Clubboss Dietmar Beiersdorfer diskutierte stundenlang in der HafenCity mit Aufsichtsratschef Karl Gernandt und entschied sich schließlich für den Rauswurf des erfolglosen Trainers. Thomas Tuchel, aber auch Felix Magath im Gespräch als Nachfolger.
Hamburg. Zumindest der Galgenhumor war Mirko Slomka auch am Morgen nach dem bitteren 0:2 in Hannover geblieben. „Da habt ihr ja die passenden Bilder“, rief der zu diesem Zeitpunkt Noch-HSV-Trainer den zahlreichen, ihn umkreisenden Fotografen und TV-Reportern zu, als er am Montagvormittag im Sprint vom Trainingsplatz zum Stadionbereich eilte, dort aber vor verschlossener Tür stand. Erst als ein Ordner Slomkas Dilemma bemerkte und dem hilflosen Coach zu Hilfe eilte, konnte das Problem mittels Generalschlüssel gelöst werden. Der Schlüssel für die wirklichen Probleme des HSV war dem Fußballlehrer dagegen längst abhanden gekommen.
So war es dann auch wenig verwunderlich, dass Clubchef Dietmar Beiersdorfer, Aufsichtsratschef Karl Gernandt und Vorstand Joachim Hilke zeitgleich in der zwölf Kilometer entfernten Firmenzentrale von Kühne und Nagel in der HafenCity darüber diskutierten, ob es nicht besser sei, den erfolglosen Trainer – um im Bild zu bleiben – nicht gleich ganz vor die Tür zu setzen.
Null Tore, noch kein Sieg und das Abrutschen auf den letzten Platz – die verheerende Bilanz Slomkas war einfach zu eindeutig. Deswegen waren Beiersdorfer und Hilke auch schon am Morgen gegen 9.30 Uhr am Hintereingang des Hauptquartiers von Investor Klaus-Michael Kühne am Dalmannkai vorgefahren, vier Stunden später kam noch Aufsichtsrat Thomas von Heesen dazu. Am Nachmittag ließ sich das Führungsquartett zu einer anderen Location chauffieren – bei der Rückkehr am Abend gegen 19.30 Uhr stand fest: Slomka und dessen Co-Trainer Nestor El Maestro werden entlassen.
Zuvor hatten die HSV-Verantwortlichen zwei mögliche Optionen diskutiert. Möglichkeit eins: Slomka würde das Vertrauen ohne Einschränkung ausgesprochen, was angesichts der stundenlangen Diskussion wenig glaubwürdig gewesen wäre. Möglichkeit zwei: Der Coach wird mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Und genau darauf konnten sich die HSV-Verantwortlichen letztendlich einigen. Die offizielle Verkündung folgte erst am späten Abend, da Beiersdorfer zunächst Slomka persönlich informieren wollte.
Eines von Slomkas Hauptproblemen: Beiersdorfer war nicht verborgen geblieben, dass neben der schaurigen Bilanz des Trainers (seit zehn Spielen ohne Sieg, seit 16 Monaten ohne Auswärtserfolg) auch der rasant schwindende Rückhalt in der Mannschaft gegen ein Bekenntnis zu Slomka sprach. Nahezu alle Führungsspieler der vergangenen Fast-Abstiegssaison (René Adler, Marcell Jansen, Pierre-Michel Lasogga, Heiko Westermann, Tolgay Arslan und auch der derzeit verletzte Rafael van der Vaart) hatten Vorbehalte gegen Slomka, und hinter vorgehaltener Hand wurde selbst bei einigen Neuzugängen schon von ersten Spannungen gesprochen. Dabei gehört es offenbar zum absurd anmutenden Geschäft Profifußball, dass davon offiziell zunächst keiner etwas wissen wollte. Der Trainer würde die Mannschaft noch erreichen, ließen Dennis Diekmeier und Neuzugang Lewis Holtby nach dem 0:2 in Hannover unisono wissen. Und Johan Djourou betonte sogar noch mal das gute Training des Coaches. Zu spät!
Dabei war es offenbar der Konstellation der kommenden Spiele geschuldet, dass Beiersdorfer zunächst eine sofortige Beurlaubung des Trainers scheute. Ein neuer Trainer muss nun mit der Bürde leben, möglicherweise mit Niederlagen gegen die Top-Teams der Bayern und Gladbacher zu starten. Viel wichtiger als die beiden Partien war aber etwas ganz anderes: Ein logischer und sofort verfügbarer Nachfolger Slomkas scheint nicht in Sicht.
Zwar ist es kein Geheimnis, dass sich Beiersdorfer im Sommer mit dem früheren Mainzer Thomas Tuchel zu einem konspirativen Gedankenaustausch getroffen hat. Auch der mächtige Aufsichtsratschef Gernandt hält große Stücke auf den Trainer-Überflieger der vergangenen Jahre, für Investor Kühne ist Tuchel gar die Wunschlösung. Einen erneuten Kontakt direkt vor dem Spiel gegen Hannover hat es nach Informationen des Abendblatts allerdings nicht gegeben. Das Problem: Tuchel, der praktischerweise mit den Verstärkungen Lewis Holtby und Nicolai Müller bestens zusammengearbeitet hat, ist eine teure Lösung. Neben der fälligen Abfindung für Slomka und sein Trainerteam müsste man den national und international begehrten Tuchel mit einem entsprechenden Gehalt und dem Versprechen, seinen eigenen Stab mitbringen zu dürfen, ködern. So sollen eine Reihe von Top-Clubs bei Tuchels Berater Felix Ahns hinterlegt haben, dass sein Mandant ganz oben auf der Wunschliste steht, sobald es Handlungsbedarf gebe. Hinzu kommt, dass Tuchel seinen Vertrag in Mainz seit dem Sommer lediglich ruhen lässt, wodurch eine Millionenablöse fällig ist. Ohne die Hilfe Kühnes wäre ein derartiger Kraftakt für den HSV undenkbar.
Damit stand Beiersdorfer vor einem echten Dilemma. Der HSV-Chef, der die Mannschaft mit 26 Millionen Euro runderneuert und für eine echte Aufbruchstimmung gesorgt hatte, hätte den erfolglosen Slomka zumindest solange den Rücken stärken müssen, bis er hinter den Kulissen eine Nachfolgelösung gefunden hat. Wie schwer er sich damit tat, konnte man seit der erneuten Niederlage gegen Hannover 96 beobachten. So lehnte Beiersdorfer ein Bekenntnis zu Slomka im Gegensatz zu Gernandt, der davon sprach, dass Slomka zu „120 Prozent“ bleiben werde, ab.
„Dietmar Beiersdorfer und ich arbeiten insgesamt sehr intensiv und gut zusammen – wir wollen diese Mannschaft gemeinsam Schritt für Schritt weiterentwickeln“, hatte Slomka noch am Vortag nach der Niederlage in Hannover beim „Sky“ gesagt – und wurde am Abend danach eines Besseren belehrt. Wer auf Slomka folgen soll, muss Beiersdorfer nun schnellstmöglich vor dem Spiel gegen Bayern München am Sonnabend entscheiden. Fest steht nur eines: An diesem Dienstag ist trainingsfrei, die nächsten Einheiten sind für Mittwoch terminiert. Diese werden nicht mehr von Slomka geleitet.