Marseille/Hamburg. Trikotfarben stehen fest. Schweinsteiger in der Startelf. Fans feiern in Hitze von Marseille. Steinmeier leitet deutsche Führung ein.
Donnerstag, 21 Uhr, Marseille: Wenn Schiedsrichter Nicola Rizzoli (Italien) dann im Stade Vélodrome zum ersten Mal in seine Pfeife bläst, werden Millionen Fußball-Fans in Deutschland der eigenen Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Frankreich die Daumen halten.
Mit dem Einzug ins EM-Finale gegen Portugal am Sonntag (21 Uhr/ARD) in St. Denis hätte die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw weiter die große Gelegenheit, erstmals einem Weltmeistertitel direkt den Sieg bei einer Europameisterschaft folgen zu lassen.
Abendblatt.de hält Sie bis zum Anpfiff auf dem Laufenden.
Die Aufstellung
Erneut mit einem neuen System und überraschend mit Emre Can tritt Fußball-Weltmeister Deutschland im EM-Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich an. Bundestrainer Joachim Löw stellte Bastian Schweinsteiger fünf Tage nach seiner im Viertelfinale gegen Italien (6:5 i.E.) erlittenen Außenbandzerrung wie angekündigt von Beginn an auf.
An der Seite des Kapitäns, der erstmals in diesem Jahr in der Startelf steht, agieren im Mittelfeld Toni Kroos und der erstmals bei diesem Turnier eingesetzte Can. Davor formiert sich ein Dreier-Sturm mit Mesut Özil und Julian Draxler außen und Thomas Müller zentral etwas davor.
In der Abwehr kehrt Löw wieder zur Viererkette vor Torhüter Manuel Neuer zurück. Joshua Kimmich beginnt wieder rechts, Benedikt Höwedes ersetzt den gesperrten Mats Hummels neben Jerome Boateng, links beginnt wieder Jonas Hector. Neben Hummels fehlen auch die verletzten Sami Khedira und Mario Gomez. - Die deutsche Mannschaftsaufstellung: 1 Neuer - 21 Kimmich, 17 Boateng, 4 Höwedes, 3 Hector - 14 Can - 7 Schweinsteiger, 18 Kroos - 8 Özil, 11 Draxler - 13 Müller. - Trainer: Löw
Mannschaft im Stadion angekommen
Die deutsche Mannschaft ist bereits im Stadion angekommen.
Pogba fordert zum Hüpfen auf
Gesagt hat Paul Pogba bis zum Halbfinale gegen Deutschland öffentlich so gut wie gar nichts. Umso mehr in einem Video, dass der französische Verband drehte. Das Motto: Ein Tag mit Pogba im EM-Quartier in Clairefontaine. Der Inhalt: Es wird getanzt, gelacht, gegessen und trainiert. Bestens aufgelegt und mit Laptop auf dem Arm verlässt Pogba, bekannt für seinen Dab-Dance nach Toren, sein Zimmer und klopft gegenüber bei seinem Juventus-Turin-Teamkollegen Patrice Evra. Der gewährt irgendwann mit nacktem Oberkörper Einlass und zieht erstmal die Vorhänge auf, ehe beide mit Schlappen ein Tänzchen auf den Teppich legten. Binnen einiger Stunden erreichte der Clip bei „Youtube“ mehr als eine Millionen Clicks.
Und kurz vor dem Anpfiff in Marseille meldete sich Pogba - ganz der Tänzer - dann doch noch einmal zu Wort: "Wer heute Abend nicht hüpft, ist kein Franzose", befahl der Star via Twitter.
Özil hielt Kontakt mit Franzosen
Mesut Özil hat sich vor dem Halbfinale keineswegs eine Kontaktsperre mit seinen französischen Clubkollegen Laurent Koscielny und Olivier Giroud vom FC Arsenal auferlegt. „Nee, nee, wir machen schon noch unsere Späße untereinander“, versicherte der deutsche Mittelfeld-Star dem „Kicker“. Nach dem beeindruckenden 5:2-Sieg des EM-Gastgebers im Viertelfinale habe er Innenverteidiger Koscielny eine SMS geschrieben: „Wir sind nicht Island.“
Nowitzki mit letztem Videogruß
Wenige Stunden vor dem Anstoß meldete sich Dirk Nowitzki zu Wort und machte der Nationalmannschaft noch einmal Mut. „Männer, Dirk hier - alles Gute im Halbfinale!“, sagte der deutsche Basketball-Star der Dallas Mavericks in einem kurzen Video in Richtung Marseille. „Ganz Deutschland steht hinter Euch. Wir drücken die Daumen. Es ist eine große Herausforderung in Frankreich. Aber Ihr schafft das - auf geht's Männer!“, rief Nowitzki. Im DFB-Team gibt es einige ausgewiesene Basketball-Fans wie Toni Kroos.
Diplomaten spielen unentschieden
Das Vorspiel der Diplomaten endete noch ganz friedlich mit einem 1:1. In einem 96-sekündigen Video gibt Außenminister Frank-Walter Steinmeier zunächst den Anstoß, ehe Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes den Ball über die Straßen von Berlin zum symbolischen 1:0 in die französische Botschaft schießen. Der Konter folgt prompt: Angeführt von Botschafter Philippe Étienne treiben Frankreichs Diplomaten den Ball zurück zum deutschen Ministerium und erzielen so den Ausgleich. Am Ende des Kurzfilms lassen Steinmeier und Étienne noch durchblicken, dass sie natürlich an einen Sieg ihres Landes beim Halbfinale in Marseille glauben - beide tippen auf 2:1 für ihre Teams.
Thon sieht Evra als Schwachpunkt
Ex-Nationalspieler Olaf Thon, Weltmeister von 1990, sieht Frankreich gegen Deutschland auf Siegkurs. "Der Gastgeber hat immer einen Bonus - dazu unsere verletzten Spieler. Die Franzosen haben sich gefunden und sind ein Team geworden. Pogba, Griezmann und Giroud müssen wir im Griff haben. Von daher sehe ich leichte Vorteile für Frankreich", sagte der 50-Jährige Sky Sport News HD.
Allerdings hat der Ex-Schalker- und Bayern-Profi auch Defizite beim EM-Gastgeber ausgemacht: „Auf der anderen Seite gibt es bei den Franzosen Schwachstellen in der Defensive. Konkreter Schwachpunkt ist für mich Evra auf der linken Seite."
Friedliche Einstimmung der Fans
Vor dem Halbfinale haben sich in Marseille Tausende Fans beider Mannschaften am alten Hafen versammelt. Bei sommerlichen-heißen Temperaturen waren sehr entspannte Szenen zwischen den Anhängern der Teams zu beobachten. In Cafés und Restaurants saßen gemischte Grüppchen, auf offener Straße gab es Verbrüderungsgesten. Aus Deutschland angereiste Fans sprachen von einem tollen Empfang durch die französischen Gastgeber.
Für die Begegnung wurden auch noch Tickets angeboten. Auf Pappschildern von Fans, aber auch bei Schwarzmarkthändlern wurden Preise bis zu 500 Euro verlangt.
Im Stadion wird mit bis zu 15.000 Anhängern aus Deutschland gerechnet, zusätzlich sollen nach Schätzung der Fan-Botschaft des DFB bis zu 4000 Fans der Mannschaft in der Stadt sein. Für den späten Nachmittag ist ein Fan-Marsch der Anhänger von der Fanmeile zum Stadion geplant.
Fans singen sich in Marseille warm:
Bolt posiert mit Podolski
Usain Bolt, mit sechs Olympischen Goldmedaillen behangener Supersprinter, hat der deutschen Nationalmannschaft vor dem Halbfinale einen Besuch im Hotel in Marseille abgestattet. Der Jamaikaner ist zwar ein begeisterter Fußball-Fan und posierte bereitwillig mit Lukas Podolski für ein Selfie, doch der Grund seines Besuches war ein anderer: DFB-Arzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist seit Jahren der Vertrauensarzt von Bolt, der 73-Jährige soll den Superstar nach dessen Oberschenkelzerrung fit für Olympia machen.
Bolt teilte Podolskis Tweet bereitwillig:
Handball-Held Wolff ganz entspannt
Handball-Europameister Andreas Wolff und die zweimalige Schwimm-Olympiasiegerin Britta Steffen glauben fest an einen deutschen Sieg. "Ich gehe davon aus, dass die Handballer nicht die einzigen deutschen Europameister 2016 bleiben. Die Jungs spielen bisher eine starke EM", sagte Handball-Nationaltorwart Wolff, der im Januar bei der EM in Polen der große Rückhalt war, im Rahmen der Bewegungsinitative kinder+sport: "Mit Manuel Neuer haben wir nicht umsonst den weltbesten Torhüter, sodass ich auch einem Elfmeterschießen ganz entspannt entgegenblicke."
Auch Steffen, die 2013 ihre Laufbahn beendete, glaubt fest an den Einzug ins Finale. "Ich drücke den Jungs die Daumen. Wenn sie ein gutes Spiel machen, werden wir auch Frankreich schlagen. Dann wird dort zwar gedrückte Stimmung sein, aber wir sind einfach die Besseren. Ich hoffe, dass wir trotz der Ausfälle alle Kräfte mobilisieren können, sodass wir im Finale nach dem EM-Pokal greifen können", sagte die 32-Jährige.
Bis zu 8000 deutsche Fans vor Ort
Mehr als 10.000 deutsche Anhänger werden im Vélodrome erwartet. Unter den Daumendrückern sind auch Edelfans wie Ex-Nationalspieler Arne Friedrich oder Comedian Oliver Pocher.
Medien zittern vor "Monster" Neuer
Gastgeber Frankreich ist euphorisiert. Aber in den Medien schwang am Donnerstag auch höchster Respekt, ja fast Furcht vor den Deutschen mit. Von einer "kolossalen Herausforderung“ schrieb der "Figaro“. Besonders herausgestellt wird Torhüter Manuel Neuer, "ein Monster“.
Trikotfarben gutes oder schlechtes Omen?
Die Trikotfarben stehen fest: Da Deutschland offiziell als Heimmannschaft geführt wird, durfte sich der DFB zuerst auf die Trikotfarbe festlegen. Und die Wahl fiel eindeutig aus - wie in allen bisherigen fünf EM-Spielen laufen Bastian Schweinsteiger & Co. auch gegen Frankreich im klassischen Weiß-Schwarz-Schwarz auf. Auch Torhüter Manuel Neuer behält seinen grünen Dress.
Damit kann auch die Équipe Tricolore im gewohnten Blau spielen, in dem sie im bisherigen Turnierverlauf vier Siege und ein Unentschieden einfuhr.
Den letzten Sieg gegen einen Gastgeber bei einem großen Turnier fuhr Deutschland 2014 allerdings im Ausweichtrikot ein: Beim legendären 7:1 über Brasilien trug die Löw-Elf Shirts mit rot-schwarzen Blockstreifen. Gegen Frankreich wäre das aktuelle Auswärtstrikot allerdings wohl ein eher schlechtes Omen gewesen: In Olivgrün setzte es in der Vorbereitung unter anderem Heimniederlagen gegen England (2:3) und die Slowakei (1:3). Andererseits: Auch beim letzten Aufeinandertreffen mit Frankreich im vergangenen November probierten es die Deutschen in Weiß-Schwarz - und verloren prompt mit 0:2...
Rauball warnt vor den Franzosen
Ligapräsident Reinhard Rauball warnt davor, die Franzosen zu unterschätzen. "Sie haben für mich zu Beginn des Turniers - gerade was taktische Fragen angeht - nicht so gespielt, wie man das erwarten durfte", sagte Rauball am Rande eines Mercedes-Termins in Marseille dem SID: "Jetzt hat sich das aber relativiert."
Der 69 Jahre alte Präsident von Borussia Dortmund glaube, "dass das Halbfinale deutlich schwerer werden wird, als jedes Finale, das wir dann bestreiten würden".
Bis zu 30 Grad in Marseille
Die Thermometer-Anzeige hat in Marseille auch am Donnerstagmittag wieder die 30-Grad-Schwelle überschritten. Auch am Abend sollen im Stadion noch weit über 20 Grad und damit wie beim 1:0 im WM-Viertelfinale 2014 gegen Frankreich in Rio wieder extreme Bedingungen herrschen. Aber das schreckt den bei Real Madrid Wärme gewohnten Toni Kroos nicht. "Ich spiele lieber bei Hitze als bei Regen oder Kälte“, sagte der Mittelfeldspieler: „Die Hitze spielt keine Rolle für uns.“
Und Löw sagte am Mittwochabend pathetisch: "Wir spielen nicht nur gegen eine Mannschaft, sondern wir spielen gegen ein ganzes Land. Frankreich hat mit dem Sieg gegen Island sehr viel Selbstbewusstsein getankt. Die Euphorie und die Kraft ist übergesprungen auf die Mannschaft und die ganze Nation.“ Gerade im Stade Vélodrome erfährt die Équipe Tricolore in Länderspielen eine besonders intensive Unterstützung ihrer Fans.
Kroos fürchtet sich nicht
Die deutschen Weltmeister gehen trotz erheblicher Personalsorgen entschlossen ins Halbfinale. "Fürchten tun wir uns definitiv nicht“, verkündete Toni Kroos. "Ich glaube, wir werden der härteste Gegner sein, den Frankreich in diesem Turnier bislang hatte“, erklärte auch Löw sehr selbstbewusst am Mittwochabend in Marseille. Das Halbfinale soll nicht zur Endstation werden. „Wir werden alles daran setzen, dass wir das Finale erreichen“, versprach Löw. Der 56-Jährige erwartet ein „ähnliches Spiel“ wie 2014 bei der WM in Brasilien, als Deutschland im Viertelfinale nach einem frühen Tor von Mats Hummels in Rio de Janeiro mit 1:0 gewinnen konnte.
Löw rechnet mit französischer Wucht
Das Prunkstück der französischen Mannschaft ist die Offensive. „Frankreich kann sehr flexibel und druckvoll agieren“, schilderte Löw: „Und Frankreich hat die beste Chancenverwertung.“ Antoine Griezmann (4 Tore), Dimitri Payet (3) und Olivier Giroud (3) sind brandgefährlich. „Ich denke mal, dass die Franzosen mit aller Wucht und Physis nach vorne spielen werden. Die Offensive war bislang ihre Stärke“, spekulierte Löw. Dagegen müsse mit Geschlossenheit verteidigt werden. Keine Räume dürften dem Gegner gelassen werden. „Sonst wird es für uns schwierig“, mahnte der Bundestrainer.
Schweinsteiger mit Startelf-Garantie
Bei Bastian Schweinsteiger verzichtete Löw auf einen Aufstellungspoker. Der Bundestrainer gab frühzeitig Grünes Licht beim Kapitän. Die Knieblessur sei „so gut wie auskuriert“, berichtete Löw nach der Ankunft der deutschen Mannschaft in Marseille. Der 31 Jahre als Routinier wird für den verletzten Sami Khedira ins Mittelfeld an die Seite von Toni Kroos rücken. "Bastian ist für unsere Mannschaft schon sehr wichtig. Gerade in einem Spiel in so einem Hexenkessel ist seine Erfahrung immens viel wert. Er wird auf jeden Fall beginnen“, sagte Löw, der neben Khedira auch Mario Gomez (Muskelfaserriss) und Hummels (Gelb-Sperre) ersetzen muss.
„Das ist nicht so einfach. Von daher ist es wichtig, das so ein erfahrener Spieler wie der Bastian beginnt“, erläuterte Löw: „Wenn seine Kräfte nicht reichen sollten, haben wir noch viele Möglichkeiten zu wechseln.“ In den vergangenen Tagen hatte Löw betont, nicht noch einmal den Fehler vergangener Turniere begehen zu wollen, nicht fitte Spieler aufzustellen.
Neuer ermahnt die Vorderleute
Aus dem Spiel heraus ist Manuel Neuer bei der EM noch nicht bezwungen worden. Das einzige Gegentor im Viertelfinale gegen Italien fiel durch einen Handelfmeter. Jetzt kommt der Zehn-Tore-Sturm mit Griezmann, Giroud und Payet auf den Welttorhüter und die deutsche Defensive um Abwehrchef Jérôme Boateng zu.
Neuers Mahnung an seine Vorderleute lautet: "Wir müssen gut stehen und dürfen unsere Ordnung nicht verlieren." Ob Löw wieder die Dreierkette wählt oder zur Vier-Mann-Abwehrreihe zurückkehrt, ist offen. "Wir werden die richtige Formation wählen", versicherte Torhüter Neuer. Am Mittwoch wusste selbst die Mannschaft noch nicht, in welcher Abwehrformation sie auflaufen wird, wie Benedikt Höwedes dem Abendblatt sagte.
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Frankreich baut auf Marseille-Publikum
Der Gastgeber setzt auch auf seine Fans. Die Mehrzahl der über 60.000 Zuschauer im Stade Vélodrome wird Griezmann und Co. anfeuern. "Wir werden die Unterstützung der Zuschauer brauchen. Es wird schwierige Momente geben“, sagte Trainer Didier Deschamps. Das Publikum soll das Team Richtung Endspiel tragen. „Ich hoffe, dass die Fans uns helfen, das letzte Quäntchen rauszuholen“, sagte Torwart Hugo Lloris: „Wir müssen über unsere Grenzen hinauswachsen.“