselt werden
Hannovers brasilianischer Verteidiger musste anschließend verletzt ausgewechselt werden © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Drin blieb dagegen André Hahn – hier angewiesen von HSV-Trainer Markus Gisdol
Drin blieb dagegen André Hahn – hier angewiesen von HSV-Trainer Markus Gisdol © WITTERS | TimGroothuis
Wenige Minuten nach Anpfiff des Nordduells Hannover gegen HSV zog dichter Rauch aus der Gästekurve gen Spielfeld
Wenige Minuten nach Anpfiff des Nordduells Hannover gegen HSV zog dichter Rauch aus der Gästekurve gen Spielfeld © Witters
Die Übeltäter waren vermummt
Die Übeltäter waren vermummt © Imago/MIS
Der Stadionsprecher ermahnte die HSV-Fans mehrmals
Der Stadionsprecher ermahnte die HSV-Fans mehrmals © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
Hamburgs Finanz-Vorstand Frank Wettstein (l.) und Clubchef Heribert Bruchhagen registrierten die Nebelschwaden missmutig
Hamburgs Finanz-Vorstand Frank Wettstein (l.) und Clubchef Heribert Bruchhagen registrierten die Nebelschwaden missmutig © WITTERS | TimGroothuis
Sven Schipplock rutschte nach dem Ausfall von Bobby Wood in die Startelf
Sven Schipplock rutschte nach dem Ausfall von Bobby Wood in die Startelf © Getty Images
Bakery Jatta kam zu seinem zweiten Startelf-Einsatz seiner noch immer jungen Bundesligakarriere
Bakery Jatta kam zu seinem zweiten Startelf-Einsatz seiner noch immer jungen Bundesligakarriere © Witters
Und Douglas Santos (hier gegen Martin Harnik) kehrte nach seiner zwischenzeitlichen Ausbootung zurück
Und Douglas Santos (hier gegen Martin Harnik) kehrte nach seiner zwischenzeitlichen Ausbootung zurück © Imago/MIS
Matthias Ostrzolek wiederum traf erstmals wieder auf seine alten Kameraden
Matthias Ostrzolek wiederum traf erstmals wieder auf seine alten Kameraden © Imago/MIS
Sejad Salihovic nahm dagegen vorerst auf der Bank Platz
Sejad Salihovic nahm dagegen vorerst auf der Bank Platz © Witters
Fachgespräche vor dem Anpfiff: Die Manager-Kollegen Jens Todt (l., HSV) und Horst Heldt (Hannover 96)
Fachgespräche vor dem Anpfiff: Die Manager-Kollegen Jens Todt (l., HSV) und Horst Heldt (Hannover 96) © Getty Images
Sportlich musste HSV-Trainer Markus Gisdol einige Ausfälle verkraften
Sportlich musste HSV-Trainer Markus Gisdol einige Ausfälle verkraften © Getty Images
Auch sein Gegenüber André Breitenreiter musste kurzfristig auf Top-Zugang Jonathas verzichten
Auch sein Gegenüber André Breitenreiter musste kurzfristig auf Top-Zugang Jonathas verzichten © Getty Images
Shake-Hands gab es natürlich auch noch
Shake-Hands gab es natürlich auch noch © Witters
Die Augen gerichtet waren auch auf die Technik von Eurosport, das diesmal eine störungsfreie Übertragung im kostenpflichtigen Player versprochen hatte
Die Augen gerichtet waren auch auf die Technik von Eurosport, das diesmal eine störungsfreie Übertragung im kostenpflichtigen Player versprochen hatte © Getty Images
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Gisdol wird bei Waldschmidt überdeutlich

Jenseits von etwaigen Wortspielereien haben Gisdol die letzten beiden Spiele, in denen der HSV sich kaum Torchancen erspielte, zu Denken gegeben. „Es gibt keine Bundesligamannschaft, die vier offensive Stammkräfte nicht zur Verfügung hat und trotzdem die gleiche Leistung bringt“, sagte der Fußballlehrer, der auf das in dieser Situation eigentlich obligatorische Starkreden des zweiten Anzugs bewusst verzichtete.

Besonders zu spüren bekommen hat das Retter Luca Waldschmidt, der nach seinem Last-Minute-Tor gegen den VfL Wolfsburg am letzten Spieltag der Vorsaison noch allenthalben als HSV-Held gefeiert wurde. Doch nichts ist bekanntermaßen älter als der Ruhm von gestern. „Ich war zuletzt mit seinen Leistungen nicht zufrieden“, beantwortete Gisdol die Frage, warum er den Offensivallrounder trotz der Ausfälle von Wood, Hunt, Kostic und Müller keine Minute in Hannover spielen ließ. Und auch die Nachfrage, ob es ihn denn ärgere, dass Waldschmidt die sich ihm bietende Chance nicht nutzt, beantwortete Gisdol überdeutlich: „Ja, sehr!“

Auf letztes Heimspiel gegen BVB folgte Tabula rasa

Während vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund also feststehen dürfte, dass Waldschmidt sicherlich nicht von Anfang an spielen wird, scheint alles andere offen. Bleibt Gisdol auch gegen die Top-Mannschaft BVB beim 4-4-2-System mit zwei Stürmern? Wer macht für den genesenen Wood Platz? Und setzt der Trainer trotz chronischer Unzufriedenheit auch am Mittwoch auf den formschwachen Douglas Santos als Van-Drongelen-Ersatz? Oder bekommt Kapitän Gotoku Sakai mal wieder eine Startelf-Chance?

„Wir wissen, dass wir schwierige Spiele vor der Brust haben, aber wir sind bislang auch in schwierigen Situationen immer in der Lage gewesen zu punkten“, glaubt Gisdol, dessen HSV-Zeit im Prinzip erst so richtig nach dem letzten Heimspiel gegen Borussia Dortmund vor zehn Monaten losging. Damals verloren die Hamburger auf – besonders in der ersten Halbzeit – ziemlich erschreckende Art und Weise 2:5.

Es folgte eine waschechte Tabula rasa: Gisdol sprach intern Klartext, wechselte den Kapitän und den Teammanager. Und es folgten vier Partien in Folge ohne Niederlagen, die im Nachhinein als Schlüsselspiele für den späteren Klassenerhalt angesehen wurden. „Wir werden auch diesmal unabhängig von den Gegnern eine schlagkräftige Mannschaft auf den Platz bekommen“, sagt der hoffnungsfrohe Coach. „Vielleicht haben wir dann auch wieder das Spielglück in den entscheidenden Momenten auf unserer Seite.“

Einerseits wird also alles wieder gut. Ganz bestimmt. Und andererseits?

Minuswerte für Schipplock und Jatta

Am Freitag konnte man dieses böse „Andererseits“ überdeutlich in der nicht mehr vorhandenen HSV-Offensive erkennen. Sven Schipplock und Bakery Jatta, die gemeinsam Wood (Kniereizung) ersetzen sollten, konnten sich nicht einen einzigen Torschuss oder eine Torschussvorarbeit erarbeiten. Schipplock war gerade einmal 19-mal am Ball, was von keinem anderen Akteur unterboten wurde. Und Jatta brachte lediglich 29 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler – ebenfalls ein Minusrekord. „Wir können Schippo und Jatta keinen Vorwurf machen. Sie haben so noch nie zusammengespielt“, nimmt Gisdol seine Ersatz-Offensive in Schutz – und mahnt einen positiven Geist im Hinblick auf die „Englische Woche“ an: „Ich sehe keine Absturzgefahr, weil unsere Mannschaft sehr gefestigt ist.“

Kein einerseits mehr, kein andererseits. „Ich freue mich auf Dortmund“, betonte Gisdol. Allseits. Und Punkt.