Aichach/Hamburg. „Uns nimmt doch keiner mehr ernst, wir werden nur noch als Lachnummer angesehen“, sagt HSV-Fan Karl Wiesmüller.
Man muss sich was anhören. Auf der Arbeit, im Ort, beim Bäcker. Nicht schön. Montag war es wieder so weit. Nach der Pokalblamage, klar. Aber Karl Wiesmüller hat sich längst daran gewöhnt. Das Elend dauert ja schon länger. Man hat es eben nicht leicht als HSV-Fan – und mitten in der bayerischen Diaspora schon mal gar nicht. „Ich erfahre vor allem Mitleid“, erzählt der Ur-Bayer, „Urbayer, „meine Nachbarn sagen: Dir persönlich gönne ich, dass der HSV in der Bundesliga geblieben ist. Dem Verein nicht.“
Wiesmüller wohnt mit Frau und Sohn in Aichach, Ortsteil Griesbeckerzell. Aichach. Ein altes Pfarrdorf, knapp 1400 Einwohner. 60 Kilometer von München entfernt, 25 von Augsburg und 45 von von Ingolstadt. Er ist eingekreist von drei Bundesligisten, aber seiner ist nicht dabei. „Ich fahre zu den Auswärtsspielen hier im Süden, auch bis Frankfurt, Hoffenheim, Stuttgart“, erzählt der 49-Jährige, „und zwei, drei mal zwei-, dreimal im Jahr nach Hamburg. Das muss sein.“ Am Freitag ist er also wieder in der Allianz Arena in München. Gemeinsam mit seinen etwa 15 bis 20 Freunden aus dem Fanclub der Gegend, auch der Schauspieler Gerd Wittmann, ebenfalls „Exil-HSVer“ ist dann dabei. Vorfreude, da ist Wiesmüller ganz ehrlich, sieht allerdings anders aus. „Es geht doch nur darum, wieviele wir kriegen“, sagt er, „so ist hier jedenfalls die Stimmung.“
Aber seinen Verein, den kann man sich eben nicht aussuchen, der sucht, ganz im Sinne Nick Hornbys, einen aus. Bei Wiesmüller war das 1977, er erinnert sich noch ganz genau an diesen Moment: „Der HSV hatte das Halbfinal-Hinspiel im Europacup der Pokalsieger Anfang April 1:3 bei Atletico Madrid verloren. Zwei Wochen später gewannen wir 3:0 und zogen ins Finale ein. Danach war es um mich geschehen.“ Und die Zeit danach war ja auch großartig. Der HSV steuerte in seine beste Ära, ärgerte die Bayern – und mehr. Der 4:3-Sieg in München 1982, Hrubesch, 90. Minute. Ach, wunderbar! „Bis Mitte der 2000er-Jahre waren wir ja wenigstens teilweise noch auf Augenhöhe, konnten in München auch mal gewinnen. Da begegnete man uns noch mit Respekt“, sagt Wiesmüller. Die Pleiten, die Pannen, die Peinlichkeiten der letzten Jahre, die taten ihm weh. „Uns nimmt doch keiner mehr ernst, wir werden nur noch als Lachnummer angesehen.“
Auch sein jetzt 17 Jahre alter Sohn Tobias wurde vom HSV-Virus infiziert. „Er sagt, unabhängig von mir. Aber ein bisschen Einfluss hatte ich wohl doch.“ In dem Haushalt konnte man sich der schwarz-weiß-blauen Raute auch schwer entziehen. „Ich habe hier in der Gegend als erster einen Fahnenmast im Garten errichtet, da wehte unsere Flagge“, lächelt der Außendienstmitarbeiter in einem Chemiebetrieb, „und wenig später standen überall Maste mit Bayernfahnen.“
Den Bayern Hermann Rieger kannte er über freundschaftlich-familiäre Bande persönlich, besuchte deshalb vor Spielen in München die HSV-Mannschaft auch im Hotel, war nahe dran. Einmal lag er bei einem Massagetermin direkt neben Jörg Albertz, und Rieger knetete beide abwechselnd. „Hat sich der HSV-Vorstand eigentlich wirklich gut um Hermann gekümmert, als es dem so schlecht ging?“, fragt der Fan aus Bayern, „ich habe gehört, nur Oliver Scheel war einmal im Krankenhaus.“
Kommentar: Nur sportlicher Erfolg kann HSV-Image aufpolieren
Trotz rund 765 Kilometern Fahrstrecke von seinem Haus zum Volksparkstadion ist Wiesmüller bestens über die Zustände in Hamburg informiert. Er ist Anhänger von HSVplus und der Umwandlung – „hätte man Bernd Hoffmann schon machen lassen sollen“ –, vetraut der aktuellen Führung um Dietmar Beiersdorfer und unterstützt die Personalpolitik : „Van der Vaart, Bestverdiener, keine Leistung, musste gehen. So etwas führt mannschaftsintern immer zu Unruhe.“
Viele wenden sich ab. Wiesmüller noch nicht. Obwohl: Im März 2013 war es fast so weit. Bei der 2:9-Niederlage in München. Wiesmüller stand in der Kurve und konnte das Grauen nicht mehr mit ansehen. „Ich wollte nach 20 Minuten nach Hause. Aber ein Freund hatte mir das Spiel zum Geburtstag geschenkt, und so musste ich das ganze Elend ertragen.“ Man hat es eben nicht leicht als HSV-Fan. Und in Bayern schon mal gar nicht.