HSV und St. Pauli wollen die Zusammenarbeit nach dem Hooligan-Angriff intesivieren, um eine Eskalation beim Derby zu verhindern.
Nach dem hinterhältigen Angriff von gewalttätigen HSV-Hooligans auf Fans des FC St. Pauli wollen die beiden Vereine HSV und FC St. Pauli ihre Zusammenarbeit intensivieren. Beide Vereine wollen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das mit Spannung erwartete Bundesliga-Derby Mitte September friedlich über die Bühne geht. „Beide Clubs werden sich zusammensetzen, um gemeinschaftlich diese Partie und auch das Rückspiel als Feiertage im Hamburger Fußball-Kalender zu sehen und nicht als Möglichkeit, die Spiele gewalttätig eskalieren zu lassen“, betonte HSV-Chef Bernd Hoffmann. Clubsprecher Jörn Wolf kündigte am Dienstag „intensive Gespräche zwischen den verschiedenen Vereinsvertretern“ an. Zudem habe sich Sportchef Bastian Reinhardt in dieser Angelegenheit bereits mit seinem St. Pauli-Kollegen Helmut Schulte ausgetauscht. Der HSV reagierte damit auf den Vorfall, bei dem Samstagnacht rund 15 vermummte HSV-Hooligans etwa 20 St.-Pauli-Fans nach dem 3:1-Sieg des Kiez-Clubs in Freiburg am Bahnhof Hamburg-Altona aufgelauert und vier von ihnen bei brutalen Attacken verletzt hatten.
„Das hat mit der sportlichen Rivalität nichts zu tun. Für diese Typen ist beim HSV kein Platz“, verdeutlichte Hoffmann am Montagabend bei der Hamburg Soiree in einem Nobelhotel der Hansestadt noch einmal. Zuvor hatte sich der Clubvorsitzende im Namen des HSV bei seinem Amtskollegen Stefan Orth und den vom Überfall betroffenen Personen entschuldigt und Konsequenzen angekündigt. HSV-Aufsichtsratschef Horst Becker schloss sich den Worten seines Clubchefs an und forderte ebenfalls ein hartes Durchgreifen: „Eine Bestrafung der Täter ist erforderlich.“ Man müsse alles dafür tun, dass die Verantwortlichen ihre gerechte Strafe erhielten. „Das ist eine kleine gewalttätige Gruppe, das sind keine Fans“, meinte HSV-Coach Armin Veh. Und: „Richtige Fans wollen sportliche Leistungen sehen, keine Gewalt.“
Beim ersten Bundesliga-Duell zwischen den beiden Hamburger Clubs seit achteinhalb Jahren, bei dem der FC St. Pauli erstmals von seinem Heimrecht am Millerntor Gebrauch machen und nicht in das größere HSV- Stadion ausweichen wird, handelt es sich erneut um ein sogenanntes Risikospiel. „Das war allerdings bei allen anderen Hamburger Derbys auch schon der Fall“, betonte Ulrike Sweden von der Pressestelle der Polizei Hamburg mit Blick auf die Partie. Sie wies darauf hin, dass sich der aktuelle Vorfall „weitab vom Fußball-Platz“ ereignet habe.
Aber: Man werde selbstverständlich die Lage „zeitnah und in Ruhe vor dem Derby analysieren“, um gewappnet zu sein, kündigte die Polizeisprecherin an. „In jedem Fall werden wir Sorge dafür tragen, dass wie immer bei Risikospielen eine ausreichende Anzahl an Polizeikräften im Einsatz sein wird.“ Dass der HSV angesichts von nur 2100 für seine Fans zur Verfügung stehenden Eintrittskarten für den Derby-Tag ein Public Viewing in der HSV-Arena bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) beantragte, hat mit den unschönen Vorfällen „überhaupt nichts zu tun“, sagte Clubsprecher Wolf. „Das war und ist ein Service-Gedanke, damit unsere vielen Fans die Möglichkeit haben, das Spiel gemeinsam im Stadion zu verfolgen.“
Die Antipathie hat Tradition Beispiel: 2007 hatte die übergroße Fuß-Skulptur von Uwe Seeler gelitten. Dem Denkmal vor dem HSV-Stadion im Volkspark waren die fünf Zehennägel braun-weiß gestrichen worden. Ansonsten hatte es am Abend des 4. April 2007 bis auf einige kleinere Auseinandersetzungen im Stadionumfeld kaum "Lack" gegeben. Es blieb weitgehend friedlich, obwohl sich mit dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli die beiden großen Rivalen Fußball-Hamburgs gegenübergestanden hatten. Allein, es war die Reservemannschaft des HSV, man spielte um Regionalligapunkte.
Drei Jahre später hat sich die Situation geändert. Am dritten Septemberwochenende treffen die Vereine nun erneut aufeinander, und die Bedenken der Polizei sind ungleich höher. Das erste echte Stadtderby seit mehr als acht Jahren wird zum Risikospiel. "Wir werten es in etwa genauso wie die Begegnung zwischen dem HSV und Bremen", sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. Zum Vergleich: Bei normalen Bundesligaspielen sind etwa 100 Polizisten im Einsatz, bei kritischen Begegnungen wie gegen Bremen erhöht sich deren Zahl auf über 300. Möglicherweise wird sie in dreieinhalb Wochen sogar weit darüber liegen, nachdem es in der Nacht zum Sonntag zu einem besorgniserregenden Zwischenfall gekommen war.
Der hinterhältige Überfall einer etwa 20-köpfigen HSV-Schlägergruppe auf Fans des FC St. Pauli am Bahnhof Altona (wir berichteten) hat den Sicherheitsverantwortlichen die Sinne geschärft und eine öffentliche Diskussion ausgelöst. "Die Lage ist noch nicht abschließend beurteilt. Aber die Vorkommnisse vom Wochenende sowie das Verhalten der Gruppen werden in die Überlegung einfließen, wie viele Beamte nötig sind", sagte Streiber. Die Polizei werde genau beobachten, ob es Drohungen oder weitere Übergriffe geben wird.
Drohungen, Übergriffe. Mit dem sportlichen Aufstieg in die Bundesliga hat der FC St. Pauli nicht nur auf dem Fußballplatz wieder an Bedeutung gewonnen. "Wir bekommen seit etwa einem halben Jahr mit, dass St. Paulianer häufiger von HSV-Fans bepöbelt werden", berichtet St. Paulis Fanbeauftragter Stefan Schatz. "Es ist verstärkt zu Spannungen gekommen", hat auch Sven Brux, Sicherheitsbeauftragter beim Kiezklub, erkannt. Beschimpfungen, Rangeleien, Spuckattacken, leichte Körperverletzungen. Bis zum Sonntag spielten sich die Auseinandersetzungen in einem überschaubaren Rahmen oder aber im Internet ab, wo HSV-Gruppierungen mit eindeutiger Symbolik zur Mobilmachung für das Derby aufriefen. "Doch jetzt wurde eine Grenze überschritten. Die Gewalt hat eine neue Qualität", sagt Schatz und erläutert: "Bislang waren von Fanprojekten initiierte Aktionen ein absolutes Tabu. Das ist nun gebrochen worden."
Die Opfer vom Altonaer Bahnhof, bei denen sich der HSV-Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann gestern offiziell entschuldigte, waren gerade von einer vom Fanladen St. Pauli organisierten Auswärtsfahrt aus Freiburg zurückgekehrt. Zeitpunkt von Abfahrt und Rückkehr konnten von den Tätern im Internet problemlos eingesehen werden. Die Täter lauerten den Rückkehrern, darunter auch St. Paulis Torwart Benedikt Pliquett, in einem Hinterhalt auf und schlugen brutal zu. "Die Szene ist insgesamt gewalttätiger geworden", sagt Harry Eldau von der für Szenegewalt zuständigen Zentraldirektion 64 der Hamburger Polizei. Insbesondere in den vergangenen drei Jahren habe es einen radikalen Wandel gegeben.
"Es ist kein Geheimnis, dass der HSV besonders in den 90er-Jahren ein echtes Hooliganproblem hatte", sagt Ralf Bednarek, Chef der 62.000 Mitglieder starken Fanvereinigung HSV Supporters. Er betont aber auch, das Problem durch gezielte Fanbetreuung und durch zahlreiche Projekte in den vergangenen Jahren in den Griff bekommen zu haben. Während es bundesweit 2857 Stadionverbote gibt, sind beim HSV derzeit nur 49 vermeintliche Fans betroffen. "Anders als früher gibt es keine echte Hooliganszene mehr beim HSV. Aber obwohl in unserem Verein erstklassige Fanarbeit geleistet wird, können Vorfälle einzelner Idioten wie am Wochenende wohl leider nicht verhindert werden", sagt Bednarek.
"Von Hooligans sprechen wir auch schon lange nicht mehr", entgegnet Eldau. Die "Alt-Hooligans" aus der Hamburg-Ultra-Szene, für die diese Bezeichnung noch gegolten habe, seien heute 40 bis 45 Jahre alt und nicht mehr aktiv. Stattdessen bestimmten 18- bis 25-jährige gewaltbereite Fußballfans die Randale, denen der oft beschworene Hooligan-Kodex keine Anleitung mehr sei. So auch am Wochenende, als auf wehrlose Kinder und Frauen eingeprügelt wurde. Die drei festgenommenen Täter waren 16, 19 und 26 Jahre alt. "Sich nur mit Gleichgesinnten zu schlagen, ohne Waffen, und auf bereits Geschlagene, die auf dem Boden liegen, nicht mehr einzutreten, gilt für viele nicht mehr", beschreibt der 55-jährige Erste Kriminalhauptkommissar eine weitere Erkenntnis des Wochenendes.
Mit der neuen Generation verwischten auch die Kategorien, in die die Fans bislang aufgeteilt wurden, sagt Eldau. Drei Kategorien sah diese Unterscheidung vor: Den Kategorie-A-Fan, der durch Vereinsembleme erkennbar ist, aber ausschließlich wegen des Spiels in das Stadion geht. Den Fan der Kategorie B, der vornehmlich das Spiel sehen will, aber Gewalt nicht abgeneigt ist. Und den C-Fan, der ausschließlich die Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten sucht. "Heute sind die Grenzen zwischen B- und C-Fans nicht mehr gegeben", resümiert Eldau, der die Szene seit 1987 beobachtet und analysiert.
"Vor 20 bis 30 Jahren war die Hooligan-Szene , insbesondere wenn man die Hamburg Ultras beobachtet, eine abgeschlossene Gruppe, deren Mitglieder zumeist aus der Mittel- und Oberschicht stammten und in die man als Außenstehender nur schwer hineinkam", sagt Eldau. Heute sei der Kern der Hooligan-Szene viel kleiner, es gebe aber mehr Mitläufer, das mache die Szene unberechenbarer.
Appell: "Es reicht, wenn es bei einem Klub Idioten gibt"
Neben dem Gebrauch von Waffen beobachten die Experten, dass sich gewaltorientierte Fußballfans wie am Sonntag beim Überfall in Altona vermummten, um nicht erkannt zu werden. "Unsere szenekundigen Beamten kennen zwar ihre Pappenheimer, die dann aber dingfest zu machen, wird mit Vermummung schwieriger." Gründe für die Radikalisierung kann Eldau nicht nennen. Möglicherweise seien Angst und Gruppendruck die Auslöser, sagt ein Beobachter der Szene, der nicht genannt werden will: Man wolle dazugehören, könne sich den Gegner aber nur mit einem "Werkzeug" vom Leib halten. 670 "Problemfans" zählt die Polizei in Hamburg. Knapp 400 aufseiten der HSV-Anhänger und etwa 270 in den Fanreihen des FC St. Pauli. Die meisten von ihnen seien bei den sogenannten Ultras organisiert, etwa den Ultra St. Pauli aufseiten des Kiezklubs oder den Poptowns des HSV.
Die Befürchtung, dass die rivalisierenden Gruppen den Vorfall vom Wochenende zum Anlass nehmen, um wechselseitige Konteraktionen zu starten, liegt nahe. "Ich habe dem HSV und dem FC St. Pauli auch deshalb einen Brief geschrieben", sagt Andreas I., 51, der von den HSV-Schlägern am Sonntag krankenhausreif geprügelt worden war: "Ich erwarte von beiden Klubs, dass sie sich mit ihren Fangruppen zusammensetzen. Das Schlimmste wäre, wenn jetzt eine Spirale der Gewalt entsteht." Stefan Schatz vom FC St. Pauli widerspricht ihm nicht, kommt aber zu einer anderen Einschätzung: "Ultratypische Vergeltungsaktionen hat man nur, wenn die vorangegangene Aktion auch gegen Ultras gerichtet war. Da wird jetzt keiner losrennen und irgendwelche Leute mit einer HSV-Mütze überfallen. Es wird keine konzertierten Aktionen geben."
Konsequenzen drohen in jedem Fall den Tätern vom Sonntag. Und die werden nicht nur strafrechtlicher Natur sein. Wenn der HSV heute die Daten der Festgenommenen von der Polizei erhält, werden Stadionverbote erwartet, zudem denken die Verantwortlichen über einen Vereinsausschluss nach.
Bleibt die Frage, welche Auswirkungen die angespannte Situation auf das Stadtderby in dreieinhalb Wochen hat. "Beide Vereine werden dafür sorgen, dass es im Stadion ruhig und friedlich bleibt, die Polizei kümmert sich um das Drumherum", sagt Schatz und stellt noch einmal die Relation heraus: "Auf beiden Seiten sind 99 Prozent der Fans friedlich und freudig erregt. Wegen ein paar Ausgeflippten das Derby zu verlegen oder gar ausfallen zu lassen wäre völlig überzogen." Dazu müssten auch die Liga sowie die Vereine einbezogen werden. "Aus Deeskalationsgründen halte ich aber die exakte Spielterminierung für sehr wichtig", sagt HSV-Supporter Bednarek und appelliert an die DFL, die Partie an einem Nachmittag - Sonnabend oder Sonntag - auszutragen, keinesfalls aber an einem Abend. "Wir haben diesen Wunsch nicht geäußert, vertrauen aber den dafür verantwortlichen Stellen, dass die Partie entsprechend angesetzt wird", sagt auch St.-Pauli-Sportchef Helmut Schute.
Überhaupt ziehen die beiden Klubs auf den Führungsebenen längst an einem Strang. Fanvertreter beider Lager waren bereits am Freitag - und damit vor dem Vorfall in Altona - zusammengekommen, weitere Treffen sind ausgemacht. Bernd Hoffmann tauschte sich gestern mit St. Paulis Präsident Stefan Orth aus, Schulte und HSV-Sportchef Bastian Reinhardt suchten ebenfalls das Gespräch. "Wir verfolgen die gleiche Linie", fasst Schatz zusammen.
Die Rivalen eint ein Ziel: ein friedliches Stadtderby als schönste Nebensache der Welt. Sollte es bei fünf braun-weißen Fußnägeln bleiben, wären sicher alle Beteiligten zufrieden.