Hamburg. Der HSV-Trainer ist der Klassenkämpfer. Mit seiner Art und seinen Ansagen dient Labbadia als Vorbild für die Hamburger Profis.
Manchmal muss es einfach raus. Die Sekunden nach dem späten Ausgleichstreffer durch Gojko Kacar gegen Freiburg werden es wohl in jeden Bundesliga-Jahresrückblick schaffen. Emotionen pur. Beim Torschützen, seinen Mitspielern, bei den HSV-Fans und – vor allem – beim Trainer. Bruno Labbadia hatte schon beim Eckball von Rafael van der Vaart eine Körperspannung wie zu seinen eigenen Profizeiten aufgebaut, drückte den imaginären Ball von der Seitenlinie per Kopf mit ins Netz. An den darauf folgenden Jubellauf bis in den Mittelkreis konnte sich der Coach am Tag danach gar nicht mehr richtig erinnern: „Ich habe meine Reaktion nach dem Treffer nicht mehr genau vor Augen, ich gehe aber öfter so mit“, gestand Labbadia.
Beim Auslaufen am Sonntag war der ehemalige Stürmer wieder ganz ruhig und klar, die Ansätze von Augenringen verrieten lediglich eine kurze Schlafphase. Das Adrenalin sei zwar schnell wieder dem Körper entwichen, doch noch in der Nacht habe sich Labbadia die erste Halbzeit im Fernsehen zu Gemüte geführt. „Wir haben ganz ordentlich begonnen, waren in den Zweikämpfen aber nie so präsent, dass wir auch die engen Bälle erobern konnten. Und mit dem Ball am Fuß haben wir uns selten optimal verhalten.“
Eine treffende Analyse. Und die zweite Halbzeit war spielerisch kaum besser. Dennoch brach die Mannschaft nicht ein oder verfing sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen, sondern demonstrierte Einigkeit und bedingungslosen Willen. Ein deutlicher Mentalitätswechsel, an dem der Trainer nicht unschuldig ist. „Natürlich bin ich mit meinen Emotionen voll dabei, aber die ganze Bank, das ganze Stadion hat die Mannschaft nach vorne getragen. Dieses Team braucht den Zusammenhalt, das Miteinander, um im Abstiegskampf bestehen zu können“, erklärt Labbadia.
Rückschläge sorgen nicht mehr für Resignation
Diese Erkenntnis ist nicht sonderlich neu. Neu ist nur, dass die Mannschaft des HSV diese Tugenden seit dem Engagement von Labbadia Spieltag für Spieltag abruft. Der Trainer hat es innerhalb von nur drei Wochen geschafft, mit seiner Fokussierung auf das Wesentliche aus einer Gruppe von Individuen eine Einheit zu formen, in der jeder für jeden einsteht. Rückschläge wie bei den Gegentreffern gegen Augsburg, Mainz und Freiburg sorgen nicht mehr für Resignation sondern für eine „Jetzt-erst-Recht“-Reaktion. Und auch am kommenden Sonnabend (15.30 Uhr) beim VfB Stuttgart wird die Mannschaft im Vorteil sein, die sich bis zur letzten Sekunde zerreißt und deren Spieler die Fehler der Nebenleute ausbügeln, als wären es die eigenen.
Labbadia hatte direkt nach seiner Amtsübernahme ins Kurz-Trainingslager geladen, sich intensiv mit den Problemfällen im HSV-Team beschäftigt. Den bis dahin völlig glücklosen Angreifer Pierre-Michell Lasogga hat der gebürtige Darmstädter in vielen Gesprächen stark geredet, er blüht im Saisonendspurt plötzlich wieder auf und spricht selbst vom „Labbadia-Effekt“: „Der Coach hat nicht nur den Spielern, die in der ersten Elf stehen, sondern auch denen, die auf der Bank sitzen, sein absolutes Vertrauen ausgesprochen“, sagte Lasogga vor einigen Tagen.
Kacar: „Tore nur nach Standards“
So wie bei Kacar. Erneut war der Serbe nach einer Ecke der Garant für den Punktgewinn. Die von Labbadia eingeforderte Mannschaftsdienlichkeit liegt ihm in den Genen. „Ich kann eigentlich nur nach Standards Treffer erzielen. Wenn ich im Spiel mit nach vorne gehen würde, hätten wir im Mittelfeld viel zu große Löcher“, analysierte der Torschütze, der auch vor dem Ausgleich fast der einzige war, der den einen oder anderen spielerischen Akzent setzen konnte. Als hätte der HSV das „Kick and Rush“ für sich entdeckt, wurde gegen Freiburg ein Ball nach dem anderen uninspiriert nach vorne geschlagen. „Es war schon ein Teil unseres Plans, mit weiten Bällen die erste Reihe der Freiburger zu überspielen, damit wir dem Pressing entgehen“, gab der Coach zu. „Nur haben wir das zu ungenau umgesetzt und oft die falsche Entscheidung gewählt.“ Doch wenn der Druck immer größer und die Beine wackelig werden, rücken die Dinge in den Vordergrund, mit denen Labbadia beim HSV für die Wende gesorgt hat. „Drei Spieltage vor Schluss zählen in erster Linie Wille, Moral und Charakter – und das alles haben wir zuletzt immer gezeigt“, sagt Kacar.
Sprüche zum 32. Spieltag
Ab Dienstag will Labbadia gemeinsam mit seinen Schützlingen die Lehren aus dem Freiburg-Spiel ziehen. Bis dahin hat er ihnen frei gegeben. „Die Jungs waren am Abend nach dem Spiel sehr selbstkritisch, fast zu negativ“, sagt Labbadia, der den Profis wieder Selbstvertrauen einimpfen muss. Denn das Wichtigste sei „eine positive Körpersprache“, wie es Heiko Westermann formuliert. Und was das angeht, kann sich der HSV für das Bundesligafinale wohl kein besseres Trainervorbild als Labbadia wünschen.