Stuttgart/Hamburg. Durch die desolate Niederlage in Stuttgart rutschen die Hamburger Richtung Abstiegszone. Freude nur über doppelte Rudnevs-Premiere.
Ziemlich genau zwölf Stunden lagen zwischen den beiden Bildern. In ihrer Symbolik unterschieden sie sich aber kaum. Mit tief gesenkten Köpfen schlichen die Profis des HSV am Sonnabend im Stuttgarter Abendregen vom Rasen. Mit der gleichen Haltung ging es am Sonntagmorgen durch den Hamburger Graupel schon wieder auf den Trainingsplatz. So wirklich erholt hatte sich die Mannschaft noch nicht von der 1:2 (0:0)-Niederlage am Vorabend in der Mercedes-Benz-Arena. Zum dritten Mal in Folge verlor der HSV in der Bundesliga ein Spiel. Und so ähneln sich ziemlich genau zwölf Monate nach demselben Spieltag der Vorsaison auch die Tabellenbilder mit Blick auf die Hamburger. 20 Punkte nach 19 Spieltagen waren es vor einem Jahr, 22 sind es jetzt. Noch drei Punkte beträgt der Vorsprung auf Relegationsplatz 16. Geht das Zittern etwa schon wieder los?
Am deutlichsten drückte sich Lewis Holtby aus, um zu beschreiben, was dem HSV in Stuttgart widerfahren war. „Kollektives Versagen“, urteilte der Mittelfeldspieler über den erschreckend schwachen Auftritt seiner Mannschaft. Nach nur einem Punkt aus den vergangenen fünf Spielen stecken die Hamburger wieder mitten im Abstiegskampf. Auch wenn das offenbar noch nicht bei allen HSV-Spielern angekommen ist. „Da muss man auch mal die Kirche im Dorf lassen“, sagte beispielsweise Stürmer Pierre-Michel Lasogga. Johan Djourou dagegen hat den Ernst der Lage verstanden. „Wenn wir so spielen, kann es schnell nach unten gehen. Wir müssen wieder mehr Charakter zeigen und mit Herz spielen“, sagte der Kapitän.
HSV verliert 1:2 beim VfB Stuttgart
Kacar mit zahlreichen Fehlpässen
Herzhaft offensiv spielte am Sonnabend einzig der VfB Stuttgart. Begünstigt vor allem von eklatanten Fehlern des HSV. „Wir hatten zu viele Ballverluste, das hat Stuttgart in die Karten gespielt“, sagte Trainer Bruno Labbadia am Tag nach dem Spiel. Handgestoppte 50 Sekunden hatte es gedauert, ehe Gojko Kacar der erste von zahlreichen unbedrängten Fehlpässen unterlief und Filip Kostic den ersten von zahlreichen Flügelläufen startete. Im Fünfminutentakt tauchten die Stuttgarter gefährlich vor dem Hamburger Tor auf, nahezu jeder Angriff mündete in einer Großchance. Der HSV fand überhaupt keine Mittel, die schnelle und kombinationsfreudige VfB-Offensive zu stoppen. „Wir haben alle wichtigen Zweikämpfe verloren“, sagte Holtby. Dass sein Team ohne Gegentor in die Halbzeit ging, lag allein an der mangelnden Chancenverwertung der Gastgeber. „Wir hätten uns nicht beschweren können, wenn es 3:0 für Stuttgart gestanden hätte“, sagte Aaron Hunt.
So sollte es bis zur 66. Minute dauern, bis der Ball dann doch im Hamburger Tor lag. Einen unnötig verursachten Eckball köpfte Daniel Didavi mit gütiger Mithilfe des auf der Linie stehenden Hunt über die Torlinie. Weil der Spielmacher des HSV zuletzt am Ball war, wurde der Treffer offiziell als Eigentor gewertet. Die Aktion passte zum Gesamtbild, das die Gäste in Stuttgart abgaben. „Wir haben als Mannschaft nicht funktioniert. Zu viele Spieler sind nicht an ihre Leistungsfähigkeit gekommen“, sagte Labbadia.
Verheerende Flankenstatistik
In Zahlen ließ sich das Spiel vor allem anhand zweier Statistiken erzählen: 24:13 lautete das Torschussverhältnis, 28:9 führte der VfB am Ende in der Flankenbilanz. Kurioserweise war es ausgerechnet eine Hamburger Flanke, die den Spielverlauf zwischenzeitlich auf den Kopf stellte. Nach dem besten Angriff des HSV über Ivo Ilicevic und Matthias Ostrzolek hob der gerade erst eingewechselte Artjoms Rudnevs zum Flugkopfball ab und beförderte die perfekt getimte Hereingabe zum überraschenden Ausgleich ins Stuttgarter Netz (75.). Es war nicht nur die erste Torvorlage für Linksverteidiger Ostrzolek, sondern auch der erste Treffer der Saison für den HSV nach einer Flanke.
Und weil der VfB weiterhin mehr als fahrlässig mit seinen Großchancen umging, bekamen die Hamburger sogar noch zwei Möglichkeiten zum Siegtreffer. Zunächst scheiterte Ilicevic völlig frei vor Stuttgarts Torhüter Przemyslaw Tyton (79.), drei Minuten später zielte Lasogga mit einem Drehschuss nur Zentimeter daneben. „Eine abgezockte Mannschaft hätte dieses Spiel noch gewonnen“, sagte Labbadia. Doch der HSV war an diesem Abend nicht nur spielerisch und kämpferisch haushoch unterlegen, sondern am Ende auch noch naiv. Der eingewechselte Michael Gregoritsch verlor im Mittelfeld in einem überflüssigen Dribbling den Ball, nur fünf Sekunden später war das Spiel entschieden. Stuttgart schaltete blitzschnell um, die Flanke von Maxim köpfte Artem Kravets vorbei an René Adler ins linke obere Eck (88.).
Und so steht der HSV im neuen Jahr noch ohne Punkt da. Was etwas Hoffnung macht: Immerhin konnte der Club am Sonntagabend die gewünschte Verstärkung für die Offensive präsentieren, nachdem zuvor die Verpflichtung des Portugiesen Carlos Mané von Sporting Lissabon gescheitert war. Stürmer Josip Drmic wird nach bestandenem Medizincheck von Borussia Mönchengladbach bis Saisonende ausgeliehen.
Mehrere HSV-Spieler mit falschem Schuhwerk
Aber auch ein Last-Minute-Neuzugang wird nicht davon ablenken, dass der HSV erneut einen ganz schwierigen Weg vor sich hat. „Wir dürfen nicht wieder in einen Negativstrudel geraten. Wenn wir so spielen wie heute, werden wir keine Punkte mehr holen“, sagte Holtby. Hunt mahnte: „Wir müssen jetzt schnell aus den Fehlern lernen.“ Und davon gab es in Stuttgart mehr als genug. Das fing bereits bei der falschen Schuhwahl an. Mehrere Spieler verbrachten große Teile des Spiels ungewollt auf dem Boden. „Das haben wir angesprochen. Das sollte sich nicht wiederholen“, sagte Labbadia.
Der Trainer ist trotz des Rückfalls bemüht, Zuversicht auszustrahlen. „Wir müssen wieder zu unseren Stärken finden: mannschaftliche Geschlossenheit und taktische Disziplin. Wenn wir das schaffen, werden wir unsere Punkte holen.“ Wichtig sei es, die Konzentration zu bewahren. „Wir sind noch nie in der Saison durch Angst geleitet worden. Wir werden wachsam sein, aber nicht in Unruhe verfallen.“
Damit gibt der HSV zumindest nach außen ein anderes Bild ab als vor zwölf Monaten. Der Druck ist aber ähnlich groß. „Wir haben jetzt zwei Heimspiele, da müssen wir punkten“, sagte Holtby. Angesichts der Bilanz macht diese Ausgangslage aber wenig Hoffnung. In der Heimtabelle liegt der HSV nur einen Punkt vor der Relegation.
Die Statistik
Stuttgart: 22 Tyton - 15 Großkreutz, 3 Schwaab, 6 Niedermeier, 2 Insua - 26 Serey Die - 8 Rupp, 20 Gentner, 10 Didavi (ab 88. Maxim), 18 Kostic (ab 90. Sunjic) - 19 Timo Werner (ab 78. Kravets). - Trainer: Kramny
Hamburg: 15 Adler - 2 Diekmeier, 5 Djourou, 3 Cleber, 22 Ostrzolek - 40 Kacar (ab 73. Rudnevs), 8 Holtby - 27 Nicolai Müller (ab 61. Gregoritsch), 14 Hunt, 7 Ilicevic - 10 Lasogga (ab 88. Jung). - Trainer: Labbadia
Schiedsrichter: Günter Perl (Pullach)
Zuschauer: 45.000
Tore: 1:0 Hunt (66/ET.), 1:1 Rudnevs (75.), 2:1 Kravets (88.)