Deutschland verspielte gegen Schweden eine 4:0-Führung. Am Ende stand ein historisches und genauso bitteres 4:4.
Berlin. Als die 72 369 Zuschauer im Berliner Olympiastadion nach 39 Minuten "Oh, wie ist das schön" sangen, hätte sich wohl keiner träumen lassen, dass am Ende eines historischen Fußballabends eine der größten Blamagen aller Zeiten stand. Nachdem die deutsche Mannschaft zunächst mit 4:0 führte, musste sie sich am Ende eines unvergesslichen Spiels mit einem 4:4 begnügen - oh, wie war das bitter! "Nach dem zweiten Gegentreffer sind wir völlig auseinandergebrochen. So etwas darf uns nicht passieren", sagte Philipp Lahm, der konsternierte Bastian Schweinsteiger ergänzte: "So etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich kann das alles nicht verstehen."
Dabei hatte die deutsche Mannschaft mit dem 6:1-Erfolg vom Freitagabend gegen Irland im Rücken zunächst von Beginn an die Partie diktiert. Löw hatte vor dem Anpfiff zwei Änderungen vorgenommen. Dass Toni Kroos für den angeschlagenen Sami Khedira ins Team kommen würde, war erwartet worden. Etwas überraschend beorderte der Bundestrainer den zuvor gesperrten Philipp Lahm auf die linke Seite und ließ Jerome Boateng rechts verteidigen. Leidtragender war der angeschlagene Marcel Schmelzer, der aber lediglich mit Fußproblemen geschont wurde.
Und Löw schien ein gutes Händchen bewiesen zu haben. Lahm spielte mit einem klugen Pass Marco Reus frei, der wiederum auf Miroslav Klose passte - nach nur acht Minuten war das Bollwerk der Schweden, die mit zwei Viererketten vor dem Strafraum verteidigten, bereits geknackt.
Nur sieben Minuten später folgte die schönste Szene des Spiels. Marco Reus wirbelte auf engstem Raum mit einem doppelten Doppelpass durch die schwedische Abwehr und legte nach wunderschönem Zusammenspiel mit Kroos und Thomas Müller erneut quer auf Klose. Der Länderspieltreffer Nummer 67 des 34-Jährigen war perfekt, und die deutschen Fans schwenkten entzückt ihr schwarz-rot-goldenen Fahnen, während Kanzlerin Angela Merkel begeistert Beifall klatschte.
+++ Der Spielverlauf im Liveticker +++
Diese feine Technik in der deutschen Offensive war es, die zunächst Mut machte, dass die DFB-Elf tatsächlich einmal die übermächtig erscheinenden Spanier bezwingen könnte. Die Schweden waren in der ersten Halbzeit nur ein Spielball für das deutsche Team und mussten vor der Pause noch einen dritten Treffer schlucken, als Per Mertesacker nach einer Ecke abstaubte.
Auch nach dem Wiederanpfiff blieb die Offensivfreude des unersättlich scheinenden deutschen Teams zunächst ungebrochen. Kroos, Reus, Özil mit der Hacke, dann Müller, der vergab - die Schweden konnten nur staunen, wie schnell und raffiniert die Angriffe vorgetragen wurden. In der 56. Minute erhöhte der bis dato hervorragend aufspielende Özil nach Müllers Zuspiel auf 4:0. Erst das 6:1 gegen Irland, nun wieder vier Treffer: Die Torfabrik des DFB lief auf Hochtouren - dachten alle.
Doch dann kam plötzlich alles ganz anders. Denn als Müller in der Vorwärtsbewegung den Ball verlor, überraschte Zlatan Ibrahimovic Neuer mit einem platzierten Kopfball zum 4:1 (62.). Und was den Deutschen dann eben doch noch zu Spanien fehlte, war genau in dieser Phase zu sehen: eine stabile Defensive. Nur zwei Minuten nach Schwedens Tor legte Lustig nach Doppelfehler Badstubers und Neuers zum 2:4 nach - und auf einmal wackelte Deutschlands Abwehr ganz erheblich.
Bundestrainer Löw, der eine Stunde lang einen entspannten Abend verbringen durfte, tobte am Spielfeldrand, konnte aber den dritten Schwedenhappen eine Viertelstunde vor Schluss nicht verhindern. Johan Elmander nutzte die plötzliche Verwirrung in der DFB-Defensive zum nicht für möglich gehaltenen 3:4. Als dann in der Nachspielzeit auch noch Elm der historische 4:4-Ausgleich gelang, war innerhalb einer halben Stunde aus einem Fußballfest eine der größten Enttäuschungen der DFB-Geschichte geworden. Den Abend vergessen dürfte keiner der Beteiligten so schnell. Schlusswort Löw: "Ganz ehrlich, ich kann das jetzt nicht erklären. Wir haben 60 Minuten alles im Griff gehabt, das Spiel dominiert. Dass wir uns so aus dem Rhythmus bringen lassen, hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Wir haben alles vermissen lassen."
Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm - Kroos, Schweinsteiger - Müller (67. Müller), Özil, Reus (88. Podolski) - Klose.
Schweden: Isaksson - Lustig, Granqvist, J. Olsson, Safari - Wernbloom (46. Källström), Elm - Larsson (78. Sana), Ibrahimovic, Holmen (46. Kacaniklic) - Elmander.
Tore: 1:0 Klose (8.), 2:0 Klose (15.), 3:0 Mertesacker (39.), 4:0 Özil (55.), 4:1 Ibrahimovic (62.), 4:2 Lustig (64.), 4:3 Elmander (76.), 4:4 Elm (90.+3).
Gelb: Reus (2), Lahm, Schweinsteiger / Isaksson.
Schiedsrichter: Pedro Proenca (Portugal).
Zuschauer: 72 369 (ausverkauft).