HSV-Hooligans griffen Anhänger des FC St. Pauli und Torwart Pliquett an. Es gab vier Verletzte. Polizei überdenkt Sicherheitskonzept.

Altona. Die Prügel-Attacke von HSV-Hooligans auf eine Gruppe friedlicher St. Pauli-Anhänger wird ein Nachspiel haben. HSV und DFB kündigten gestern an, den Vorfall aufarbeiten zu wollen. HSV-Boss Bernd Hoffmann entschuldigte sich öffentlich. Und: Die Hamburger Polizei wird die ohnehin noch in der Abstimmung befindliche Sicherheitskonzeption für das Stadtderby nach dem Vorfall nun entsprechend modifizieren. Polizeisprecher Andreas Schöpflin: "Ein solches Ereignis fließt natürlich in die Lagebeurteilung mit ein." Heißt: Die Sicherheitsmaßnahmen werden sicherlich noch einmal erhöht werden. Überlegungen, das Derby in die als sicherer geltende Imtech-Arena zu verlegen, gibt es aber offenbar noch nicht. Dort wären laut Polizei und Sicherheitsexperten die Besucherströme deutlich besser zu kanalisieren als im Umfeld des Millerntorstadions.

Das Stadtderby Ende September soll trotzdem Millerntor-Stadion ausgetragen werden. „Wir haben ein Heimspiel und das findet natürlich am Millerntor statt“, sagte St. Pauli-Sprecher Christian Bönig dem "Sport-Informationsdienst (SID). Die bisherigen sieben Bundesliga-Heimspiele der Kiezkicker gegen den Lokalrivalen hatten aus Kapazitäts- und Sicherheitsgründen in früheren Jahren stets im Stadion des HSV stattgefunden. Die brutale Attacke von Hooligans aus dem HSV-Umfeld werde dennoch zu weitergehenden Gesprächen zwischen den Klubs, der Polizei und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) führen, sagte Bönig: „Wir werden alles Menschenmögliche tun, damit wir ein friedliches Derby erleben.“

Der Hamburger SV hat die Nachricht vom Überfall auf St. Pauli Fans und Torwart Benedikt Pliquett, so heißt es auf der Vereins-Homepage, mit großem Entsetzen aufgenommen. "Ich entschuldige mich im Namen des Hamburger Sport-Vereins für diesen Vorfall, insbesondere bei den Betroffenen. Dieses Verhalten der vermeintlichen HSV-Anhänger ist absolut beschämend und trübt die Freude über den tollen ersten Spieltag für beide Vereine", sagt der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann. Am Morgen hatte er St. Paulis Präsident Stefan Orth angerufen und sein Bedauern in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt.

"Wir werden das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bestrafen. Für solche Leute haben wir keinen Platz in der HSV-Familie", kündigte Hoffmann an. Auch Sportchef Bastian Reinhardt tauschte sich bereits mit seinem Gegenüber, Helmut Schulte, über den Vorfall aus. In den kommenden Tagen soll nun in Zusammenarbeit mit der Polizei eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse folgen. Auch der DFB hat Konsequenzen angekündigt: „Das ist schon etwas, worüber wir uns Gedanken machen und wo wir auch aktiv werden“, sagte der Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn.

Sportgerichtlich könne der Verband zwar nicht eingreifen, da die Vorfälle außerhalb der Stadien passiert seien. „Wir werden gerade mit Blick auf das Derby am 4. Spieltag aber Gespräche mit den Verantwortlichen der Clubs führen“, kündigte Spahn an. Der Sicherheitsexperte sieht in der Attacke, sollten sich die Sachverhaltschilderungen und Motive bestätigen, eine neue Qualität, „weil es sich nach meinem jetzigen Kenntnisstand um eine gezielte Aktion gehandelt haben könnte“ und keinen spontanen Übergriff. Spahn will auf jeden Fall Kontakt mit der Polizei aufnehmen, um an die Daten der verhafteten Randalierer zu kommen. Den Übeltätern droht ein bundesweites Stadionverbot.

Zurück bleiben ein blaues Auge und die Frage, wie es zu diesem Gewaltausbruch kommen konnte: Hooligans, als gewaltbereit bekannte Anhänger des HSV, haben Fans des FC St. Pauli angegriffen und mehrere von ihnen erheblich verletzt. Einer der Opfer ist Andreas I. Dem Abendblatt schildert er, was in der Nacht zu Sonntag am Bahnhof Altona geschah: Frauen und Kinder, so erinnert sich I., weinten und schrien panisch vor Angst, während er am Boden liegend versuchte, sein Hörgerät und die Brille zu ertasten. Die Tritte und Faustschläge der HSV-Hooligans , die auf ihn einprasselten, erschwerten die Suche, doch Andreas I. wurde fündig und zog die sensiblen Hilfsmittel unter seinen malträtierten Körper. "Die Angreifer kamen mit Urgeschrei aus dem Nichts auf uns zu", sagt sich der Fan des FC St. Pauli . Unter den Angegriffenen war auch Benedikt Pliquett , Torwart im Profi-Kader des Vereins. Endstation einer Auswärtsfahrt am Bahnhof Altona. Neben I. wurden eine Mutter und ihr 16-jähriger Sohn sowie dessen gleichaltriger Freund verletzt.

Acht Stunden nach dem 3:1-Auftaktsieg ihres Klubs beim SC Freiburg hatte selbst die 760 Kilometer lange Bahnfahrt aus dem Breisgau nach Hamburg die gute Laune der etwa 50 Fans um Andreas I. nicht schmälern können. "Im Gegenteil. Die Mannschaft saß ja mit im Zug. Das war toll, sich mal mit Spielern unterhalten zu können", sagt der 51-Jährige, der am frühen Sonntagmorgen um 1.39 Uhr glücklich aus dem ICE 292 stieg. Doch die Ankunft sollte für einige Anhänger zum Albtraum werden. 20 von ihnen verließen den Bahnhof in Richtung Paul-Nevermann-Platz und wurden dort von etwa 20 teilweise vermummten HSV-Fans angegriffen. "Ich wollte mich gerade von drei Mitfahrern verabschieden, als ich auf der linken Seite einen Schatten wahrnahm, einen Schlag erhielt und zu Boden ging", erinnert sich Andreas I., der sich zusammenkrümmte und ohne Brille nach seinem herausgeschlagenen Hörgerät fahndete: "Zwei oder drei Leute bearbeiteten mich. Die haben auch noch versucht, mir den Rucksack zu stehlen."

Appell: "Es reicht, wenn es bei einem Klub Idioten gibt"

Männer, Frauen, Rentner, Kinder. Die Täter machten bei ihrem Angriff keinen Unterschied. "Das war ein regelrechter Hinterhalt", sagt Reiner Urban, Sprecher der für Bahnanlagen zuständigen Bundespolizei, "laut Zeugen war auch eine Mutter mit ihrem Kind unter den Angegriffenen. Sie beugte sich über das Kind, um es zu schützen und weitere Schläge abzufangen. Die Täter haben ein massives Gewaltpotenzial gezeigt."

Benedikt Pliquett stützt die Einschätzung. St. Paulis Torhüter erlebte den Übergriff hautnah. "Die Mannschaft ist am Dammtor ausgestiegen, ich bin bis Altona gefahren, weil ich dort wohne. Plötzlich sah ich die Vermummten, und dann flog eine Flasche nur knapp an meinem Kopf vorbei. Ich rief die Polizei, die sehr schnell eingriff."

Nach einigen Minuten waren die ersten drei Beamten der Bundespolizei am Ort des Geschehens. Auch sie wurden attackiert: Ein 16-Jähriger, stadtbekannter "Kategorie-C-Hooligan" schleuderte einen etwa zehn Kilogramm schweren Begrenzungspfahl, den er aus der Verankerung gehoben hatte, auf die Beamten. Die forderten umgehend Verstärkung an. Von der nahen Reeperbahn rückten Bundespolizisten an, die dort eingesetzt waren, um nach dem HSV-Spiel den Kiez abzusichern. Elf Hamburger Beamte und zwölf Beamte der Bundespolizei in Duderstadt rasten zum Ort der Schlägerei. Sieben zusätzliche Streifenwagen der Landespolizei wurden heranbeordert. Als die Verstärkung eintraf, rannten die Hooligans, die sich als HSV-Anhänger zu erkennen gegeben hatten, in unterschiedliche Richtungen davon. Urban: "Da war ein hoher Organisationsgrad zu erkennen. Absolut Hooligan-typisches Verhalten."

Drei der Beteiligten wurden direkt am Tatort festgenommen. Neben dem 16-Jährigen, der mit dem Pfahl geworfen hatte, ein 19- und ein 26-Jähriger. Auch sie sind polizeibekannte "Gewalttäter Sport". Fünf weitere Personen wurden im Verlauf der Nacht gefasst.

Andreas I. hat seine Konsequenz bereits gezogen: "Ich werde in neutraler Kleidung zum Derby gehen. Ich habe keine Lust, wieder von irgendwelchen Idioten auf die Mütze zu bekommen, nur weil ich St.-Pauli-Anhänger bin. Das hat ja nichts mehr mit Fußballkultur zu tun." Er wurde wegen seiner schweren Prellungen und Hautabschürfungen mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Sein rechtes Auge ist komplett zugeschwollen, er hat starke Kopfschmerzen. "Was sind das bloß für Idioten?", fragt sich I., der noch in der Nacht Anzeige erstattete.