Der HSV-Stürmer muss sein Länderspieldebüt verschieben. Dennoch hoffen fünf aktuelle oder frühere Profis aus der Hansestadt auf ihren Einsatz am Abend gegen Chile.
Stuttgart. Für Pierre-Michel Lasogga war ein Traum in Erfüllung gegangen, als er am vergangenen Donnerstag von Bundestrainer Joachim Löw darüber informiert wurde, dass er an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ ARD und im Liveticker auf abendblatt.de) gegen Chile sein Länderspieldebüt geben soll. Um so enttäuschter zeigte sich der Stürmer des HSV am Dienstagabend, als er mit Oberschenkelproblemen das Abschlusstraining abbrechen musste. Lasogga muss seine Premiere auf internationalem Parkett verschieben. Ein Einsatz gegen die Südamerikaner ist ausgeschlossen, auch sein Einsatz am Wochenende im wichtigen Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt ist offen. Mit Lasogga hätte die Fraktion der aktuellen oder früheren Hamburger Profis die stärkste Fraktion gebildet. So aber bleiben immerhin noch fünf – und zwei waren teilweise extrem perplex, als sie von ihrer Nominierung erfuhren, vor allem André Hahn.
Selbst als Joachim Löws Assistent Hansi Flick am Telefon mehrfach versicherte, dass er es wirklich sei, wollte der Augsburger dem Co-Trainer partout nicht glauben. „Er hat mir gesagt, dass ich mich auf die Zeit freuen soll und dass ich mir die Nominierung mit meinen Leistungen verdient hätte“, erzählt Hahn, der aber auch unmittelbar nach dem Gespräch noch immer mehr an einen Scherz statt an eine Nominierung für das Freundschaftsspiel gegen Chile glaubte.
Obwohl der 23-Jährige mit seiner bemerkenswerten Vita – vom Regionalligisten FC Oberneuland ging es über die TuS Koblenz und Kickers Offenbach erst im Sommer 2013 zum FC Augsburg in die Bundesliga – zu den wohl ungewöhnlichsten DFB-Neulingen überhaupt zählt, hat er eines mit fünf weiteren Nationalspielern gemeinsam: Sowohl für Hahn als auch für den ebenfalls erstmals nominierten Shkodran Mustafi sowie für Marcell Jansen, Sidney Sam und Jerome Boateng haben Hamburg und der HSV eine große Rolle auf ihrem langen Weg bis ins DFB-Team gespielt.
Mustafi war ein Musterschüler
Während Jansen (wie Lasogga) zumindest noch bis zum Sommer beim HSV spielt und Boateng bis 2010 drei Jahre lang in Hamburg unter Vertrag stand, haben Hahn, Mustafi und auch Sam dagegen fast ausschließlich Erfahrungen im Nachwuchs des HSV gemacht. Lediglich der heutige Leverkusener Sam brachte es zu vier Kurzeinsätzen bei den Profis, ehe er sich zunächst zwei Jahre lang an den 1. FC Kaiserslautern ausleihen ließ und anschließend für zwei Millionen Euro zu Bayer Leverkusen wechselte. Und während Hahn sich bei der U19 und der U23 des HSV nicht durchsetzen konnte und in die Regionalliga nach Oberneuland wechselte, galt Mustafi schon im HSV-Internat als herausragendes Talent.
Nur wirklich herumgesprochen hat sich das in Deutschland offenbar nicht. „Shkodran wer?“, fragte die „Süddeutsche Zeitung“ nach der Nominierung des Deutschalbaners und erklärte, dass dieser 21 Jahre Italien-Legionär von Sampdoria Genua „bisher nur den sogenannten Brancheninsidern bekannt“ sei. Was aber nur bedingt stimmt, denn schon 2009 waren sich auch die so oft kritisierten Hamburger „Brancheninsider“ sicher, dass Mustafi eine große Karriere vor sich haben könnte. Ihr durchaus lukratives Vertragsangebot für das Talent wurde allerdings ganz einfach überboten. Für monatlich 15.000 Euro wechselte der damalige U17-Europameister zum FC Everton nach England und hinterließ dem HSV immerhin eine Ausbildungsentschädigung im sechsstelligen Bereich. „Meine Wünsche konnte der HSV nicht berücksichtigen“, erklärte der einstige Musterschüler (Lieblingsfach Chemie, Notendurchschnitt 1,9) schon im Oktober im Gespräch mit dem Abendblatt-Blog „Matz Ab“, „wir sind uns schlichtweg nicht einig geworden.“
Trotzdem sollte der Wechsel des Supertalents auch in Hamburg nicht ohne Folgen bleiben. Der Streit um die damals rund fünf Millionen Euro teure Nachwuchsförderung, deren Talente es viel zu selten bis in den Profikader des HSV schafften, eskalierte. Der frühere Vereinschef Bernd Hoffmann nannte den Nachwuchsbereich eine „Geldvernichtungsmaschine“, woraufhin es zum endgültigen Zerwürfnis mit dem damaligen Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Nachwuchschef Jens Todt kam. Geändert hat sich seitdem nicht viel – mit Ausnahme der ständig wechselnden Namen der Nachwuchsleiter und der Talente, die den HSV noch immer eher früher als später verlassen.
Jansen und Hahn spielten schon gemeinsam
Ähnliches dürfte im Sommer nun auch bei den Profis passieren, wenn mit Lasogga und Jansen sogar die einzigen aktuellen Nationalspieler des HSV – René Adler und Heiko Westermann wurden nicht nominiert – dem Verein den Rücken kehren dürften. Lasogga, über den fast alle deutschen Spitzenclubs nachdenken, ist ohne Kaufoption von Hertha ausgeliehen. Und Jansen kann den Verein nach der WM für die festgeschriebene Ablöse von fünf Millionen Euro verlassen. Leverkusen und Gladbach sind ernsthafte Kandidaten.
Dass ausgerechnet Jansen der einzige Hamburger ist, der noch mit Neu-Nationalspieler Hahn gemeinsam auf dem Platz stand, ist eine Petitesse am Rande. Im Oktober 2010 sammelte er nach einer längeren Verletzung bei der U23 gegen den Halleschen FC Spielpraxis, Hahn wurde in der 80. Minute eingewechselt. 0:1 endete der einzige gemeinsame Auftritt der beiden Hamburger, die in naher Zukunft gerne wieder häufiger zusammenspielen würden. Für Deutschland. Aber nicht für den HSV.