Hamburg. Der HSV bewegt sich weiter in der Abstiegszone. Doch die Jena-Pleite hat aufgeweckt. Díaz und Spahic sind die Hoffnungsträger.
Das wäre ein Rekord für die Ewigkeit: Stünde der HSV auch im Sommer 2016 wieder in der Relegation, was ja nicht gänzlich auszuschließen ist, so könnte er mit diesem skurrilen Hattrick einmal mehr Bundesliga-Geschichte schreiben. Dreimal in Folge mit dem Zweitliga-Dritten in den Kampf gegen den Erstliga-Abstieg gehen – und der HSV wäre wieder einmal ein Verein mit besonderer Fußnote. Aber um dieses Kunststück tatsächlich vollbringen zu können, müssten die Rothosen am Ende der Spielzeit wieder auf dem ominösen Platz 16 einlaufen. Doch die Frage sei an dieser Stelle erlaubt: Ist dieses Kunststück ein weiteres Mal zu schaffen?
So richtig weit weg von der Abstiegszone scheint der HSV auch 2015/16 nicht zu sein, um es einmal sehr wohlwollend zu umschreiben. Darauf deutete schon das Pokalspiel am vergangenen Sonntag in Jena hin. Dort wirkte der HSV in 120 Minuten gegen den Viertliga-Club so hilflos, amateurhaft, hausbacken, niveaulos und so absolut überfordert, als wäre er längst in den Niederungen des deutschen Fußballs verschwunden. Für jeden HSV-Fan war dieser blutleere Auftritt ein Rückfall in schlechte alte Zeiten, und die Frage, die sich daraus ergibt, ist die: War das nur ein einmaliger Ausrutscher oder bewegt sich der HSV auch in der nun beginnenden Saison auf genau einem solchen Niveau? Fakt ist: Da benötigt niemand größere prophetische Gaben, dass dem „Relegations-Meister“ erneut eine superturbulente und dramatische Spielzeit bevorsteht.
Kommentar: Nur sportlicher Erfolg kann HSV-Image aufpolieren
Rückblick: Vor einem Jahr brachten die Herren der HSV-AG immerhin stolze 35 Millionen Euro unter die Leute. Beziehungsweise in die Kassen einiger Vereine in Deutschland. Für 35 Millionen kauften die Hamburger neue Spieler. Und nachdem damals die Relegation ohne Sieg erfolgreich überstanden war, hoffte ganz Hamburg für den HSV: „Nie wieder Relegation, jetzt ist ein Mittelfeldplatz drin. Mindestens.“
Diese fußballerischen Träumereien erwiesen sich allerdings als völlig falsch. Die Brötchen, die im Volkspark gebacken werden, die sind mit der Zeit immer kleiner geworden. Die Pleite von Jena hat auch ein Gutes, denn auch dem hoffnungsvollsten HSV-Optimisten muss klar geworden sein, dass es mit einem Durchstarten ins gesicherte Mittelfeld wohl so schnell doch noch nichts werden wird. Eher geht es wieder in die Relegation ...
Dabei wurden in diesem Sommer die Wünsche vieler Fans erfüllt. Der Club trennte sich von etlichen alternden Stars, die kaum noch Leistungen gebracht haben, die aber jede Niederlage so wunderschön erklären konnten. Und die deswegen vor allem nur noch eines im Volkspark waren: unerwünscht. Es wurden Spieler unter Vertrag genommen, die nicht sofort als Hoffnungsträger erkennbar sind, aber dennoch helfen könnten, dem Dino wieder neues Leben einzuhauchen. Bislang ist dieses Vorhaben noch nicht so wirklich erkennbar, aber was nicht ist, soll und kann noch werden. Gerade nach dem Pokal-Aus krallen sich viele HSV-Anhänger an den einen oder anderen Strohhalm, den sie in diesem Kader immer noch erkennen wollen.
Da gibt es zum Beispiel Marcelo Díaz. Der Chilene wurde im vergangenen Winter aus der Schweiz geholt – und verletzte sich gleich schwer. Erst gegen Saisonende kam der kleine Mann mit dem großen Herzen auf den Platz zurück – und schoss den HSV mit seinem Freistoßtreffer in Karlsruhe doch noch in den siebten Himmel. Bei der anschließenden Copa America, die Gastgeber Chile überraschend gewann, glänzte der Mittelfeldspieler, sodass er nun als der größte Hoffnungsträger des HSV gilt. Díaz, im Prinzip auch ein neuer Mann im Volkspark, wird von den HSV-Fans ob seines Tores im Wildpark stets enthusiastisch gefeiert – und an einem solchen Mann könnten sich die Mitspieler orientieren. Und von ihm mitreißen lassen.
Oder auch von Emir Spahic. Der eisenharte Abwehrspieler, am kommenden Dienstag 35 Jahre alt, war aufgrund seiner Vorgeschichte in Leverkusen nicht unumstritten, hat sich aber praktisch über Nacht in diese Mannschaft integriert und jetzt schon unentbehrlich gemacht. Spahic übernimmt Verantwortung. Von diesen Charakteren gibt es nicht viele im HSV-Kader, schon allein deswegen ist der Bosnier ein ganz großer Hoffnungsträger des „neuen“ HSV. Alle anderen Neulinge werden tüchtig zulegen müssen. Der Schwede Albin Ekdal, der in Italien das Absteigen übte, wird sich gewaltig steigern müssen, wenn er einen Stammplatz haben möchte – und genau den haben ihm die HSV-„Einkäufer“ zugetraut. Ebenso Gotoku Sakai, wenn er Dennis Diekmeier oder Matthias Ostrzolek verdrängen will. Bislang war das herzlich wenig, was der Japaner brachte. Der aus Bochum gekommene Österreicher Michael Gregoritsch zeigte in paar Szenen bereits, dass er dem HSV helfen könnte – ein eleganter und feiner Fußballer. Eher ein kämpferischer Typ ist dagegen Sven Schipplock, und er, darauf hofft der HSV-Anhang, könnte für Soforthilfe im bislang so schwachen Angriff sorgen.
Kampfgeist, Laufbereitschaft und Tempo-Fußball sind notwendig
Gleiches gilt für den durchaus veranlagten Batuhan Altintas, der kräftemäßig noch mächtig zulegen muss. Ob Heimkehrer Kerem Demirbay überhaupt noch in die Nähe der Stammformation gelangt, bleibt abzuwarten.
Findet Trainer Bruno Labbadia relativ zügig seine Mannschaft, findet das Team so etwas wie Lust und Leidenschaft, dann könnte Abstieg oder Relegation durchaus kein Thema für Hamburg werden. Dazu muss der HSV aber lernen, was Kampfgeist heißt, was Laufbereitschaft ist, was Tempo-Fußball bedeutet. Alles Punkte, in denen es gravierenden Nachholbedarf gibt. Nicht nur Labbadia hat viel zu tun, sondern der gesamte HSV. Das allerdings zu erkennen und auch entsprechend anzunehmen wird das Kunststück sein – in den vergangenen Jahren hat der HSV genau das nämlich nie geschafft.