"Ein Wunder, ein Märchen": Waldschmidt rettet den HSV
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Lesezeit: 6 Minuten
Hamburg. Erstes Saisontor führt zum Klassenerhalt. Gisdol und Bruchhagen würdigen Beiersdorfer. Promi-Reaktionen im Video.
See you later, Relegator: Der Dino wird auch im 55. Jahr der Fußball-Bundesliga erstklassig spielen. In einem obligatorisch dramatischen Saisonfinale entschied der HSV das direkte Duell zur Vermeidung der Relegation gegen den VfL Wolfsburg mit 2:1 (1:1) für sich.
Trainer Markus Gisdol sprach von einem "Märchen", das wahrgeworden sei, nachdem der HSV nach zehn Saisonspielen erst zwei Punkte hatte. Verteidiger Mergim Mavraj sagte, diese Rettung sei "ein Wunder".
Matchwinner war einer, den zuletzt noch die allerwenigsten auf der Rechnung hatten: Luca Waldschmidt. Einen Tag nach seinem 21. Geburtstag belohnte sich der Stürmer in der 88. Minute mit seinem allerersten Profitreffer selbst – und die ganze HSV-Familie mit dem obendrein mit dem direkten Klassenerhalt. Im Aktuellen Sportstudio des ZDF sagte Bela Rethy zunächst Lucas Waldschmidt. Später nannte er den richtigen Namen.
HSV-Fans stürmen den Rasen
Wolfsburg muss stattdessen zum ersten Mal in seiner Erstliga-Geschichte in die Relegation, in der es aller Vorraussicht nach zum Duell mit der benachbarten Eintracht aus Braunschweig kommt. Während die VfL-Profis mit gesenktem Haupt in ihre von der Polizei unmittelbar nach Spielende abgesperrten Kurve trotteten, stürmten die HSV-Fans euphorisch den Rasen.
"Das mit den Fans gehört ja dazu", sagte Nicolai Müller bei "Sky" zu den Jubelszenen – und bekam währenddessen eine ordentliche Ladung Wasser über den Kopf geschüttet. Der Flügelstürmer hatte nach seiner Knieverletzung sein Startelf-Comeback gegeben und der Offensive einige Impulse verleihen können.
Holtby und Mathenia ganz stark
Einer führte zum Ausgleich in der 32. Minute durch Filip Kostic, als Müller ein wunderbar in den Lauf des Serben gelöffelten Pass von Lewis Holtby durchließ. Kostic nahm die Vorlage volley und schoss sie zum eminent wichtigen Ausgleich ins Netz. Denn zuvor hatte der HSV so gut wie gar nicht stattgefunden.
Folgerichtig war Wolfsburg durch einen Kopfball von Robin Knoche in Führung gegangen. Es war nicht die erste gute Chance der Niedersachsen, zuvor war der bärenstarke Hamburger Schlussmann Christian Mathenia aber gegen Mario Gomez (10.) und Jakub Blaszczykowski (22.) auf dem Posten.
Bilder des Spiels:
Der HSV im Showdown gegen Wolfsburg
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Scholz und Djourou auf der Tribüne
Unter den Augen des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz sowie der gesperrten, verletzten oder ausgemusterten Dennis Diekmeier, Pierre-Michel Lasogga und Johan Djourou auf der Tribüne war es in den ersten 30 Minuten eine recht eindeutige Angelegenheit: Wolfsburg spielte, Wolfsburg drückte, Wolfsburg dominierte fast nach Belieben.
Die Angst vor der erneuten Relegation schien die Gastgeber regelrecht zu lähmen. Während die Hamburger kaum in Ballbesitz kamen und auch im Umschaltspiel fahrig wirkten, drängte der VfL mit dem Selbstvertrauen von zuletzt neun Spielen an der Elbe ohne Niederlage auf die Führung.
HSV nach dem Wechsel aggressiver
Doch anstatt gegen völlig verunsicherte Hanseaten weiter auf das Gaspedal zu drücken, schalteten die Wölfe einen Gang zurück - und der HSV kam wie aus dem Nichts zurück. Nach einem Patzer von Philipp Wollscheid schaltete Holtby mit der Vorarbeit zum Ausgleich blitzschnell. Kurz vor dem Pausenpfiff verpasste Yunus Malli die erneute VfL-Führung nur um Zentimeter.
Im zweiten Abschnitt bot sich zunächst ein anderes Bild. Der HSV, der sich mit einem Kurztrainingslager in Rotenburg auf die Partie vorbereitet hatte, wirkte jetzt nicht mehr ganz so nervös und gestaltete die Partie offener. Auf Torchancen warteten die HSV-Fans zunächst aber weiter vergeblich. Die Wolfsburger versuchten, den Gegner vom eigenen Tor fern zu halten und warteten auf Kontermöglichkeiten.
Die Höhepunkte des Spiels
5. Minute
Erster Vorstoß von Wolfsburg über rechts: Jung flankt, Ntep köpft – allerdings über das HSV-Gehäuse.
10. Minute
Mathenia, der Hexer! Der HSV-Torhüter bewahrt seine Farben mit einer Glanztat gegen Gomez vor dem Rückstand. Der Wolfsburger Stürmer schießt nach Kopfballvorlage von Gerhardt aus der Drehung, Mathenia taucht ab und lenkt den Ball mit den Fingerspitzen um den rechten Pfosten.
22. Minute
Und schon wieder rettet Mathenia: Im Anschluss an die vierte Ecke drischt Kuba aus rund 16 Metern drauf, der HSV-Keeper lenkt die Fackel zu einem weiteren Eckstoß.
23. Minute
Tor für Wolfsburg. Knoche köpft den VfL nach Flanke von Jung per Bogenlampe knapp unter die Latte in Führung. Mathenia fliegt, bleibt aber ohne Abwehrchance.
28. Minute
Erster Eckball für den HSV, erste Präsenz im VfL-Strafraum. Doch Gästekeeper Casteels kann den Standard wegfausten.
32. Minute
TOOOOOOOOOR für den HSV! Das ist Effizienz: Erste Chance, erster Treffer. Kostic veredelt eine feine Vorarbeit von Holtby, der dem Serben den Ball in den Lauf löffelt. Kostic bleibt vor Casteels cool und semmelt das Leder mit Vollspann in die rechte Ecke zu seinem vierten Saisontreffer. Und noch viel wichtiger: Zum schnellen Ausgleich!
38. Minute
Und der Ausgleich verleiht Kostic Flügel. Diesmal zielt der Flügelflitzer aus der zweiten Reihe allerdings etwas zu hoch.
43. Minute
Holtby flankt nach Zusammenspiel mit Müller von rechts in den Strafraum, Casteels boxt den Ball aus der Gefahrenzone.
45. Minute
Fast noch der Schocker vor dem Pausenpfiff: Malli hat freie Bahn und zieht von der Sechzehner-Grenze ab, sein Schlenzer landet aber knapp am rechten Pfotsen vorbei im Toraus.
49. Minute
Auch die erste Übung in Durchgan zwei meistert Mathenia, indem er einen Schuss des eingewechselten Vieirinha sicher festhält.
52. Minute
Mavraj wird offensiv, sein halb im Sitzen abgegebener Versuch trudelt allerdings ins Wolfsburger Toraus.
63. Minute
Gomez versucht sich im Fünfmeterraum mit einem Fallrückzieher, Mavraj lenkt den Ball über die Latte.
73. Minute
Kurz nach seiner Einwechslung tritt Gregoritsch in aussichtsreicher Halbposition einen Freistoß, der allerdings in den Armen von Casteels landet.
77. Minute
Holtby kann Guilavogui nicht am Abschluss hindern. Der stramme Schuss des Wolfsburgers klatscht aber nur an die Bande hinter dem HSV-Tor.
86. Minute
Feiner No-Look-Pass von Sakai im Strafraum auf Wood, der allerdings nicht den direkten Weg zum Tor sucht, sondern zurücklegt auf Jatta. Der 18-Jährige entscheidet sich jedoch ebenfalls nicht für den Torschuss, sondern für eine Flanke. Diese ist aber zu scharf...
88. Minute
TOOOOOOOOOOOOR für den HSV! Das 2:1! Was für ein Spielzug: Sakai mit einem weiten Ball auf Kostic, der sich an der linken Eckfahne durchsetzt und in die Mitte flankt. Dort schraubt sich Joker Waldschmidt hoch und jagt den Ball mit dem Kopf in den rechten Knick! Erster Bundesligatreffer des 20-Jährigen – und was für ein wichtiges!
90. Minute + 1
Mathenia taucht einmal mehr ab und lenkt den Schuss von Arnold zur Ecke!
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Joker Waldschmidt trifft nach 110 Sekunden
Doch dann kam Waldschmidt: In der 86. Minute wurde der Hesse für den ausgepumpten Holtby eingewechselt, wiederum zwei Minuten später erlöste er die Raute mit einem wuchtigen Kopfstoß in das rechte oberer Toreck. Vorausgegangen war dem Treffer einer der schönsten Kombinationen dieser Spielzeit überhaupt:
Kapitän Gotoku Sakai bediente Kostic mit einem weiten Ball. An der Eckfahne setzte sich der Flügelflitzer durch und brachte seine erste Flanke in diesem Spiel überhaupt an den Mann. Denn in der Mitter schraubte sich Joker Waldschmidt hoch und jagte den Ball in den Winkel.
"Klar, habe ich mir das immer mal wieder vorgestellt", sagte Waldschmidt nach seinem Tordebüt. "Dass es genau heute passiert, ist natürlich super." Und HSV-Trainer Markus Gisdol sagte über sein wiederholt gutes Näschen bei seiner Einwechslung: "Manchmal hat man so ein Gefühl." Für Waldschmidt freue er sich besonders: "Er hat es sich verdient."
Bruchhagen denkt an Beiersdorfer
"Es steht doch jedem zu, nach 110 Sekunden ein Tor zu schießen", sagte HSV-Chef Heribert Bruchhagen anschließend nonchalant bei "Sky". Und in der Euphorie vergaß der 68-Jährige auch seinen Vorgänger auf dem Vorstandsposten nicht: "Ich freue mich auch für Dietmar Beiersdorfer."
HSV-Trainer Markus Gisdol nahm Beiersdorfer wie auch die Fans ("Es sind die Besten!") ebenso in seine Danksagung ein und verriet: "Didi hat mir heute noch eine SMS geschrieben vor dem Spiel."
Hinterher dürfte sich der im Dezember gechasste Boss womöglich ebenso ein wenig mit seinem ehemaligen Arbeitgeber mitgefreut haben. Schließlich bleibt dem HSV durch den Last-Minute-Sieg gegen Wolfsburg ein dritter Relegations-Krimi nach 2014 und 2015 erspart. "Es spricht für den Geist der Mannschaft", sagte Bruchhagen zu dem erneut späten Siegtreffer.
Die Zitterspiele sollen nun aber ein Ende haben, darin sind sich alle einig. "Ich kann nicht noch ein Jahr so machen", sagte Gisdol bei "Sky". Wenn es nach Lothar Matthäus geht, muss der HSV für diese Vorgabe mehr Konstanz zeigen. "Der HSV gehört da unten nicht rein, die Mannschaft hat höhere Qualität", urteilte der Experte wenige Minuten nach dem Klassenerhalt.
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