Hamburg. Beiersdorfer rechtfertigt Entlassung am Telefon. Wie viel Einfluss hatte Investor Kühne auf Labbadias Entlassung?
Der HSV hat Trainer Bruno Labbadia und das gesamte Trainerteam am Sonntagmorgen beurlaubt – per Telefon. Nach Abendblatt-Informationen soll sich der Verein praktisch einig sein mit Markus Gisdol als Nachfolger. Gisdol hatte zuletzt 1899 Hoffenheim gecoacht. Vermutlich wird er bereits am kommenden Wochenende bei Hertha BSC Berlin auf der Bank sitzen. Für den HSV ist es der 14. Trainerwechsel in zehn Jahren. Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer bestätigte das Interesse an Gisdol: „Es gab Gespräche, aber es gibt noch keinen rechtsgültigen Vertrag." Klingt nach schneller Einigung.
Labbadia äußerte sich per Facebook: "Es ist schade, dass wir jetzt zu Beginn der Saison nicht die nötigen Ergebnisse erzielen konnten." Er nannte die Zeit beim HSV "wahnsinnig intensiv". Und: "Es hat mir sehr viel bedeutet, Trainer des HSV sein zu können. Ich habe mich jeden Tag mit dieser Aufgabe identifiziert."
Video: Beiersdorfer über Labbadia
Der HSV bestätigte die Trennung per Twitter. Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer hatte sich bereits am Sonntagmorgen auf den Weg ins Volksparkstadion gemacht. Dort hatte er bereits nach dem guten Auftritt der Mannschaft gegen die Bayern (0:1) durchblicken lassen, dass Labbadia seinen Rückhalt verloren hat. Der Trainer, der zum zweiten Mal beim HSV engagiert war, hatte den Verein in der Saison 2014/2015 in der Relegation vor dem Abstieg gerettet und war dafür sogar zum "Hamburger des Jahres" gekürt worden.
Investor Kühne macht Druck
Doch das zählt nicht viel in hektischen Zeiten, da HSV-Investor Klaus-Michael Kühne nach Platz zehn in der vergangenen in dieser Saison Platz sechs bis acht als Ziel ausgegeben hat. Aufgrund der Millionenschulden ist der Verein eigentlich genötigt, einen Europapokal-Wettbewerb zu erreichen. Für die Champions League dürfte es knapp werden nach diesem Bundesliga-Start mit nur einem Punkt...
Die HSV-Trainer der letzten zehn Jahre
14 Trainer in zehn Jahren beim HSV
Beiersdorfer teilte mit: „Dieser Schritt ist angesichts unseres sportlichen Trends notwendig. Ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt eine Veränderung auf der Trainerposition vornehmen müssen, um nach dem enttäuschenden Saisonstart den sportlichen Turnaround zu schaffen. Nach der langen Vorbereitung und den bisherigen Spielen müssen wir konstatieren, dass unsere fußballerische Entwicklung insgesamt nicht unseren Vorstellungen entspricht.“ Seit seinem Amtsantritt am 8. Juli 2014 hat Beiersdorfer nach Mirko Slomka und Joe Zinnbauer zum dritten Mal den Chefcoach gewechselt.
Beiersdorfer sagte: "Wir hatten und haben kein 'Problem Bruno', sondern ein 'Problem Ergebnisse' und ein 'Problem sportliche Entwicklung'. Darum war und ist eine Veränderung erforderlich." Der HSV hatte nur im Auftaktspiel gegen Ingolstadt einen Punkt geholt und die letzten vier Partien verloren.
Statistik pro und contra Labbadia
Nimmt man die Spiele in diesem Jahr saisonübergreifend zusammen, ist der HSV mit 20 Punkten aus 22 Spielen das schlechteste Bundesliga-Team. Allerdings hat Labbadia (50) als HSV-Trainer unter Clubchef Dietmar Beiersdorfer den höchsten Punkteschnitt pro Spiel geholt, nämlich 1,16 Punkte (45 Punkte aus 52 Spielen). Mirko Slomka holte in 16 Spielen unter Beiersdorfer 12 Punkte (0,75 Punkte pro Spiel), Josef Zinnbauer in 23 Spielen 24 Punkte (1,04). Und Interimscoach Peter Knäbel ging mit null Punkten aus zwei Spielen wieder in sein Büro zurück.
Dabei hatte sich die Stimmung gedreht. War Trainer Bruno Labbadia noch unmittelbar vor dem HSV-Spiel gegen Bayern München am Sonnabend (0:1) der Spott der Fans und Beobachter sicher, reagiert die Rothosen-Gemeinde auf Twitter, Facebook und Instagram und auch im Blog „Matz ab“ nun kritisch gegenüber Dietmar Beiersdorfer. Der Vorstandsvorsitzende steht im Fokus, weil er – gewohnt diplomatisch – kein klares Bekenntnis ablegen wollte. Das fordern aber die Fans: klare Kante. Ex-Profi Stefan Schnoor kritisierte in der Livesendung von Matz ab gar: "Der Vorstand hat sich enteiert."
Doch das half nichts. Beim HSV werden in diesen Stunden Fakten geschaffen. Das für diesen Sonntagvormittag angesetzte Auslaufen wurde abgesagt. Trainer Labbadia hatte den Spielern zwei Tage trainingsfrei gegeben.
Die Spieler haben sich in ihren Kommentaren für Labbadia ausgesprochen – und im Bayern-Spiel ohnehin mit Füßen. Das 0:1 gegen die Münchener Übermannschaft war sicher unglücklich aus HSV-Sicht. Das späte Tor durch den galligen Joshua Kimmich war nach einer beherzten Abwehrleistung über 88 Minuten bitter. Pierre-Michel Lasogga hätte danach sogar noch den Ausgleich machen können. Und zu Beginn der Partie vergab Nabil Bahoui die womöglich beste Chance für den HSV.
Dazwischen lag zwar bayerische Dominanz, doch wer anderes erwartet hätte, war naiv. Allerdings hinderte der HSV die Gäste immer wieder an ihrem Kombinationsspiel. Da war nichts im Fluss – und das wenige Tage vor der angekündigten Bayern-Revanche in der Champions League gegen Atletico Madrid. Die Madrilenen hatten Bayern in der vergangenen Saison aus der Königsklasse geworfen.
HSV-Spieler für Labbadia
Und die Bayern zeigten Nerven. Der aggressive Kimmich holte sich Gelb ab und hätte Rot sehen können. Eine klare Tätlichkeit beging – erneut – Franck Ribery, der Nicolai Müller in die Wange zwickte – und das direkt vor den Augen von Schiedsrichter Felix Zwayer. Referee und Experte Markus Merk sagte bei Sky, da hätte man Ribery eigentlich des Platzes verweisen müssen.
Twitter-Reaktionen auf Labbadia
Aber im Mittelpunkt stand die Trainer-Debatte. Beiersdorfer sagte mit Blick auf Labbadia: "Diese völlig unzureichende Leistung müssen wir jetzt erst einmal verdauen.“ Man wolle die Situation analysieren. Sitzt Labbadia am Sonnabend in Berlin gegen Hertha BSC noch auf der Bank? "Das kann ich noch nicht sagen", sagte Beiersdorfer bei Sky.
Gisdol für Labbadia?
Markus Gisdol (früher Hoffenheim), Wunschkandidat im Volkspark, wird auch von Werder Bremen umworben. Dort ist aber auch Andreas Herzog im Gespräch. André Breitenreiter könnte ebenfalls bei beiden Nordclubs anheuern. Bei Schalke 04 war er wegen Erfolglosigkeit gefeuert worden. Doch wer nicht? Die Situation in Gelsenkirchen ist nach diesem Fehlstart auch für Trainer Markus Weinzierl dramatisch.
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Breitenreiter hatte Paderborn in die Bundesliga geführt und sich als Aufbaumeister einen Namen gemacht. Zudem kennt er den HSV noch aus seiner Profi-Karriere. Gisdol allerdings ist eng mit Bernhard Peters bekannt, Direktor Sport beim HSV und früherer Hoffenheim-Guru im Hintergrund. Und Bruno Labbadia? "Meine Tochter und mein Sohn sind da, wir werden trotzdem etwas Schönes essen gehen", sagte er und verabschiedete sich nach dem 0:1 in einen lauen Spätsommerabend.