Hamburg. HSV verliert beim 1:2 gegen Darmstadt schon zum vierten Mal zu Hause gegen einen direkten Konkurrenten. Labbadia vermisst Kreativität.

Die Stimmung nach der Partie war ausgelassen. Schunkelnd und klatschend saßen die Spieler mit einem Weißbier in der Hand im Zwick. Lotto King Karls Kompagnon Carsten Pape performte auf dem Tisch tanzend den HSV-Hit „Das ist wie fliegen“. Stundenlang wurde über dieses unfassbare Fußballspiel im Volkspark gesprochen, geschwärmt und geflachst. Über das Spiel, das nun schon mehr als 15 Jahre zurückliegt. Das berühmte 4:4 in der Champions League zwischen dem HSV und Juventus Turin im September 2000, das die HSV-Spieler von damals zum Anlass nahmen, ein Klassentreffen in Hamburg zu veranstalten.

Was Jörg Butt, Nico Hoogma, Stig Töfting, Bernd Hollerbach, Sergej Barbarez oder Mehdi Mahdavikia am Nachmittag zuvor im Volksparkstadion erlebten, hatte mit dem Spiel von 2000 aber nur eines zu tun: Der HSV spielte wieder vor ausverkauftem Haus. Und das, obowohl der Gegner diesmal nicht Juve, sondern Darmstadt 98 hieß. Was die Hamburger gegen den Aufsteiger auf den Rasen zauberten, fasste der HSV-Kapitän von damals, Nico Hoogma, am treffendsten zusammen: „Das war einfach schlecht“, sagte der Niederländer. Der HSV von heute demonstrierte beim 1:2 (0:1) einmal mehr, dass er von der Champions League mittlerweile so weit entfernt ist, wie Hoogmas Holländer von einer EM-Teilnahme in diesem Sommer.

Ungefähr zeitgleich, als die HSV-Stars von 2000 am Sonntagmorgen das Zwick am Mittelweg in Pöseldorf wieder verließen, machten sich die Profis um den jetzigen Kapitän Johan Djourou auf den Weg zum nachtäglichen Auslaufen. Und das taten sie in ungefähr derselben deprimierten Körperhaltung, in der sie am Sonnabend den Volkspark verlassen hatten. „Wir sind immer noch total enttäuscht“, sagte Trainer Bruno Labbadia in der anschließenden Analyse. Zum siebten Mal hatte seine Mannschaft in dieser Saison ein Heimspiel verloren. Zum vierten Mal unterlag der HSV zu Hause einem Gegner aus der unteren Tabellenhälfte. Erneut versäumte es der Verein, zwei Spiele in Folge zu gewinnen. „Wir haben wieder mal versagt“, sagte Mittelfeldmann Lewis Holtby, der in der Nachspielzeit zumindest noch den Ehrentreffer erzielt hatte.

Hunt wird schmerzlich vermisst – und fehlt weiter

Warum sich der HSV gegen tief stehende Gegner wie Darmstadt immer so schwer tue, das Spiel zu machen, wurde Labbadia am Sonntag gefragt. Seine Antwort: „Weil es die hohe Kunst ist.“ Und dem HSV, das wurde einmal mehr deutlich, fehlen die Künstler. So droht Chefkünstler Aaron Hunt wegen allerlei Beschwerden auch in Dortmund auszufallen. Und ohne den Regisseur, der heute umfassend im UKE untersucht wird, verzeichneten die Hamburger ganze neun Torschüsse gegen die Hessen. „Es fehlt an Kreativität“, sagte auch Hoogma. In einer Loge auf der Osttribüne hatte der heutige Sportdirektor von Heracles Almelo mit seinen alten Freunden beobachtet, wie der HSV trotz Hunts Abwesenheit zunächst ganz gut in die Partie kam.

Kommentar: Warum HSV-Fans nicht pfeifen sollten

Hunt-Ersatz Michael Gregoritsch (5./26.), Ivo Ilicevic (19.) und Sven Schipplock hatten zu Beginn gute Gelegenheiten auf teilweise klägliche Art vergeben. „Gegen eine Mannschaft wie Darmstadt bekommt man nur wenig Chancen“, sagte Labbadia. „Da müssen wir uns bewusster sein, wie wichtig ein 1:0 ist.“ Doch dieses Bewusstsein entwickelte an diesem Nachmittag nur der Gast aus Darmstadt, der mit der ersten Chance zur Führung traf. Natürlich nach einer Standardsituation. Natürlich durch Kapitän Aytac Sulu. Natürlich per Kopf (38.). Ein Mittel, das sich eigentlich auch bis Hamburg herumgesprochen hatte. „Wir haben die ganze Woche Standards trainiert, haben explizit auf die Kopfballstärke von Sulu hingewiesen. Und dann passiert‘s doch“, sagte HSV-Stürmer Schipplock.

Bedenklicher als die Ursache des Gegentors aber war die Tatsache, dass der HSV anschließend nicht in der Lage war, sich Torchancen herauszuspielen. Knapp 30 Minuten sprach Labbadia am Tag danach mit seiner Offensivabteilung um Schipplock, Ilicevic, Gregoritsch und Nicolai Müller und suchte nach Ursachen. „Wir brauchen jemanden, der aus dem Nichts mal ein Tor macht“, sagte Labbadia. Doch dieser Spieler fehlt dem HSV. Stattdessen kassierte die Mannschaft gegen Darmstadt sogar noch das 0:2 durch Jerome Gondorf (54.). „Weil wir zu ungeduldig geworden sind und dann schlecht verteidigt haben“, sagte Labbadia.

Labbadia fordert mehr Konstanz

Dass sich seine Mannschaft hinterher Pfiffe anhören musste, interessierte den Trainer weniger. „Es ist ein Auf und Ab. Wir müssen an unserer Konstanz arbeiten“, sagte Labbadia. Vor allem aber an Lösungen, um Mannschaften wie Darmstadt spielerisch dominieren zu können. „Mit dem Ball geht bei uns einfach zu wenig“, sagte Torhüter René Adler.

Und so hoffen die Hamburger mal wieder, dass sie bei ihrem Lieblingsgegner Dortmund in der kommenden Woche mit wenig Ballbesitz viel Zählbares erreichen. Wie das geht, hat Darmstadt dem HSV vorgemacht. Den Lilien reichten am Sonnabend 35 Prozent Ballbesitz zum sechsten Auswärtssieg der Saison. Mehr Spaß als die Hessen hatten an diesem Tag höchstens die HSV-Helden von 2000.