Hamburg. Der HSV-Chef lässt Knäbels Zukunft vorerst offen. Im Abendblatt-Interview spricht er über die kommende Saison und lobt ein Talent.

Die Überraschung war groß, als zwei Tage vor dem Saisonstart des HSV gegen Bayern München Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer statt Trainer Bruno Labbadia um kurz nach 13 Uhr zur turnusmäßigen Spieltagspressekonferenz erschien. Immerhin vier Tage hatte es gedauert, ehe sich Beiersdorfer entschied, die Affäre um mutmaßlich gestohlene interne Dokumente („Rucksackgate“) zu kommentieren. „Es handelt sich um ein laufendes Strafverfahren, deswegen ist es für uns schwierig, dazu im Detail Stellung zu beziehen“, sagte Beiersdorfer, der aber bestätigte, dass der Fall von einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft untersucht werde (Abendblatt berichtete).

Die zentrale Frage, ob Sportchef Peter Knäbel, dem die internen Unterlagen unter mysteriösen Umständen abhanden gekommen waren, im Amt bleiben darf, beantwortete Beiersdorfer eindeutig – zumindest zunächst: „Es sind Unterlagen verschwunden. Dieses Delikt ist aber nicht von Peter verursacht worden, sondern von einer unbekannten Person. Wir schützen unsere Angestellten, werden niemanden vorverurteilen, wie es schon viel zu oft vorgekommen ist. Deswegen haben wir Peter das Vertrauen ausgesprochen – und wir haben auch das Vertrauen in ihn“, sagte Beiersdorfer, der dieses Vertrauen auf Nachfrage allerdings einschränkte: „Bevor wir zu einem Urteil kommen, wollen wir erst mal eine unabhängige Untersuchung machen lassen. Danach werden wir die Ergebnisse bewerten.“ Die Tatsache, dass interne Dokumente an die Öffentlichkeit gelangten, sei ein absolutes „No-Go“: „Lassen Sie mich da ganz klar sein: Es geht natürlich nicht, dass interne Dokumente in der Öffentlichkeit auftauchen. Wir wollen das lückenlos aufklären. Solange das nicht passiert ist, werden wir kein endgültiges Urteil fällen.“

Endgültig klar ist nur, dass der HSV an diesem Freitag in die 53. Bundesligasaison gegen Bayern München startet. Auch darüber sprach Beiersdorfer – nicht auf der Pressekonferenz, sondern im Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt : Herr Beiersdorfer, wie sehr hat „Rucksackgate“ den Verein erschüttert?

Dietmar Beiersdorfer : Ist doch klar, dass so eine Geschichte ins Kontor schlägt. Der Punkt ist aber, dass wir uns von diesen Sachen nicht leiten lassen dürfen, sondern die Konsolidierung des Clubs in allen Bereichen weiter vorantreiben müssen. Die Tiefschläge der letzten Tage werden wir dabei verarbeiten.

Und unabhängig von der Rucksack-Affäre: Wie sehr hat das Pokal-Aus in Jena auch Ihnen die Vorfreude auf die kommende Saison genommen?

Beiersdorfer : Wissen Sie, ich war diese Woche bei einem Lunch mit Kunden, die ihre Businessseats im März gekündigt hatten. Es gab schon bessere Tage für so ein Treffen. So ein Spiel wie am Sonntag ist schwer zu verdauen. Allerdings habe ich die Situation schon vorher nicht rosarot gesehen. Genauso tendiere ich jetzt nicht dazu, alles total schwarzzumalen.

Kommentar: Nur sportlicher Erfolg kann HSV-Image aufpolieren

Was haben Sie den Kunden gesagt?

Beiersdorfer : Dass wir viele Dinge auf den Weg gebracht haben. Gerade in der vergangenen Woche beispielsweise haben wir zusammen mit Alexander Otto den Startschuss zum Bau des HSV-Campus gegeben, der in seiner zukünftigen Funktionalität ein bedeutendes Stück des HSV sein wird. Und glauben Sie mir: Auch wenn wir weiter Logen und Businessseats verkaufen wollen, halte ich auch in solchen Gesprächen nicht mit meinen Gefühlen oder Selbstkritik hinter dem Berg.

Wie ist denn Ihre Wahrnehmung?

Beiersdorfer : Bei der Saisoneröffnung gegen Verona hat es die Mannschaft vernünftig gemacht. Man konnte erkennen, dass die Spieler zusammen etwas erreichen wollen. Wir haben einen Trainer, der seine Aufgabe außergewöhnlich intensiv und mit hoher Identifikation angeht. Die Spieler befinden sich körperlich in einer sehr guten Verfassung. Unsere Tests haben gezeigt, dass wir uns in wesentlichen Bereichen verbessert haben. Natürlich habe ich auch schon gegen Verona gesehen, dass sich die große individuelle Klasse erst noch im Laufe der Saison finden muss.

Kein Wunder, Sie mussten die Kosten ja extrem drücken ...

Beiersdorfer (hebt den Arm): Einspruch.

Stimmt nicht?

Beiersdorfer : Wir arbeiten daran, sind aber noch nicht am Ziel.

Dennoch wäre es ja eine Kunst, wenn das neue Team besser wäre.

Beiersdorfer : Das gilt es zu beweisen. Uns ging es darum, das Gesicht der Mannschaft zu verändern. Eine neue Struktur braucht mehr Zeit, als schnell einmal irgendwo ein Pflaster draufzukleben.

.Sie meinen einen Transfer wie Rafael van der Vaart, der 2012 die Abstiegsgefahr quasi im Alleingang bannen sollte.

Beiersdorfer : Ich möchte die Vergangenheit nicht bewerten. Auch ich habe schon mal mit Pflastern hantiert.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Kader?

Beiersdorfer : Wir konnten ja, bedingt durch die Relegation, erst später anfangen. Emir Spahic wird uns Stabilität geben, Albin Ekdal als Verbindungsspieler eine gewisse Linie. Sven Schipplock ist ein Fußballer, der in jedem Spiel alles gibt. Dazu kommen junge Kräfte wie Michael Gregoritsch oder auch Gideon Jung, der uns überrascht und sich gut entwickelt hat. Wie zufrieden ich bin? Es war ein Schritt in die richtige Richtung, ich gehe davon aus, dass wir uns in einigen Bereichen verbessern können. Wir haben aber nicht die Siebenmeilenstiefel an, die uns sofort ganz nach vorne bringen.

Die HSV-Fans erwartet also erneut eine unruhige Saison?

Beiersdorfer : Um Ruhe zu finden, ist die Bundesliga grundsätzlich der falsche Ort. Sollte es uns gelingen, einen Schritt ins Mittelfeld zu machen, würde dies dokumentieren, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wunder gibt es nicht so viele im Fußball, es ist immer harte Arbeit. Etwas schneller kann es nur mal funktionieren, wenn ein, zwei Neuzugänge deutlich besser einschlagen als erwartet.

Unabhängig vom Tabellenplatz – wie sieht der richtige Weg für Sie aus?

Beiersdorfer : Mit Teamgeist und Geschlossenheit unsere Stärken auszuspielen. Andere Bundesligamannschaften haben es uns durchaus vorgemacht, wie viel Kraft aus Teams erwachsen kann, die vordergründig nicht über ein unglaubliches Potenzial an Einzelspielern verfügen. Und natürlich haben wir die Erwartung, dass Spieler, die in der vergangenen Saison scheinbar unter ihren Möglichkeiten geblieben sind, in diesem Umfeld mehr leisten können.

Pierre-Michel Lasogga wäre einer, der uns hier sofort einfiele. Schließlich fehlte schon einmal nicht viel zu seinem Debüt für die deutsche Nationalmannschaft.

Beiersdorfer : Wir setzen natürlich auch Hoffnungen in Pierre-Michel. Er war viel verletzt in der vergangenen Saison, konnte nie über längere Zeit auflaufen. Er muss es eigentlich nicht erwarten können, bis er rauslaufen kann, um zu zeigen, was er kann. Das hat nicht nur etwas mit dem Toreschießen zu tun, sondern damit, wie er sich präsentieren will. Das gilt allerdings ganz ausdrücklich für alle Spieler.

Nun spielt Ihnen ja die Ansetzung der ersten Partien nicht gerade in die Karten. Käme ein Punkt in München einem Wunder gleich?

Beiersdorfer : Ein Wunder? Man kann sich denken, wie eine der besten Mannschaften der Welt am Freitag drauf sein wird, und wir werden sehen, was eine der in den vergangenen Jahren schlechteren Mannschaften der Bundesliga dagegenhalten kann. Wir fahren ja nicht nach München, um uns eine erträgliche Niederlage abzuholen. Wenn du Sportler bist, versuchst du das Optimum herauszuholen. Nur wer an seine Chance glaubt, hat die Option auf ein Wunder, wie Sie es nennen.

Die Quote auf einen HSV-Sieg beträgt 35:1. Kann man guten Gewissens Geld daraufsetzen?

Beiersdorfer : Da muss ich an eine Umfrage unter älteren Menschen denken, die gefragt wurden, was sie rückblickend auf ihr Leben anders gemacht hätten. Eine der meistgenannten Antworten war: Ich hätte viel mehr riskieren müssen. Also: Lassen Sie es krachen! (lacht)

Apropos Wetten: Hat es Sie erstaunt, dass Bruno Labbadia Top-Kandidat für die erste Trainerentlassung ist?

Beiersdorfer : Entschuldigung, Buchmacher sind nicht so mein Thema.

Aber Sie stimmen zu, dass der Start in München, gegen Stuttgart und in Köln und Mönchengladbach zur Belastungsprobe für den neuen HSV wird? Können Sie sich überhaupt auf den Start freuen?

Beiersdorfer : Ja, natürlich! Um den Fußball geht es doch in erster Linie, es geht darum, Sport und Leistung zu produzieren – und Emotionen. Wir können beweisen, dass wir eine Haltung haben, dass wir uns nicht ergeben, im Gegenteil, dass wir uns weiterentwickeln und den HSV nach vorne bringen wollen. Und zum ersten Teil Ihrer Frage: Ein oder zwei Spiele werden uns nicht aus der Bahn werfen, weil wir davon überzeugt sind, dass gerade die Menschen, die jetzt am Werk sind, zusammenstehen können und versuchen werden, das Bestmögliche herauszuholen. Letztlich läuft doch alles darauf hinaus, zusammen etwas zu erreichen. Dieses Spiel spielt man nicht alleine.

Wie bei den Bayern. Was muss passieren, damit sie nicht Meister werden?

Beiersdorfer : Der Fußball bringt häufig Geschichten hervor, die man nie für möglich gehalten hätte. Selbstverständlich gehen alle davon aus, dass München den Titel holt, aber mittlerweile haben sich mit Wolfsburg, Gladbach und auch Leverkusen einige richtig gute Mannschaften um die Bayern gruppiert. Auf Dortmund bin ich gespannt, die sind ein bisschen im Umbruch.

Schauen Sie genauer hin bei Thomas Tuchels Wirken?

Beiersdorfer : Natürlich interessiert es mich, wie er sich in Dortmund schlägt.

Welche Mannschaft könnte positiv überraschen?

Beiersdorfer : Ich wünsche mir, dass wir das sind. Dass wir uns zeigen, dass wir uns auf die Hinterbeine stellen und jede Woche gegen alle Widerstände ankämpfen. Die Spieler müssen nicht jedes Spiel gewinnen, aber ich hoffe auf eine Mannschaft, die zusammenhält und alles gibt für die Zuschauer, die das ganze Jahr Tausende Kilometer fahren und in die Stadien gehen, die unsere Trikots kaufen und in schwierigen Zeiten zu uns stehen. Ihnen ein Stück zurückzugeben, das ist unser Auftrag, der auch in den Spielern wachsen muss.

Spontane Frage mit der Bitte um eine spontane Antwort: Wenn Sie ein HSV-Trikot verschenken müssten, welchen Spieler nehmen Sie? Diaz? Oder einen von den Jungen?

Beiersdorfer : Aktuell von Gideon Jung. Seine Einstellung gefällt mir, der Junge ist richtig gierig.

Zum Abschluss: Wir haben vorhin noch eine Frage vergessen. Wie war eigentlich die Resonanz auf ihr Werben bei den verloren gegangenen Businesskunden?

Beiersdorfer: Die Buchungsquote war außergewöhnlich gut. Viele haben mir gesagt: Wir machen das wieder, wir glauben an euren Weg, lasst euch nicht davon abbringen.