Hamburg. Ein Wechsel an der Clubspitze wird im Volkspark immer wahrscheinlicher. Doch der Aufsichtsrat des HSV spielt auf Zeit.
Er hatte nichts zu sagen. Keine Reaktion. Schweigen. Heribert Bruchhagen war am Dienstag für das Abendblatt nicht zu erreichen. Er wollte sich nicht äußern. Lediglich bei Sky, dem Sender, für den Bruchhagen als TV-Experte arbeitet, meldete sich der 68-Jährige zu Wort. „Ich werde mich zu diesem Thema nicht äußern“, sagte Bruchhagen. Und sagte sozusagen nichts. Einerseits. Und irgendwie doch auch ziemlich viel. Andererseits. Ein Dementi zu diesem Thema, wie man so schön sagt, klingt anders.
Dieses Thema, es ist seit Dienstag die bekannt gewordene Kontaktaufnahme zwischen Bruchhagen und dem HSV. Wie das Abendblatt erfuhr, hat sich der Aufsichtsrat der Hamburger mit dem langjährigen Vorstandschef von Eintracht Frankfurt in der vergangenen Woche zum wiederholten Mal getroffen. Sondierungsgespräche, sozusagen. Gespräche, die deutlich machen, was seit einigen Wochen in der Luft liegt: Dietmar Beiersdorfer, Vorstandschef des HSV, steht vor dem Aus.
Bruchhagen für Beiersdorfer? Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis vor allem eins: kompliziert. Der HSV im Dezember 2016 bewegt sich in einer unübersichtlichen Matrix aus verschiedenen Interessen und Entscheidungsträgern. Und innerhalb dieses Beziehungsgeflechts stehen vor allem zwei Fragen im Raum: Wer geht beim HSV ins Risiko? Und vor allem: wann?
Vertrauliches Verhältnis vor dem Ende?
Aufsichtsratschef Karl Gernandt und Vorstandsboss Dietmar Beiersdorfer stehen im Zentrum dieser Matrix. Immer wieder betonten die beiden in der jüngeren Vergangenheit ihr vertrauliches Verhältnis. Und doch ist bekannt, dass Gernandt sich intern bereits seit Wochen mit dem Szenario beschäftigt, den unglücklich agierenden Beiersdorfer zu entlassen. „Natürlich gibt es das sogenannte Manöver des letzten Augenblicks“, sagte Gernandt kürzlich im Abendblatt-Interview. „Bevor man eine Kollision nicht mehr verhindern kann, hat man nur noch eine Chance.“
Eine Aussage, die sich auf die Personalie Beiersdorfer und eine mögliche Trennung bezog. Doch wann ist dieser Augenblick gekommen? An dieser Stelle wird es richtig kompliziert. Denn was vor drei Wochen offenbar kaum jemand erwartet hat, ist nun eingetroffen. Der HSV hat im Kampf gegen den Abstieg sportlich wieder Hoffnung geschöpft. Ein „Pflänzchen“ ist gewachsen, sagte Trainer Markus Gisdol, der mit dem ersten Saisonsieg gegen Darmstadt (2:0) am Sonntag zum dritten Mal in Folge ungeschlagen blieb.
Club kräftig durchrütteln
Was also tun, um das wachsende Pflänzchen nicht wieder zu zerstören? Ein Wechsel an der Vorstandsspitze würde den Club in der jetzigen Situation kräftig durchrütteln. Dass Beiersdorfer nur noch das Amt des Sportchefs bekleidet, hatte dieser vor einer Woche ausgeschlossen. Trainer Gisdol würde daher seinen Ansprechpartner in der Planung der Wintertransferperiode verlieren. Diese muss seit Wochen vorbereitet werden, damit der HSV sein Defensivproblem lösen kann. „Im Moment läuft es rund“, sagte Gisdol über die Zusammenarbeit mit Beiersdorfer. Nicht weniger riskant ist die Entscheidung, Beiersdorfer bis auf Weiteres gewähren zu lassen. Der 53-Jährige hatte am Montag verkündet, dass er den von Gernandt „dringend“ geforderten neuen Sportchef auf die Schnelle nicht verpflichten werde, weil der passende Mann nicht auf dem Markt sei. Stattdessen will sich Beiersdorfer selbst um die Wintertransfers kümmern. Am 5. Januar beginnt das Trainingslager in Dubai, dann sollte der Kader beisammen sein. Ein Club- und Sportchef-Wechsel im Winter käme also zu spät.
So sehen Sieger aus – die besten Bilder aus Darmstadt:
So sehen Sieger aus – die besten Bilder aus Darmstadt
Ohnehin stellt sich die Frage, was eine erneuerte Clubspitze in der Winterpause bewirken kann. Eine solche Maßnahme ist in der Bundesliga äußerst ungewöhnlich. Beiersdorfer, der für den sportlichen Absturz des HSV verantwortlich gemacht wird, will um sein Amt kämpfen. „Ich liebe meinen Beruf, und ich liebe meinen Club“, sagte er. Ob das noch reicht, um sich zu retten?
Bruchhagen hat das Aus beim HSV 1995 lange beschäftigt
Klar ist auch, dass ein Rauswurf Beiersdorfers für den HSV mal wieder teuer enden würde. Sein Vertrag läuft noch bis zum Jahr 2018. Um eine Abfindung kämen die Hamburger nicht herum. Aus dem Vorstand wäre dann nur noch Frank Wettstein übrig. Der Finanzvorstand ist Beiersdorfer eng verbunden. In den kommenden Tagen wird Wettstein die endgültige Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres 2015/16 veröffentlichen. Dann kann jeder einsehen, wie es um die finanzielle Lage des Clubs tatsächlich bestellt ist. Geld zu verschenken hat der HSV jedenfalls nicht.
Und wie denkt eigentlich Heribert Bruchhagen? „Ich kann nur sagen, dass ich mich bei Sky sehr wohlfühle“, sagte er am Dienstag. Im Sommer sah noch alles danach aus, dass er sich nach seinem Abschied bei Eintracht Frankfurt aus dem operativen Fußballgeschäft komplett zurückzieht. Doch bereits vor zehn Tagen reagierte er in einer Sky-Sendung gereizt, als er auf eine mögliche Tätigkeit beim HSV angesprochen wurde.
Bruchhagen, ein Vertrauter des ehemaligen HSV-Präsidenten Jürgen Hunke, hat zu den Hamburgern eine erwähnenswert emotionale Verbindung. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Manager beim HSV. Doch der damalige neue Präsident Ronald Wulff, den Bruchhagen verhindern wollte, entließ ihn folgerichtig kurz nach der Amtsübernahme.
Bruchhagen hat das Aus beim HSV vor 21 Jahren lange beschäftigt. Wenn er nun die Chance bekommen würde, den Club zu führen, würde er vermutlich nicht Nein sagen. Doch bis dahin gilt für ihn das Motto: Sagen Sie jetzt nichts.