Der Markenkern der Inszenierung van der Vaart ist beschädigt. Boris Becker empfiehlt via Twitter, mit der Scheidung noch zu warten.
Abu Dhabi. Das erste Training in der hotelnahen Zayed Sports City war nicht mal fünf Minuten vorbei, da zog der demonstrativ gut gelaunte HSV-Trainer Thorsten Fink ein erstes Zwischenfazit. Die Bedingungen hier in Abu Dhabi seien optimal, mit den beiden Rasenplätzen gleich neben dem Tennisstadion sei er zufrieden, und auch seine Jungs seien trotz nur drei Stunden Schlafs bester Laune. "Als Trainer kann man sich das so nur wünschen", sagte Fink, der wusste, dass er trotz der Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre an einem Thema auch in den von Hamburg weit entfernten Emiraten nicht vorbeikommen würde. "Ja", antwortete er auf Nachfrage, "auch mit Rafa ist alles in Ordnung. Er geht professionell mit der Sache um."
Diese Sache ist zunächst mal eines: Rafael van der Vaarts Privatsache. Und obwohl seit dem 2. Januar in der Hansestadt medial rauf und runter diskutiert wird, warum die Ehe des Niederländers offenbar am Ende ist, hat bei der 50-köpfigen Reisegruppe im Mittleren Osten niemand so recht Lust, dem öffentlichen Tribunal neue Nahrung zu geben. Mediendirektor Jörn Wolf ließ ausrichten, dass van der Vaart vorerst genug gesagt habe, HSV-Chef Carl Jarchow verwies darauf, dass die ganze Angelegenheit dessen Privatsache sei, und auch Sportchef Frank Arnesen sagte nur kurz und knapp: "Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu reden."
Mit seiner schützenden Aussage hat der Däne nur zum Teil recht. Während in Boulevardmedien detailliert Einzelheiten einer mutmaßlich verhängnisvollen Silvesternacht ausgebreitet werden, Fotos vom "Tag danach" gezeigt werden und sogar Boris Becker zu Wort kommt ("Bitte keine schnelle Scheidung, vielleicht geht's in sechs Monaten wieder"), müssen sich Hamburgs Verantwortliche dann doch fragen, ob bei all dem Rummel aus der Privatsache van der Vaart am Ende nicht ein Problem für den HSV entstehen könnte. "Das glaube ich nicht", sagt Trainer Fink, "im Fußball kann man sich gut ablenken. Und wir sind für ihn da, wenn er uns braucht."
Dabei war bislang van der Vaart vor allem für den HSV und Hamburg da, als der kriselnde Verein und die ganze Stadt nach einem Retter lechzten. Nach drei Pflichtspielniederlagen zum Saisonstart wurde der Niederländer dank eines in dieser Form einmaligen finanziellen Kraftakts für knapp 13 Millionen Euro verpflichtet, um möglichst rasch die unteren Tabellenregionen wieder verlassen zu können. Das kostspielige Unterfangen ging besser auf, als manch einer gedacht hätte. Van der Vaart legte mit fünf Vorlagen und einem Treffer in seinen ersten vier Spielen einen Raketenstart hin, ließ den einen oder anderen bereits überschwänglich von europäischen Zielen träumen. Ein fitter und motivierter van der Vaart, so das Fazit, sei das Puzzlestück gewesen, das dem Team im Sommer gefehlt habe.
Doch was passiert, wenn dieses Puzzlestück verloren geht? Kann van der Vaart dem medialen Druck, der nun auf ihn einprasselt, standhalten? "Er ist da Manns genug", glaubt Fink, der daran erinnert, dass van der Vaart schon häufiger unter extremem Druck stand. So kann sich jeder HSV-Fan an die unrühmlichen Fotos van der Vaarts im Valencia-Trikot erinnern, mit denen der Niederländer 2007 seinen Wechsel in die spanische Primera Division forcieren wollte. Im ersten Spiel danach schoss der Mittelfeldspieler den entscheidenden Strafstoß zum 1:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen ins Tor. Eine größere Drucksituation wie an jenem 19. August, als 52.700 Zuschauer nur auf die Reaktion van der Vaarts gewartet hatten, kann es kaum geben. "Manche Menschen haben nichts, was sie in schweren Zeiten auffängt", sagt Fink, "Rafa hat den Fußball und das Team."
Allerdings ist die Privatsache van der Vaarts nicht allein aus sportlicher Sicht von den HSV-Verantwortlichen zu betrachten. Der 29-Jährige ist nicht nur auf dem Rasen, sondern auch bei Sponsoren das Aushängeschild des Klubs. Droht dem HSV also ein Imageschaden? "Die Marke van der Vaart, die in den vergangenen Jahren ja sehr stark inszeniert wurde, dürfte in jedem Fall leiden. Der ,Markenkern' dieser fiktionalen Inszenierung ist einfach vom aktuellen Geschehen zu weit entfernt und hat sich förmlich in einem Urknall der tatsächlichen Realität genährt", sagt Marc Schüling, Geschäftsführer vom Trendbüro Hamburg, "aber die Marke HSV sehe ich nicht beschädigt, solange die Verantwortlichen des HSV mit dem ganzen Szenario umsichtig und verantwortungsbewusst gegenüber Öffentlichkeit, Fans und Familie umgehen."
Alternativlos sei durch "den Tabubruch, dass ein Mann seine Frau geschlagen haben soll", dass "die Marke HSV" deutlich positioniert wird: "Dabei wäre es wichtig, dass man den Vorfall gleichermaßen bedauert und nicht gutheißt, um dann aber auch van der Vaart, immerhin einem wichtigen Vereinsangestellten, aber auch seiner Familie, Rückendeckung und Unterstützung zu geben." Sollte all dies beherzigt werden, dürften nach Ansicht des Marketingexperten keine wirtschaftlichen Folgeschäden für den HSV entstehen.
Die Gesprächsrunde mit Fink ist vorbei. Der HSV-Trainer geht an ein paar Palmen vorbei zum Mannschaftsbus, wo die Spieler bereits warten. Auch van der Vaart, der seinen Muskelfaserriss im Oberschenkel auskuriert und in Schuhen mit dem Schriftzug Sylvie23 trainiert hat, steht schwitzend und erschöpft auf dem Parkplatz, wird 4900 Kilometer von Hamburg entfernt aber erstmals nicht von Kamerateams oder Fotografen umlagert. So ein Trainingslager in der Wüste hat neben dem guten Wetter eben einen entscheidenden Vorteil: Es ist sehr weit weg.