Als Kapitän soll Rafael van der Vaart mehr Verantwortung übernehmen. Dabei sind vor allem seine eigenen Statistiken besorgniserregend.
Hamburg. Natürlich war das öffentliche Interesse riesig. Fünf Kamerateams, mehrere Radiosender und ein halbes Dutzend Printjournalisten waren am Mittwoch der Einladung des HSV gefolgt und bauten nach dem Vormittagstraining ihr Equipment in der BoConcept-Lounge der Imtech Arena auf. Und lange mussten die Medienvertreter auf das Objekt ihrer Begierde nicht warten. 20 Minuten nach dem Training kam Neu-Kapitän Rafael van der Vaart, frisch geduscht, schwarzer V-Ausschnitt-Pullover, in Begleitung von Mediendirektor Jörn Wolf. Doch bevor die Fragerunde mit dem Fußballer, der diese Woche das Stadtgespräch wie kein Zweiter bestimmte, beginnen konnte, wollte Wolf noch eine Sache klarstellen: "Rafael steht euch ausschließlich als HSV-Kapitän zur Verfügung."
Fragen zum abwechslungsreichen Privatleben van der Vaarts waren also nicht erwünscht. Diejenigen, die es trotzdem versuchten, bekamen lediglich einen rudimentären Einblick in sein Seelenleben. Ihm gehe es gut, er sei happy, sagte van der Vaart mit verschränkten Armen, "mein Kopf ist frei".
Etwas mehr Zeit nahm sich der Hamburger, um über den eigentlichen Grund der kurzfristig einberufenen Presserunde zu sprechen. "Für mich ist das eine große Ehre, dass ich wieder Kapitän sein darf", sagte van der Vaart, der bereits in seiner ersten Zeit beim HSV die Binde übernehmen durfte. Auch mit seinem Vorgänger Heiko Westermann, der von Trainer Thorsten Fink am Dienstag überraschend degradiert wurde, hätte es keine Probleme gegeben. "Heiko hat mir sogar gratuliert", sagte van der Vaart, "bereits im Sommer hat er mir gesagt, dass er sich mich gut als Kapitän vorstellen könnte."
Fink hatte die Ad-hoc-Beförderung seines Mittelfeldstars vor allem damit begründet, dass sich der formschwache Westermann statt auf das Kapitänsamt besser auf die eigenen Leistungen konzentrieren solle. Eine durchaus kuriose Erklärung, bedenkt man, dass besonders van der Vaart in einem sportlichen Tief steckt. "Im Moment spiele ich einfach nur schlecht", gab van der Vaart erfrischend ehrlich zu. Eine vom Abendblatt bei Castrol-Edge in Auftrag gegebene Statistikanalyse bestätigt die kritische Selbsteinschätzung. Untersucht wurden alle Spielzeiten van der Vaarts seit seinem Wechsel von Ajax Amsterdam ins Ausland im Sommer 2005.
So hat der 30 Jahre alte Mittelfeldregisseur nach Angaben von Castrol in nahezu allen relevanten Statistiken aktuell einen Karriere-Tiefstand erreicht. Besonders auffällig sind van der Vaarts schlechte Zweikampfwerte. Der Nationalspieler hat gerade mal 39 Prozent seiner Duelle gewonnen. In seinen ersten drei HSV-Spielzeiten waren es noch immer mindestens 50 Prozent. Anders als in den Vorjahren, wo besonders van der Vaarts Zug zum Tor gefürchtet war, scheint ihm auch diese Qualität völlig abhandengekommen zu sein. Der Neu-Kapitän braucht aktuell knapp 40 Minuten im Schnitt für nur einen Torschuss. In seiner letzten HSV-Saison vor seinem Wechsel zu Real Madrid waren es gerade mal 17 Minuten, in den beiden Spielzeiten bei Tottenham Hotspur 20 und 23 Minuten. Da auch seine Chancenwertung von 8,8 Prozent einen Tiefstand bedeutet, ist es wenig verwunderlich, dass der Wahl-Eppendorfer nur drei Treffer (Minus-Rekord) erzielen konnte und insgesamt auch nur an zehn Treffern (ebenfalls Minus-Rekord) direkt beteiligt war.
So schlecht van der Vaarts persönliche Statistiken aber auch sein mögen, so wenig sagen die Zahlenkolonnen über seine Führungsqualitäten und seine einmalige Gabe, mit Druck umzugehen, aus. Bestes Beispiel hierfür ist eine Episode von August 2007. HSV-Fans dürften sich noch gut an die unrühmlichen Fotos von van der Vaart im Valencia-Trikot erinnern, mit denen er seinen Wechsel in die Primera Division erzwingen wollte. Der Plan ging bekanntlich nicht auf. Aber wirklich beeindruckend war, wie cool der Mittelfeldmann im ersten Spiel danach den entscheidenden Strafstoß gegen Leverkusen zum 1:0 verwandelte. Mehr Druck als an jenem 19. August kann es kaum geben.
"Ich bin gerne bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen", sagte der Neu-Kapitän, der vor allem mit seinen jüngeren Kollegen das Gespräch suchen will. Einen Zwist zwischen Alt und Jung, über den zuletzt vermehrt berichtet wurde, habe er aber nicht erkannt. Vielmehr glaubt er, dass besonders die Blamage gegen Bayern sich in den Köpfen seiner Kollegen festgesetzt hätte: "Die Klatsche gegen Bayern ist mental schwer wegzustecken. Ganz Deutschland hat da über uns gelacht."
Ihm selbst schien das Lachen nach all den Schlagzeilen vergangen zu sein. Van der Vaart antwortete höflich, aber kurz. Anders als sonst huschte ihm kaum mal ein Lächeln über das Gesicht. Als Kapitän ist er nun noch mehr in der Pflicht, das weiß er. "Es ist nie mein Ziel gewesen, Kapitän zu sein", sagte van der Vaart, "ich mache das aber gerne. Jetzt muss ich nur besser spielen."
Der Kapitän hat gesprochen.