Früheres Wettbieten begründet neuen Sparkurs des HSV
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Hamburg/Harsewinkel. Kaum ein Bundesligaclub lebte in den vergangenen Jahren derart über die eigenen Verhältnisse. Gerüchte über Verhandlungen mit Müller.
Dietmar Beiersdorfer hatte sich schick gemacht. Taillierter Anzug, dunkle Krawatte, helles Hemd. Neben ihm saß Ex-HSV-Profi Marcell Jansen. Etwas lockerer mit Jeans und Sommerschuhen, aber nicht weniger engagiert in der Sache. Der Club hatte geladen, um über die zukünftige Ausrichtung der Sponsoreninitiative „Der Hamburger Weg“ zu berichten.
Auch 200 Kilometer weiter süd-westlich, in der ostwestfälischen Provinz, ging es zeitgleich um den Hamburger Weg. Um den sportlichen und finanziellen. Oder besser: um den neuen Hamburger Weg. „In der aktuellen Situation müssen wir – anders als vielleicht in der Vergangenheit – auf jeden Cent gucken“, sagt Peter Knäbel, den man gut und gerne als Architekten dieses neuen Weges bezeichnen kann.
Knäbel sitzt im Garten der großzügigen Anlage Klosterpforten und macht das, was er in den vergangenen Tagen kein einziges Mal gemacht hat: Er nimmt sich Zeit. Der „Kilometerfresser“ (Bruno Labbadia über Knäbel) ist nach seiner Tour de Europa, auf der er auf der Suche nach neuen Spielern überall und nirgendwo war, zwar schon seit mehreren Tagen in Harsewinkel. Aber Zeit für ein entspanntes Gespräch hatte er bislang nicht. „Ich war eigentlich permanent am Telefon, immer auf Abruf“, sagt Knäbel.
HSV im Trainingslager in Harsewinkel
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Knäbel muss neue Philosophie umsetzen
Jede Transferperiode hat ihre Tücken, es gibt Aufs und Abs. Schwierig wird es immer dann, wenn man nur wenig oder gar kein Geld zur Verfügung hat. Noch schwieriger wird es nur, wenn man wenig oder gar kein Geld hat – und dementsprechend auch wirtschaftet. „Ich kann natürlich nicht gerade von Arbeitsbedingungen sprechen, von denen man träumt“, sagt Knäbel, der dies aber nicht als Beschwerde verstanden wissen will.
Der HSV hat kein Geld, das ist nicht neu. Neu ist aber, dass der HSV in diesem Sommer tatsächlich auch nicht mehr Geld ausgeben will, als der Club einnimmt. Seit 2003, als Beiersdorfer erstmals als Sportchef einkaufen ging, hielt sich der Club ganze dreimal an diese hanseatische Tugend. Einmal war es der geschasste Oliver Kreuzer, einmal der beurlaubte Frank Arnesen. Und von sieben möglichen Spielzeiten war es auch einmal Beiersdorfer, vom Boulevard seinerzeit „Dukaten-Didi“ getauft, der ganz hanseatisch mehr einnahm als ausgab.
Jetzt ist es Knäbel. Nicht weil er will, sondern weil er muss. „Wir ziehen bis über das nächste Jahr hinaus einen langen Rattenschwanz hinter uns her, der durch in der Vergangenheit getätigte Transfers entstanden ist“, sagt der 48 Jahre alte Manager. Besonders in der vergangenen Saison, als Knäbel noch gar nicht als Sportchef verpflichtet war, trieben es die Verantwortlichen bis auf die Spitze. Der HSV gab knapp 39 Millionen Euro aus, wenn man auch den 6,5-Millionen-Euro-Transfer von Lewis Holtby, der erst ab diesem Jahr bezahlt werden muss, dazurechnet. Und auch bei den Gehältern war man alles andere als geizig. So soll Nicolai Müllers Gehaltsangebot über Nacht von monatlich 50.000 Euro auf 100.000 Euro verdoppelt worden sein, als plötzlich auch Sevilla und San Sebastian mitboten. Offiziell bestätigt wurde das nie, offiziell bestätigt ist aber: Noch nie hatte der Club so viel investiert – und noch nie kam unter dem Strich so wenig dabei raus.
Behrami als mahnendes Beispiel
Dass Stars wie Holtby (6,5 Millionen Euro), Lasogga (8,5 Millionen Euro), Behrami (3,5 Millionen Euro), Müller (4,5 Millionen Euro), Cléber (3 Millionen Euro) oder Olic (2 Millionen Euro) das HSV-Orchester nicht zwangsläufig besser machen, das haben auch die Verantwortlichen mittlerweile erkannt. „Behrami ist ein gutes Beispiel für mich“, sagt Knäbel. „Valon hatte ganz andere Vorstellungen von dem, was ihn hier beim HSV erwarten würde. Auch deswegen hat es nicht geklappt. Wir müssen jetzt Spieler finden, deren Erwartungshaltung sich mit unserer Erwartungshaltung deckt.“
Weniger Valon Behramis also, mehr Gotoku Sakais. Der Japaner kam von Fast-Absteiger VfB Stuttgart für 700.000 Euro, hat kaum Starpotenzial, soll aber trotzdem wichtig werden. „Wir müssen neuen Spielern klarmachen, wofür der Verein derzeit steht“, sagt Knäbel. „Wir sind nicht mehr in den Zeiten von van der Vaart und van Nistelrooy. Wir sind nicht mehr der Verein von Glanz und Gloria und von Stars und Sternchen.“
Ein Sternchen hat sich Knäbel nach dem erfolgreichen Verkauf von Jonathan Tah, der bis zu zehn Millionen Euro einbringen soll, dann aber doch erlaubt: Albin Ekdal. 4,5 Millionen Euro. Ein sogenannter Königstransfer. Einen weiteren Neuzugang in dieser Größenordnung wird es laut Knäbel aber auf keinen Fall geben. „Wir sind finanziell nicht in der Lage, noch einen Vier- bis Fünf-Millionen-Transfer zu stemmen. Und selbst wenn, wäre es unklug, wieder einen Retter zu holen, auf den alles einprasselt. Wir wollen einen anderen Weg gehen.“ Einen neuen Hamburger Weg.
Jansen bleibt Gesicht der Initiative „Hamburger Weg“
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Transfers von Gregoritsch und Berggreen stocken
Noch ein offensiver Mittelfeldmann und ein Stürmer sollen diesen Weg mitgehen. Bochums Michael Gregoritsch und Braunschweigs Emil Berggreen, das ist kein Geheimnis, wären die Wunschlösungen. Doch zum neuen Weg gehört eben auch, dass dieser Weg steinig bleibt. Im Fall von Berggreen handelt es sich gar um Findlinge, die zu umkurven sind. Im Fall von Gregoritsch sollen es nur noch Kieselsteine sein. „Ich selbst muss mich um Geduld bemühen“, sagt auch Trainer Labbadia, der diese zuletzt zu verlieren drohte.
Nach Sakai, Ekdal und dem ablösefreien Emir Spahic hofft Labbadia nun auf die ersehnten Offensivverstärkungen. Doch auch der Coach kennt die finanzielle Lage ganz genau. „Uns ist bewusst, dass wir nach den vergangenen zwei Jahren etwas ändern mussten“, sagt Labbadia, der sogar noch deutlicher wird: „Wir brauchen ein, zwei oder sogar drei Transferperioden, um das alles wettzumachen.“ Das alles, das ist vor allem die vergangene Sommer-Transferperiode.
In diesem Sommer wird eher gekleckert, nicht geklotzt. „Wir haben zweimal mit Ach und Krach die Klasse gehalten, da können wir jetzt keine Luftschlösser bauen. Aber wir dürfen nicht perspektivlos sein“, sagt Knäbel. Das dürfte auch Beiersdorfer in Hamburg so sehen. Darüber reden will er aber gestern nicht. Nur so viel: „Die Transferperiode ist ja noch nicht vorbei“, sagt der HSV-Chef Und grinst. Eine Drohung war das wohl nicht.
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