Hamburg. Für einen neuen Linksverteidiger fehlte das Geld. Bruchhagen erklärt den unerfüllten Wunsch von Gisdol. Reuter schießt gegen den HSV.

Mit einem Kaffeebecher in der Hand stand Jens Todt am Donnerstagmorgen am Trainingsplatz im Volkspark. Entspannt verfolgte der Sportchef des HSV die Einheit der nur sieben Spieler großen Trainingsgruppe. Einen so gelassenen Kaderplaner hatte man am letzten Tag der Transferperiode beim HSV in den vergangenen Jahren nur selten erlebt. Dass Todt Zeit für einen kurzen Besuch beim Training hatte, lag allein an einem Grund. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass der HSV auf dem Transfermarkt keinen neuen Spieler mehr verpflichten wird. „Wir haben uns entschieden, mit dem bestehenden Kader in die Saison zu gehen“, sagte Todt.

Pierre-Michel Lasogga bekommt bei Leeds United die Nummer 9
Pierre-Michel Lasogga bekommt bei Leeds United die Nummer 9 © Leeds United

Und so blieb es noch deutlich vor dem Ende des Transferfensters um 18 Uhr bei zwei erwartbaren Nachrichten, die der HSV verkünden konnte. Nachricht Nummer eins: Toptalent Finn Porath (20) wird für zwei Jahre an den Drittligisten SpVgg Unterhaching verliehen. Nachricht Nummer zwei: Stürmer Pierre-Michel Lasogga (25) wechselt – ebenfalls auf Leihbasis – für ein Jahr zum englischen Zweiligisten Leeds United. „Es war an der Zeit, etwas zu verändern. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen“, sagte Lasogga.

Reuter schießt gegen den HSV

Auf der Seite der Zugänge passierte dagegen nichts mehr. Bereits am Mittwoch hatte sich die Suche nach einem neuen Linksverteidiger erledigt. Nachdem der Transfer von Augsburgs Konstantinos Stafylidis an der zu hohen Ablöseforderung von zehn Millionen Euro gescheitert war, konnte auch die Alternativ­lösung Jérôme Roussillon von HRC Montpellier nicht realisiert werden. Die Franzosen wollten den 24-Jährigen nicht ziehen lassen. „Beide Transfers waren nicht umsetzbar. Das bedauern wir“, sagte Todt.

Augsburgs Manager Stefan Reuter kritisierte die HSV-Bemühungen um Wunschkandidat Stafylidis. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere tut“, sagte er und fügte an: „Wenn ich wirklich Interesse an einem Spieler habe, dann gehe ich da gezielter vor. Das hat mir alles einen unstrukturierten Eindruck gemacht.“

Kommentar: HSV hat Transferziele verfehlt

Drei Monate lang hatte Todt nach einem Ersatz für den zu Hannover 96 gewechselten Matthias Ostrzolek gesucht. Zudem hätte der HSV auch noch dem unzufriedenen Douglas Santos einen Wechsel zur PSV Eindhoven ermöglicht, wenn dafür ein neuer Linksverteidiger gekommen wäre. Doch der HSV fand keinen mehr. Somit bleibt Santos, der zuletzt zweimal nicht für den Kader nominiert wurde, in Hamburg. Hat sich der HSV verzockt? Jens Todt verteidigt sich. „Wir haben uns auf zwei Kandidaten festgelegt. Das hat nicht geklappt. Aber wir müssen auch wirtschaftlich vernünftig handeln“, sagte der Sportchef.

Ähnlich sieht es der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen. „Manchmal prallt der berechtigte Wunsch des Trainers auf die Möglichkeiten eines Clubs“, sagte Bruchhagen am Donnerstag auf Abendblatt-Nachfrage.

HSV wollte Kühne nicht um Hilfe bitten

Für einen Stafylidis-Transfer hätten die Hamburger erneut bei Investor Klaus-Michael Kühne fragen müssen, ob er den Wechsel per Darlehen finanziere. Nach Abendblatt-Informationen wollte die HSV-Führung den Gesellschafter in diesem Fall aber nicht um Unterstützung bitten. Kühne selbst hatte zuletzt in einem Interview gesagt, dass er sich bei der Finanzierung eines Linksverteidigers verweigert hatte.

Und so geht der HSV mit nur einem auf dieser Position ausgebildeten Spieler in die weitere Saison. Für Douglas Santos und Trainer Markus Gisdol geht es nun darum, wieder Vertrauen zueinander zu finden. „Douglas hat nie gesagt, dass er weg will“, sagte Todt am Donnerstag. „Wir werden uns zusammensetzen. Er ist ein sehr guter Spieler. Ein vernünftiger, intelligenter Junge. Wir werden das hinkriegen.“ Todt will mit Santos einen Neustart versuchen.

Todt zieht positives Fazit

Klar ist aber auch, dass der Club mit der Suche nach einem neuen Linksverteidiger viel Zeit versäumt und gleichzeitig einen eigenen Spieler geschwächt hat. Die selbst formulierten Transferziele hat der HSV zudem verfehlt. Todt ist mit der Wechselperiode trotzdem zufrieden. „Wir haben ausgewogene Transfers getätigt“, so sein Fazit.

Vorstandsboss Bruchhagen macht dagegen keinen Hehl daraus, dass die ursprüngliche Planung nicht eingetreten ist. „Das Ziel war es, das laufende Geschäft aus dem laufenden Geschäft herauszubezahlen. Dieses Vorhaben wurde dann durch die großzügige Unterstützung von Herrn Kühne aufgeweicht.“ Bruchhagen ist überzeugt, dass der HSV auch ohne einen neuen Linksverteidiger über einen „stabilen Kader“ verfüge.

Nach dem überraschenden Saisonstart mit zwei Siegen in zwei Spielen setzt der HSV für den weiteren Verlauf der Spielzeit auf die Eigendynamik des Erfolgs. „Wir müssen unsere Tugenden der Willenskraft und der Geschlossenheit weiterhin an den Tag legen“, sagt Bruchhagen. „Der Trainer hat eindrucksvoll bewiesen, dass er dafür die richtigen Entscheidungen trifft.“

Die teuersten HSV-Abgänge:

Diese Spieler brachten dem HSV das meiste Geld

Er führt das Ranking an: Nigel de Jong (Niederlande) wechselte 2009 zu Manchester City und brachte dem HSV dadurch 18 Millionen Euro ein
Er führt das Ranking an: Nigel de Jong (Niederlande) wechselte 2009 zu Manchester City und brachte dem HSV dadurch 18 Millionen Euro ein © Witters
15 Millionen Euro waren Real Madrid 2008 die Dienste von de Jongs Landsmann Rafael van der Vaart wert
15 Millionen Euro waren Real Madrid 2008 die Dienste von de Jongs Landsmann Rafael van der Vaart wert © Witters
Mit einer Ablöse von bis zu 15 Millionen Euro (zwölf Millionen plus drei Millionen erfolgsabhängiger Zusatzzahlungen) von Zenit St. Petersburg avancierte Douglas Santos im Sommer 2019 zum teuersten Profi der deutschen Zweitliga-Geschichte.
Mit einer Ablöse von bis zu 15 Millionen Euro (zwölf Millionen plus drei Millionen erfolgsabhängiger Zusatzzahlungen) von Zenit St. Petersburg avancierte Douglas Santos im Sommer 2019 zum teuersten Profi der deutschen Zweitliga-Geschichte. © Imago/Michael Schwarz
Nach langem Transfer-Wirrwarr einigten sich der HSV und Bayer Leverkusen 2014 auf eine 14,5 Millionen Euro schwere Ablöse für Hakan Calhanoglu (Türkei)
Nach langem Transfer-Wirrwarr einigten sich der HSV und Bayer Leverkusen 2014 auf eine 14,5 Millionen Euro schwere Ablöse für Hakan Calhanoglu (Türkei) © Witters
Für Khalid Boulahrouz (Niederlande) machte der FC Chelsea 2006 rund 13,2 Millionen Euro locker
Für Khalid Boulahrouz (Niederlande) machte der FC Chelsea 2006 rund 13,2 Millionen Euro locker © Witters
Im Sommer 2010 holte Manchester City Jerome Boateng (Deutschland) für 12,5 Millionen Euro vom HSV auf die Insel
Im Sommer 2010 holte Manchester City Jerome Boateng (Deutschland) für 12,5 Millionen Euro vom HSV auf die Insel © Witters
Heung-Min Son (Südkorea) wechselte drei Jahre später für 10 Millionen Euro von der Elbe an den Rhein nach Leverkusen
Heung-Min Son (Südkorea) wechselte drei Jahre später für 10 Millionen Euro von der Elbe an den Rhein nach Leverkusen © Witters
Auch für Innenverteidiger Jonathan Tah (Deutschland) stemmte der Werksclub im Juli 2015 kolportierte acht Millionen Euro Ablöse, die sich durch Prämien noch auf zwei Millionen erhöhen kann
Auch für Innenverteidiger Jonathan Tah (Deutschland) stemmte der Werksclub im Juli 2015 kolportierte acht Millionen Euro Ablöse, die sich durch Prämien noch auf zwei Millionen erhöhen kann © Witters
Für Eljero Elia (Niederlande, r.) machte Juventus Turin 2011 stolze 9 Millionen Euro locker
Für Eljero Elia (Niederlande, r.) machte Juventus Turin 2011 stolze 9 Millionen Euro locker © Witters
Immerhin 8,5 Millionen Euro wurden 2008 für Vincent Kompany (Belgien) aus Manchester nach Hamburg überwiesen
Immerhin 8,5 Millionen Euro wurden 2008 für Vincent Kompany (Belgien) aus Manchester nach Hamburg überwiesen © Witters
1991 sanierte der Verkauf des deutschen Nationalspielers Thomas Dolls zu Lazio Rom den HSV. 15 Millionen D-Mark, also umgerechnet rund 7,65 Millionen Euro, kassierten die Hamburger für den späteren Trainer
1991 sanierte der Verkauf des deutschen Nationalspielers Thomas Dolls zu Lazio Rom den HSV. 15 Millionen D-Mark, also umgerechnet rund 7,65 Millionen Euro, kassierten die Hamburger für den späteren Trainer © Witters
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