Mirko Slomka hauchte dem HSV mit dem 3:0 gegen Dortmund neues Leben ein. Sein Mut zum Risiko wurde belohnt. René Adler gab anschließend zu: „Emotionalste Woche meiner Karriere.“
Hamburg. Mirko Slomka hatte es eilig. Nach einigen Übungen mit der Kleingruppe van der Vaart, Mancienne, Sobiech, John und Zoua schnell noch ein paar Autogramme für die wartenden Fans, danach noch ein paar Gespräche in der Kabine. Denn der nächste Termin wartete schon: Um kurz nach zwölf Uhr verließ der 46-Jährige das Stadiongelände mit seinem Multivan Richtung Hagenbeckstraße, wo er mit Sportchef Oliver Kreuzer das U19-Juniorenspiel zwischen dem HSV und Hannover – mit Jonathan Tah – verfolgte (0:1). Ein gewöhnlicher Sonntag also, mit einer klaren Botschaft: Die Arbeit geht weiter.
„Arbeit“ war auch ein oft benutztes Wort nach dem denkwürdigen 3:0-Erfolg gegen Borussia Dortmund. Als „Ergebnis harter, intensiver Arbeit“ stufte Slomka den zuvor kaum für möglich gehaltenen, verdienten Sieg ein. Milan Badelj betonte: „Wir haben uns als Mannschaft präsentiert, füreinander gearbeitet. Das war der große Unterschied.“ Und auch René Adler sagte: „Wir haben uns das in dieser Woche erarbeitet.“
Der HSV-Torwart war es auch, der mit bemerkenswert offenen Sätzen beschrieb, wie viel Druck in den Tagen vor der Partie auf den Spielern gelastet hatte. „Es war ein sehr emotionaler, sehr wichtiger Sieg“, sagte Adler. „Solch eine Woche habe ich noch nicht erlebt in meiner Fußballkarriere.“ Es sei nicht einfach gewesen, den zweiten Trainerwechsel in einer Saison zu erleben: „Der Trainer packt seinen Koffer, bedankt sich, und wir stehen da und fühlen uns verantwortlich, weil wir es wieder nicht hinbekommen haben.“
„Uns war klar: So steigen wir ab“
Fünf Tage Zeit hatte Mirko Slomka nach seiner Präsentation am Montag, um eine leblose Mannschaft, die zuvor sieben Ligaspiele in Folge verloren hatte, zuletzt sogar 2:4 beim Tabellenletzten in Braunschweig, wieder aufzurichten, ihr neuen Mut im Abstiegskampf zu geben. Und es gelang ihm, indem er zunächst den Spielern mit brutaler Offenheit ihre Defizite aufzeigte. „In fast jedem Bereich hatten wir die schlechtesten Laufwerte, für jeden wurde deutlich, dass wir so nicht die Klasse halten werden. Da hat auch der Letzte verstanden: Was machen wir hier? Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fast nach zwölf. Wir müssen aufwachen“, so Adler.
Die wichtigste Erkenntnis des Spiels gegen den BVB war deshalb, dass es Slomka innerhalb von nur wenigen Tagen gelungen ist, die im Team vorhandene Angst vor dem Abstieg in Leistungsbereitschaft umzuwandeln, den Spielern wieder den „Spaß am Laufen“ zu vermitteln, wie es Adler formulierte. 114,6 Kilometer war der HSV am Sonnabend unterwegs, 3,3 Kilometer mehr als in Braunschweig, und nur 1,6 Kilometer weniger als die Dortmunder.
Er halte nichts von „Wundern oder Eingebungen, ich habe versucht, die Eindrücke aufzusaugen, zu sammeln“, sagte Slomka nach dem 3:0, aber zumindest extrem mutig war es, gegen Lewandowski, Mkhitaryan & Co mit Johan Djourou und vor allem Slobodan Rajkovic eine neue Innenverteidigung zu bilden.
Dass die mit 51 Gegentoren schwächste Defensive der Liga dieses Mal sicher stand, lag aber vor allem an den gut funktionierenden beiden Viererketten mit den Kämpfern Tomas Rincon und Petr Jiracek auf den Außenpositionen. Und: Während Bert van Marwijk das Risiko gescheut hatte, das System und das Personaltableau radikal zu modifizieren, sorgte Slomka mit seinen Entscheidungen für eine lange nicht mehr gesehene Fußballkultur bei den Hamburgern.
„Der Trainer macht Spieler stärker“
Das disziplinierte Spiel ließ den schnellen Borussen kaum Platz zum Kombinieren, die Zweikampfstärke nahm Klopps Team die Lust am Zaubern. Und es kam noch besser: Ballgewinn, schnelles Umschalten und schneller Abschluss – das 2:0 war ein Musterbeispiel für Offensivaktionen aus der Dortmunder Schule.
Neben den taktischen Handlungsanweisungen gelang es Slomka auch, mit frischen Kräften wie Petr Jiracek für einen Mentalitätswechsel zu sorgen. „Es war keine einfache Zeit für mich“, sagte der Mittelfeldkämpfer, „ich wusste, dass das Dortmund-Spiel meine Chance wird. Da musste ich einfach gut spielen. Jetzt ist ein Trainer da, der vielleicht an mich glaubt. Ich spiele auf dem Platz auch für ihn. Wir brauchten einen neuen Impuls.“ Auch während des Spiels, wie Slomka bestätigte: „Meine Stimme ist fast weg, ich war sehr aktiv an der Linie, musste darauf achten, dass sie nicht aufhören, sich zu bewegen.“
Auffällig auch, wie Slomka häufig beide Arme von sich streckte, die Handflächen nach unten, um den HSV-Profis anzuzeigen: Ruhig bleiben, keine Hektik! „Der Trainer ist nicht nur für mich gut, sondern auch für die Mannschaft“, sagte Djourou, der glücklich von seinem besten Auftritt im HSV-Trikot sprach. „Er macht die Spieler stärker. Auf dem Platz. Aber auch als Männer.“
Slomka kann nun mit dem großen Plus die Vorbereitung für das Werder-Spiel am Sonnabend angehen, dass die Hoffnung an die Rettung zurückgekehrt ist, auch auf den Rängen. Nach dem lange herbeigesehnten Signal von der Mannschaft, dass sie bereit ist, den Kampf gegen Abstieg anzunehmen, dürfte die Unterstützung der Fans noch leidenschaftlicher ausfallen.
Das emotionale Gedenken an Hermann Rieger machte die Begegnung gegen den BVB sowieso zu einem unvergesslichen Tag. „Die Choreografie war sehr bewegend, der Gedanke an Hermann hat uns Kraft gegeben“, sagte Slomka, was auch Pierre-Michel Lasogga bestätigte: „Die Atmosphäre hat beflügelt. Schon beim Aufwärmen haben wir gemerkt, dass es ein besonderer Tag werden würde.“