Hamburg. Beim letzten Heimspiel gegen Schalke ging es um den Abstieg. An diesem Sonnabend geht es um Platz drei – und darum, nicht abzuheben.
Was für eine Frage! „Selbstverständlich war ich im Stadion“, antwortet Peter Müller mit gespielter Empörung. „Für Schalke ging es um einen halbwegs versöhnlichen Saisonabschluss. Aber für den HSV ging es damals um Leben und Tod.“
Damals ist nur vier Monate her. Letzter Spieltag der Saison 2014/15. Der HSV, Tabellensiebzehnter, traf auf Schalke 04, Tabellensechster. Und die Ausgangslage war klar: Nur ein Hamburger Sieg und ein gleichzeitiger Ausrutscher eines Abstiegskonkurrenten konnte den ersten Abstieg der Clubgeschichte verhindern. „Mir war klar, dass es möglicherweise mein letztes Bundesligaspiel im Volkspark sein würde“, sagt Müller, der als einer von ganz wenigen seit dem ersten Bundesligaspiel im Volkspark dabei ist. Der Ü-80-Pensionär, der sein genaues Alter um keinen Preis verraten will, ist ein HSV-Anhänger der ersten Stunde. Seit 52 Jahren hat Müller eine Dauerkarte. „Oft habe ich mich über mich selbst geärgert, dass ich mir immer wieder eine Karte gekauft habe. Aber dann war ich auch wieder froh.“
Heute, vier Monate nach dem letzten Spiel gegen Schalke, ist Müller froh. 1300 Euro hat der Wellingsbütteler für zwei Karten für sich und seinen Sohn vor der Saison investiert. Westtribüne, Block A, vierte Reihe. Und er bereut keinen Cent. „Der HSV macht endlich wieder richtig Spaß“, sagt Müller.
Das findet auch Jan Gahde. Der Produktmanager aus Halstenbek war zwar nicht beim ersten HSV-Bundesligaspiel dabei, was aber nur an einem einzigen Grund liegt: Der 39 Jahre alte Familienvater war noch nicht geboren. „Seit 30 Jahren bin ich großer HSV-Fan“, sagt Gahde. Seit 15 Jahren hat er eine Dauerkarte. Und seit einigen Wochen ist er ohne Wenn und Aber zufrieden. „Als HSV-Fan ist man genügsam geworden. Ich freue mich einfach darüber, dass unter Bruno Labbadia wieder guter Fußball gespielt wird und dass man trotzdem auf dem Boden bleibt.“
Der Abstieg drohte beim letzten Heimspiel gegen Schalke. Vor dem Wiedersehen an diesem Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) ist nun die einzige Gefahr, nach ein paar guten Spielen in Folge abzuheben. „Wir können uns nicht ausruhen“, warnt Labbadia, der nach seiner Rettermission nun bereitwillig die Rolle des Mahners ausfüllt.
„Den letzten Spieltag gegen Schalke werde ich aber nie vergessen“, sagt Labbadia vor der Neuauflage. Der Druck damals war brutal, die Spannung konnte man beinahe mit den Händen greifen. Doch was dann passierte, als sich der HSV-Bus aus dem Elysée-Hotel auf den Weg in den Volkspark machte, lässt Labbadia noch immer schwärmen. „Was da im Stadion los war: Der Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft hat uns wahnsinnig getragen. So etwas hatte ich noch nie erlebt.“ Rund 5000 Anhänger empfingen den HSV, bildeten ein Spalier und skandierten: „Niemals Zweite Liga! Niemals!“
HSV siegt dankt Gregoritsch in Ingolstadt
Der Rest ist Geschichte: Ivica Olic (46.) und Slobodan Rajkovic (58.) trafen zum 2:0-Sieg, der SC Freiburg verlor zeitgleich 1:2 in Hannover und stieg direkt ab. Es folgten die beiden aufreibenden Relegationsspiele gegen den KSC und die Last-Second-Rettung in Karlsruhe. „Marcelo Díaz’ Schuss ins Glück hat für vieles entschädigt“, sagt Gahde, der natürlich auch im Wildpark live dabei war. „Es war der Abschluss einer bitteren Saison. Aber auch irgendwie der Startschuss für etwas Neues, etwas Gutes, etwas Besseres.“
Wie groß die Lust auf dieses Neue war, verstand kaum jemand so schnell wie Ildar Würth. Der gerade mal 17 Jahre alte Abiturient ist HSV-Fan, seit er denken kann. Und dass er ziemlich schnell denken kann, das bewies Ildar unmittelbar nach dem Klassenerhalt. Der Eimsbüttler, der schon seit Jahren hobbymäßig einen Onlineshop für T-Shirts (www.Freshopp.de) betreibt, kreierte ein Díaz-Shirt, das unter HSV-Fans schnell zum Verkaufsschlager wurde. 23,99 Euro kostet das Shirt, das den Freistoß des Chilenen zeigt. Mehr als 300 Díaz-Shirts hat Würth bereits verkauft. Und sogar in der Kabine sind seine Ideen der Renner. Johan Djourou hat sich ein T-Shirt mit seinen Initialien und seiner Rückennummer (#JD5) besorgt, auch Ingolstadt-Goldschütze Michael Gregoritsch (#MG23) hat eins. „Man merkt total, dass der HSV wieder in ist“, sagt Würth, der mittlerweile rund 20 verschiedene HSV-Shirts im Angebot hat. „Man spürt, dass ganz Hamburg wieder richtig Lust auf den HSV hat.“
Daran verdient nicht nur Würth, daran verdient vor allem auch der HSV. 54.618 Zuschauer kamen zum ersten Heimspiel gegen Stuttgart. In dieser Woche dürften knapp 110.000 Karten für die beiden Heimspiele gegen Frankfurt und Schalke abgesetzt worden sein. Die neue Lust am HSV zahlt sich aus: Hauptsponsor Emirates will verlängern, es gibt einen Rekord an neu verkauften Hospitality-Plätzen, auch das Merchandising brummt wie schon lange nicht. Die Partie gegen Schalke, das Duell des Sechsten gegen den Dritten, wurde von der DFL zum Topspiel des Wochenendes bestimmt. Bis zu 187 Länder übertragen die Partie live.
„Ich muss mich fast ein wenig zwingen, nicht zu euphorisch zu werden“, sagt Ildar Würth, der an diesem Sonnabend nicht im Stadion sein kann. Eine Familienfeier auf Sylt. Ausgerechnet am Heimspielwochenende. „Das Spiel schaue ich mir aber auf jeden Fall in einer Sky-Bar auf Sylt an“, sagt der Schüler. Ein ähnliches Problem hat Peter Müller. Der Dauer-Dauerkartenbesitzer hatte eine OP am Kopf, liegt in der Reha in Bad Bramstedt. „Meine Frau darf ausnahmsweise mit meiner Karte und unserem Sohn ins Stadion“, sagt Müller. „Beim nächsten Heimspiel bin ich aber wieder dabei. Garantiert.“
Bleibt Jan Gahde. „Ich werde da sein“, sagt er. Nord-Ost-Tribüne, Block 28B, Reihe 13. Wie immer. „Ich würde es gar nicht so schlimm finden, wenn wir alles geben und dann doch verlieren“, sagt Gahde und überlegt einen Moment. Die Tabelle, möglicherweise Platz drei. Dann sagt er: „Aber natürlich darf der HSV auch gern gewinnen.“
Noch 4000 Karten sind zu haben
So kommen Sie hin:
Weil Parkplatz braun noch durch Flüchtlinge
belegt ist, empfiehlt der HSV die Anreise mit dem HVV.
Hier können
Sie noch Karten kaufen: An den Tageskassen ab 16.30 Uhr, im
Internet (www.hsv.de) oder am Telefon: 040 / 41551887.