Hamburg/Stuttgart. Stuttgarts Trainer beschimpft seine Profis als Affen – sein HSV-Kollege verlangt volle Konzentration vor dem Abstiegsduell beim VfB.

Die Übungseinheit auf dem Trainingsplatz am „Roten Haus“ in Bad Cannstatt ist fast vorüber. Der VfB Stuttgart hat extra für den Vatertag noch einmal ein öffentliches Training angesetzt, zu dem 250 Fans gekommen sind. Alles ruhig, alles friedlich – bis plötzlich Huub Stevens seine Stimme auf maximale Lautstärke dreht: „Das ist Abstiegskampf!“, blafft der Niederländer seine im Kreis versammelten Spieler an. Als er danach den Platz verlässt, macht er mehrmals eine wegwerfende Handbewegung und brüllt Richtung Profis: „Ihr seid Affen, Affen, seid ihr.“ Und: „Hört doch auf!“

Was war diese Maßnahme: Ein Weckruf, um die Fokussierung seiner Spieler vor dem Abstiegsduell gegen den HSV (Sa., 15.30 Uhr) noch einmal zu fördern? „Wenn ich das tun müsste, dann wäre ich im falschen Film“, entgegnet Stevens während der Presserunde, inzwischen wieder bester Laune, und scherzt sogar bei der Frage nach möglichen Verboten der VfB-Profis während der Vorbereitung auf das HSV-Duell: „Ich verbiete alles, die dürfen nur noch trinken und essen. Schade für die Frauen.“

Zur gleichen Zeit in Hamburg. Bruno Labbadia hat seine Mannschaft im Stadion zum Geheimtraining versammelt. Alles abgeriegelt, auch die Jalousien im Fan-Restaurant „Raute“ sind heruntergelassen. Als die Spieler um 11.23 Uhr zur Umkleide laufen, werden sie von fünf klatschenden Fans aus Norderstedt empfangen, die ein Transparent aufgehängt haben: „Mit Teamgeist, Willen und Konzentration, umgehen wir die Relegation.“

Maximale Brisanz bei VfB gegen HSV

Am Sonnabend biegt der Abstiegskampf in die letzte Kurve vor dem Ziel ein. Brisanter geht es kaum: Bei einer Niederlage könnten die Schwaben schon abgestiegen und der HSV gerettet sein. Siegen hingegen die Schwaben, drohen die Hamburger wieder auf den letzten Tabellenrang zurückzufallen.

Während sein Kollege Stevens mit seinem Wutausbruch offensichtlich noch einen Akzent setzen wollte, kommt Labbadia ohne Knalleffekte in dieser besonderen Drucksituation aus. Vielmehr genoss es Hamburgs Trainer, „in Ruhe ein paar Sachen abtrainieren zu können“, also abzuarbeiten.

Ein Vatertag, der perfekt zu Labbadias Arbeitsstil passte. „Schon zu Beginn war es für mich das Wichtigste, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, einen Tunnelblick zu entwickeln. Entscheidend ist die Frage: Bringt das was? Machen wir’s!“

Mentaltrainer pflichtet Labbadia bei

Dieses entschlossene Handeln hat innerhalb kürzester Zeit auf die Mannschaft abgestrahlt, er füllt die dringend benötigte Vorbildfunktion aus, die weder Mirko Slomka, noch Joe Zinnbauer oder zuletzt Peter Knäbel ausfüllen konnten. Auch HSV-Boss Dietmar Beiersdorfer war der Stress im Absteigskampf zuletzt deutlich anzusehen. „Oben in der Tabelle mitzuspielen, ist positiver Druck, wenn du unten stehst, hast du Scheiß-Druck“, gibt Labbadia offen zu. „Aber zu Beginn war der Druck noch größer. Von dieser Ausgangsposition hätten wir vor einigen Wochen noch geträumt.“

+++ Hamburg ist in der Abstiegsfrage omnipräsent +++

Typische Sätze des 49-Jährigen, der zwar die Realität nicht verschleiert, aber seine Erfahrungen im Abstiegskampf als VfB-Coach („Das hat mich zu einem kompletteren Trainer gemacht“) nutzt. Es sind Sätze, den Mentaltrainer Olaf Kortmann unterstreicht: „Den Druck zu negieren, wäre falsch. Trainer und Spieler können sich sagen: Der Druck ist kein Problem, wir wissen, wie wir damit umgehen können.“

„Reframing“ heißt ein Terminus aus der Psychologie, wo einer Situation eine andere (positivere) Bedeutung zugewiesen wird. „Wir sind als Team zusammengerückt. Es macht Spaß, sich über die Woche einen gemeinsamen Plan zu erarbeiten“, sagt René Adler über den Abstiegskampf. Labbadia dürfte diese Aussage gefreut haben, die beweist, dass sogar Energie aus solch einer extremen Drucksituation gezogen werden kann.

Geschlossenheit nur über Trainingsarbeit

Häufig war in diesen Tagen davon zu lesen, dass Labbadia viele Einzelgespräche mit den Spielern geführt hat. Diese waren aber nur Mittel zum Zweck. „Die Spieler sollen wissen, warum sie sich wie auf dem Platz verhalten sollen“, erklärt der Fußballlehrer, „denn mannschaftliche Geschlossenheit erreichen Sie nicht beim gemeinsamen Biertrinken, sondern auf dem Trainingsplatz mit der Frage: Wer ist mit mir für was verantwortlich?“

Natürlich weiß Labbadia, dass er das Team nicht überfrachten kann mit seinen Ideen, seinen Hilfestellungen. Zwei freie Tage nach dem Freiburg-Spiel waren eine gezielte Maßnahme. Im Trainerstab hat er sich einen Plan zurechtgelegt und versucht, diesen umzusetzen. „Hier geht es nicht um Zauberei. In der Kürze kannst du nicht alles umsetzen, was dir im Kopf herumschwirrt. Wir konnten unseren Wochenplan umsetzen, was mir ein gutes Gefühl vor dem Spiel in Stuttgart gibt.“ Den Nachmittag gab Labbadia den Spielern dann frei, um mit ihren Familien gemütlich den Vatertag feiern zu können. Und vor allem ganz in Ruhe.