Hamburg. Spiele gegen den Angstgegner aus Bayern haben für den HSV eine besondere Tragweite. Gelingt Trainer Gisdol endlich der erste Heimsieg?
Es gibt in der Bundesliga wohl keine Statistik, die noch nicht erfunden wurde. So lässt sich vor dem Spiel des HSV gegen den FC Augsburg an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) mit Sicherheit sagen, dass die Hamburger gegen die Gäste noch nie verloren haben, wenn Stürmer Michael Gregoritsch eine blaue Hose trug. Oder dass Augsburg im Volkspark noch nie gewonnen hat, wenn es wärmer als 20 Grad war. Vermutlich hat der HSV auch alle Spiele gegen den FCA gewonnen, in denen Pierre-Michel Lasogga vorher beim Friseur war. All diese schönen Statistiken sagen für das Spiel an diesem Wochenende genauso viel vorher wie die Tatsache, dass der HSV in seiner Vereinsgeschichte nur gegen Bayern München eine schlechtere Bilanz hat. Oder dass Augsburg seit vier Spielen ungeschlagen ist. Sie sagen – nichts.
Und doch haben die Partien gegen die Fuggerstädter eine auffällige Tragweite für den HSV. In den vergangenen Jahren waren die Ergebnisse gegen Augsburg immer der entscheidende Richtungsmesser für den Hamburger Saisonverlauf. Und so hofft auch Trainer Markus Gisdol, mit dem ersten Heimsieg der Saison den sportlichen Aufschwung fortzusetzen und erstmals seit dem sechsten Spieltag einen direkten Abstiegsplatz zu verlassen: „Für uns ist das Spiel eine große Chance.“
Abwärtstrend begann unter van Marwijk
Dass Augsburg heute als „Angstgegner“ des HSV bezeichnet wird, haben sich die Hamburger spätestens vor drei Jahren eingebrockt. Am 7. Dezember 2013 hatte das Team des damaligen Trainers Bert van Marwijk die Chance, mit einem Heimsieg gegen Augsburg an die europäischen Ränge heranzurücken. Doch die 0:1-Niederlage sollte der Anfang einer beispiellosen Talfahrt werden. Van Marwijk verlor die folgenden sechs Spiele und wurde im Februar entlassen. Der HSV sicherte erst in der Relegation gegen Fürth die Klasse.
Ein Jahr später, die Hamburger standen als Tabellenletzter schon wieder vor dem Abstieg, gelang dem HSV im ersten Heimspiel von Retter-Trainer Bruno Labbadia der erste Heimsieg gegen Augsburg. Das 3:2 der totgeglaubten Truppe war die Initialzündung des erneuten Klassenerhalts, der in der Relegation in Karlsruhe gelang.
Und wer weiß, wo der HSV heute stehen würde, hätte er vor einem Jahr unter Labbadia im letzten Spiel der Vorrunde nicht mit 0:1 gegen Augsburg verloren. Anstatt sich in der oberen Tabellenhälfte festzusetzen, ging es in der Rückrunde letztlich doch wieder nur um den Klassenerhalt. Der gelang schließlich am 33. Spieltag.
Sieg beim FCA führte zu Augenwischerei
Es folgte zum Saisonausklang das Auswärtsspiel in Augsburg. Die Bayern waren zum Abschied ihres Trainers Markus Weinzierl schon vor der Partie gegen den HSV für drei Tage nach Mallorca geflogen. Noch spürbar im Ballermann-Modus schenkte Augsburg das Spiel mit 1:3 ab. Die Hamburger wurden in der Abschlusstabelle Zehnter. Es hätte genauso gut Platz 14 werden können. So ließen sich die Verantwortlichen rund um den HSV vom zehnten Platz blenden und forderten in der neuen Saison einen weiteren Sprung. Eine Erwartungshaltung, die Labbadia letztlich auch zum Verhängnis wurde, als er bereits nach dem fünften Spieltag entlassen wurde.
Wo also geht die Reise des HSV nach diesem Wochenende hin? Eines scheint klar: Unterschätzen werden die Hamburger die Augsburger diesmal nicht. „So einen Gegner hatten wir noch nicht“, sagte Gisdol vor dem Spiel. „Das ist eine Mannschaft, die richtig gut verteidigen kann. Es kann ein Geduldsspiel werden. Wir dürfen die Defensive nicht vernachlässigen, weil Augsburg gute Konterspieler hat. Das wird eine neue Herausforderung.“
Augsburg-PK vor dem HSV-Spiel:
Schicksalsspiel für Beiersdorfer?
Richtungsweisend könnte Augsburg auch für Dietmar Beiersdorfer werden. Gelingt dem HSV der erste Heimsieg, wird der Clubchef mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zur Winterpause weiterarbeiten. Dann muss der Aufsichtsrat eine Entscheidung treffen, ob es für den Vorstandsvorsitzenden beim HSV noch eine Zukunft gibt. Nachfolge-Kandidat Heribert Bruchhagen soll seine Bereitschaft, nach Hamburg zu kommen, erklärt haben. Verliert der HSV gegen Augsburg, wäre es mit der Ruhe aber schlagartig wieder vorbei. Daran würde auch Gisdols Aufruf zu mehr Geschlossenheit nichts ändern können.
Zumindest hat es der Trainer geschafft, mit den jüngsten Entscheidungen und den verbesserten Leistungen der Mannschaft seine eigene Position im Club zu stärken. Im aufgeregten Hamburger Umfeld strahlt der 47-Jährige große Ruhe aus und verkörpert derzeit die Rolle des Hoffnungsträgers.
Gisdol hält vor dem Spiel gegen Augsburg auch nicht viel davon, sich von Zahlenspielen leiten zu lassen. Sollte die Partie allerdings verloren gehen und der HSV möglicherweise wieder auf den letzten Platz zurückfallen, darf auch der Trainer mal eine Statistik bemühen. Vor gerade einmal vier Jahren gab es einen Verein, der nach 14. Spieltagen nur sieben Punkte geholt hatte. Am Ende der Saison schaffte er mit 33 Punkten noch den direkten Klassenerhalt. Dieser Verein war – wie sollte es anders sein – ausgerechnet der FC Augsburg.