Hamburg. Horst Hrubesch, Stefan Wächter und Matthias Abel waren bei den bislang einzigen Hamburger Bundesliga-Siegen bei den Bayern dabei.

In den vergangenen 35 Jahren konnte der HSV nur dreimal in München gewinnen: 1982, 2006 und 2007. Im Gespräch mit Henrik Jacobs und Kai Schiller erinnern sich die Helden von damals, die durchaus Hoffnung haben, dass nach zuletzt sieben Niederlagen in Folge mit 3:37 Toren
bald das nächste Heroenstück in der langen Geschichte des Nord-Süd-Klassikers fällig ist. Verrückte Idee: Warum eigentlich nicht an diesem Wochenende?

4:3 (24. April 1982)

Horst Hrubesch weiß noch genau, welche Worte Trainer Ernst Happel vor dem Spiel in der Kabine wählte. „Er hat uns nur gesagt, wenn ihr Meister werden wollt, müsst ihr das Spiel gewinnen.“ Fast 35 Jahre sind diese einfachen Worte jetzt alt. Und wenn Hrubesch die Geschichte heute erzählt, könnte man meinen, sie sei erst gestern geschehen. Hrubesch spricht über eines der wichtigsten Spiele in der Historie des HSV: das 4:3 (1:2) im Münchner Olympiastadion am 29. Spieltag der Saison 1981/82. Das Spiel, das die Deutsche Meisterschaft entscheiden sollte.

Mit einem Punkt Vorsprung reiste der HSV damals zum amtierenden Meister. Doch es lief schlecht für den HSV. Zur Halbzeit führten die Bayern vor 78.000 Zuschauern mit 2:1, nach einem Kopfball von Dieter Hoeneß und einem schlimmen Torwartfehler von Uli Stein stand es sogar 3:1. Für die Hamburger aber kein Grund, sich aufzugeben. „Ich weiß noch heute, wie wir in der Halbzeit saßen und überzeugt waren, dass wir das Spiel sowieso noch gewinnen“, sagt Hrubesch.

Der fliegende Horst: Torschütze Hrubesch jubelt nach dem 4:3 in München mit Bernd Wehmeyer (Nummer 7) und Thomas von Heesen
Der fliegende Horst: Torschütze Hrubesch jubelt nach dem 4:3 in München mit Bernd Wehmeyer (Nummer 7) und Thomas von Heesen © WITTERS | HansDietrichKaiser

Zunächst ist es Thomas von Heesen mit einem Sololauf, der die Hamburger zurück ins Spiel bringt. Dann dreht Hrubesch auf und der HSV die Partie. Zunächst trifft er aus 13 Metern per Vollspann (76.), in der 90. Minute folgte die Szene, die das Abendblatt damals wie folgt beschrieb: „Weiner bringt Hrubesch 25 Meter vor dem Tor zu Fall. Das gibt einen Freistoß für den HSV. Magath schießt mit dem linken Fuß, Hrubesch startet 14 Meter vor dem Bayern-Tor, erspäht die Lücke zwischen Augenthaler und Horsmann und köpft unhaltbar ein.“

Es war ein typisches Tor des „Kopfballungeheuers“. Und der „Schlüssel zur Meisterschaft“, wie Hrubesch heute sagt. „Ich wusste genau, wo Felix den Ball hinschießt. Und dann habe ich einfach das gemacht, was ich am besten konnte: Tore schießen.“ 27 Tore waren es am Ende der Saison. Hrubesch wurde Torschützenkönig.

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Noch heute läuft der 65-Jährige in seinem Haus jeden Tag an der Torjägerkanone vorbei. Sie erinnert ihn an eine außergewöhnliche Zeit und eine außergewöhnliche Mannschaft. „Bei uns passte alles zusammen. Vor allem hatten wir die Überzeugung und die Mentalität, jedes Trainingsspiel gewinnen zu wollen“, sagt Hrubesch heute über die goldene Generation des HSV.

An diesem Sonnabend wird Hrubesch aller Voraussicht nach im Stadion sitzen. Dem HSV traut er eine Überraschung durchaus zu. „Bei den Bayern hast du nichts zu verlieren“, sagt Hrubesch. „Diese Spiele sind das Salz in der Suppe. Wer solche Spiele nicht mag, sollte lieber aufhören.“ Fußball kann eben doch so einfach sein.

2:1 (4.März 2006)

Es waren bange Minuten für den HSV. Das Spiel war bereits seit vier Stunden beendet, doch um 21.25 Uhr meldete sich am Münchner Flughafen der Lufthansa-Kapitän von Flug LH 064. Der Rückflug nach Hamburg sei gestrichen. Schneechaos. Nichts ging mehr. Eine Stunde später dann die Wende. Trotz eines Stromausfalls an Bord und eines fehlenden Hilfsfahrzeugs konnte die Maschine doch noch starten. Um 3.25 Uhr nachts landete der HSV in Hamburg.

Torhüter Stefan Wächter und seine Mitspieler nahmen es sportlich und vertrieben sich die Zeit mit Weißwurst und Weizenbier. Schließlich hatte die Mannschaft wenige Stunden zuvor Historisches geleistet. Nach 24 Jahren gewann der HSV mal wieder in München. Durch das 2:1 (1:0) fügten die Hamburger dem Meister zudem die erste Niederlage in der Allianz Arena zu. „Das war eine geile Geschichte“, erinnert sich Wächter, der an diesem Sonnabend als Torwarttrainer des HSV auf eine neue Sensation hofft.

Ein Tanz im Schnee: Der HSV um Stefan Wächter (hinten) feiert das 2:1
Ein Tanz im Schnee: Der HSV um Stefan Wächter (hinten) feiert das 2:1 © WITTERS | MatthiasHangst

Wenn Wächter an das Wunder von 2006 denkt, wird ihm wieder ganz weiß vor Augen. „Das war eine wahnsinnige Schneeschlacht“, sagt der heute 38-Jährige über das größte Auswärtsspiel seiner Torwartkarriere. Wächter hatte entscheidenden Anteil an dem Wintermärchen. Der HSV war durch ein kurioses Tor von Guy Demel (16.) in Führung gegangen. Erst sieben Minuten vor Schluss gelang dem eingewechselten Mehmet Scholl der Ausgleich. „Der Druck der Bayern wurde immer größer. Normalerweise verlierst du dann in München noch“, sagt Wächter. Und beinahe wäre es auch so gekommen. Kurz vor Schluss setzt Claudio Pizarro zum Fallrückzieher an, doch Wächter reagiert reflexartig. Auf der Gegenseite köpft Nigel de Jong eine Freistoßflanke von Mehdi Mahdavikia vorbei an Oliver Kahn ins Netz – der Siegtreffer (89.).

„Damals hat einfach alles gepasst“, sagt Wächter heute. „Wir hatten einen positiven Lauf und die perfekte Mischung in der Mannschaft. Verrückte Typen wie de Jong und Thimothée Atouba. Seriöse Spieler wie Mahdavikia oder David Jarolim. Und Leader wie Sergej Barbarez.“ Und im Tor stand Stefan Wächter, der eines seiner besten Spiele für den HSV machte.

Umso erstaunlicher war es, dass Trainer Thomas Doll nur eine Woche und ein Europapokalspiel später einen Torhüterwechsel vollzog und Sascha Kirschstein zur Nummer eins machte. Der HSV qualifizierte sich für die Champions League, und Wächter wurde nach einer Roten Karte von Kirschstein gegen Arsenal wieder Stammtorhüter. Vier Einsätze in der Königsklasse und die Erinnerung an das Wunder von München ließen Wächter den Torwartwechsel vergessen.

2:1 (28. April 2007)

Für Mathias Abel begann das Wunder von München bereits drei Monate zuvor. „Schon mein Wechsel zum HSV war sehr kurios“, erinnert sich der heutige Aufsichtsrat des 1. FC Kaiserslautern. „Nach langen Verhandlungen wechselte ich am 31. Januar, also am letzten Tag der Wechselfrist, zum HSV. An meinem ersten Arbeitstag spielten wir nur 1:1 gegen Cottbus, wir waren abgeschlagen Letzter, und Thomas Doll wurde entlassen. Da dachte ich: super erster Tag, willkommen in Hamburg.“

Huub Stevens kam – und mit ihm der Erfolg. Elf Spiele und vor allem sechs Siege später sah die blau-weiß-schwarze Welt schon wieder ziemlich rosarot aus. „Mit der Erfolgsserie im Rücken sind wir nach München gefahren und hatten wirklich das Gefühl, dass da was gehen könnte“, sagt Abel. Und wie da was ging: 0:1 nach 35 Minuten durch Claudio Pizarro, Abels Gegenspieler. „Der Rückstand war bitter, weil es irgendwie Bayerns erste Torchance war. Aber wir blieben dran.“

Mathias Abel (r.) ließ Claudio Pizarro nur einmal aus den Augen
Mathias Abel (r.) ließ Claudio Pizarro nur einmal aus den Augen © Imago

Und das Wunder nahm seinen Lauf: 1:1 nach 71 Minuten durch ein Traumtor von Rafael van der Vaart, 2:1 nur fünf Minuten später durch Paolo Guerrero. „Es war der Wahnsinn“, erinnert sich Abel, der sich während der Partie eine Muskelverletzung im hinteren Oberschenkel zuzog, aber trotzdem bis zum Schluss durchhielt.

„Nach dem Abpfiff muss es in der Kabine rundgegangen sein“, sagt der heute 35-Jährige, der sich von der medizinischen Abteilung im Behandlungsraum nebenan untersuchen ließ. „Der Rückflug aus München wurde zum Partyflug“, sagt der Abwehrmann, der direkt vom Flughafen Fuhlsbüttel mit dem Rest der Mannschaft am Abend noch feiern ging: „Ich will nur so viel sagen: Wir hatten einen sehr schönen Abend …“

Der 2:1-Sieg in München war Abels achtes Spiel für den HSV – und sein letztes. Durch die Verletzung fiel der gebürtige Lauterer im Saisonendspurt aus und kehrte im Sommer zu Schalke 04 zurück. „Ich war nur kurz in Hamburg – aber diesen Sieg in München werde ich nie vergessen“, sagt der Ex-Profi, der derzeit seinen MbA-Master im Fach Sportmanagement absolviert.

Der 2:1-Erfolg vor ziemlich genau zehn Jahren war Hamburgs letzter Sieg in München. „Irgendwie kann man damals und heute sogar miteinander vergleichen“, sagt Abel. „Wie damals war der HSV auch in dieser Saison abgeschlagen Letzter, hat sich unten rausgearbeitet und fährt nun mit dem Gefühl nach München, dass man tatsächlich ein Wunder schaffen kann.“

Er sei optimistisch: „Ich traue dem HSV einiges zu: entweder ein kleines Ausrufezeichen – oder eine große Überraschung!“