Hamburg. Der HSV-Vorstandschef muss sich Fragen nach seiner Transferpolitik gefallen lassen. Aufwand und Ertrag stimmen nicht.
Ruhe beim HSV. Danach sehnen sich ja viele, am Mittwoch war es so weit. Die Mannschaft trainierte nachmittags unspektakulär unter grauem Himmel. Clubchef Dietmar Beiersdorfer war nirgends zu sehen oder zu hören. Auch aus dem Aufsichtsrat drangen keine Neuigkeiten nach außen. Und neue Kandidaten für den Sportchef oder Vorstandsposten ploppten auch nicht auf. Außer Matthias Sammer. Der wurde laut „Sportbild“ vor drei Wochen mal gefragt, lehnte aber sofort ab. Sammer hatte seinen Job bei Bayern München aus gesundheitlichen Gründen vor einem halben Jahr aufgegeben und will noch nicht wieder arbeiten. So weit, so gut. Oder auch nicht.
Denn die latente Unruhe um den HSV schwelt ja weiter. Nicht auszudenken, was los ist, sollte die Mannschaft am Sonnabend gegen den FC Augsburg (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) verlieren. Ohnehin ist erstaunlich, wie sehr Beiersdorfer dem Druck bislang widersteht. Von sachlicher Kritik bis übler Diffamierung reicht das Spektrum. Längst haben sich zahlreiche Fans, die noch vor zweieinhalb Jahren mit seiner Rückkehr an die Clubspitze große Hoffnungen verbanden und ihn bejubelten, abgewandt. Auch der Aufsichtsrat beschäftigt sich inzwischen mit der Zukunft des 53-Jährigen.
Beiersdorfer muss sich seiner Bilanz als erster Vorstandsvorsitzender der HSV-AG stellen. Nach der Umwandlung der Profiabteilung und frischem Geld vor allem von Investor Klaus-Michael Kühne hat der HSV seit dem Sommer 2014 insgesamt 90,60 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Bereinigt um erzielte Transfereinnahmen für verkaufte Profis bleiben immer noch 52,10 Millionen Euro. Umso erschütternder ist der sportliche Ertrag mit den Relegationsspielen 2015 und dem erneuten Abstiegskampf jetzt.
Zwar war bis zu seiner Entlassung Ende letzter Saison Sportchef Peter Knäbel für die Transfers zuständig, man darf aber davon ausgehen, dass kein Zugang ohne die Zustimmung von Beiersdorfer geholt wurde. „Ich weiß, was ich kann“, sagte er mit Blick auf den Job des Sportchefs. Er mache das seit 14 Jahren.
Manchmal nutzen strukturelle Fortschritte wenig
Nach dem Ende seiner ersten Amtszeit beim HSV (2002 bis 2009) war der Franke als Sportdirektor und Vorstandsvorsitzender für Red Bull und RB Leipzig verantwortlich (2009 bis 2011) und seit August 2012 für zwei Jahre als Sportdirektor bei Zenit St. Petersburg. Geld hatte er da reichlich zur Verfügung, vor allem in Russland, wo der Energieriese Gazprom Erfolg in der Champions League erkaufen wollte.
So holte Beiersdorfer Spieler wie den Brasilianer Hulk (55 Millionen Euro) oder den Belgier Aksel Witsel (40 Millionen), die erhofften internationalen Erfolge blieben jedoch aus. In St. Petersburg sperrten sich die Verantwortlichen deshalb nicht, als Beiersdorfer trotz Vertrages bis 2015 im Sommer 2014 der erneute Ruf des HSV erreichte.
So sehen Sieger aus – die besten Bilder aus Darmstadt:
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„Ein Sanierungsfall“ sei der HSV damals gewesen, „auf allen Ebenen“. In der Bundesliga in vielen Bereichen „nicht mehr wettbewerbsfähig“. Er nannte beispielsweise das Scouting und die Nachwuchsabteilung. „Ich lasse meine Arbeit nicht auf den bisherigen Bundesligaverlauf reduzieren“, sagte er der dpa: „Ich weiß, was ich beim HSV bisher gemacht habe und was ich auch weiterhin imstande bin zu leisten.“
Allerdings nützen alle strukturellen Fortschritte wenig, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt. Und Beiersdorfer ist nun einmal verantwortlich dafür, dass er zweimal zögerte, wider besseres Wissen sich von den „Rettern“ Mirko Slomka und Bruno Labbadia beizeiten im Sommer zu trennen. Er ist auch verantwortlich für Transferflops wie unter anderem Valon Behrami (6 Mio.), Ivica Olic (2 Mio.), Aaron Hunt (3 Mio.), Sven Schipplock (2,5 Mio.) oder vor allem Alen Halilovic (5 Mio. Leihgebühr), den er vor dieser Saison gegen den Willen von Trainer Bruno Labbadia aus Barcelona holte.
Labbadias Wunsch nach einem Innenverteidiger
Beiersdorfer dürfte auf ein ähnliches Erfolgsmodell wie bei Rafael van der Vaart (gemeint ist die Zeit 2005 bis 2008) oder Nigel de Jong gehofft haben – Jungstar entwickeln und teuer verkaufen. Doch der zurzeit verletzte Kroate fiel bislang vor allem durch Starallüren auf und verscherzte es sich dadurch schnell mit seinen Kollegen. Auch bei Trainer Markus Gisdol spielt er deshalb keine Rolle und könnte im Winter nun nach Gijon verliehen werden.
Andererseits war Beiersdorfer nicht in der Lage, Labbadias Wunsch nach einem Innenverteidiger und einem „Sechser“ zu erfüllen. Auch hier schaute er nur ins alleroberste Regal, bemühte sich um Weltmeister Matthias Ginter (Dortmund) und den Nigerianer Onyinyi Ndidi (Genk). Vergeblich. Der HSV muss dieses Versäumnis bei den Nachverpflichtungen in diesem Winter wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes teuer bezahlen. Wieder einmal.