Hamburg. Der heutige HSV-Trainer Loïc Favé entwickelte das Nachwuchskonzept. Der Lohn sind Ausbildungserlöse und eine Saison in der Regionalliga.

Wenn der Eimsbütteler TV an diesem Freitag (20.15 Uhr) am Lokstedter Steindamm zum Oberliga-Duell den FC Türkiye Hamburg empfängt, werden wieder etliche Spieler auflaufen, die aus der eigenen Jugend stammen. Wie schon in den vergangenen Jahren. Ein Erfolgsrezept inklusive des doppelten Aufstiegs bis in die Regionalliga Nord im Mai 2023. Das Abendblatt hat die Viertliga-Saison dann mit Kameras begleitet und daraus eine siebenteilige Video-Doku erstellt (abrufbar unter „abendblatt.de/etv“).

Angefangen hat das verstärkte Interesse an einer gezielten Förderung von Jugendspielerinnen und -spielern beim ETV mit dem früheren Co-Trainer des FC St. Pauli, Loïc Favé, der mittlerweile als Sportlicher Leiter Nachwuchs und Trainer der U21 beim HSV tätig ist. Dieser war in der Jugend Stürmer beim ETV, beendete seine Karriere aber nach drei Fußbrüchen und stieg 2012 als Jugendtrainer der U12 bei den Eimsbüttelern ein. Bald darauf war Favé parallel zum Trainerdasein auch Jugendkoordinator – und hatte viel Erfolg.

ETV: Loïc Favé machte die Jugendarbeit stark

Unter anderem stiegen die U17 und die U19 des ETV in die Bundesliga auf. „Ich hatte vorher immer gehört, was alles nicht geht. Ich habe mir gedacht, lasst uns doch mal gucken, welche Chancen wir beim ETV haben und was wir hier im Verein alles erreichen können“, erklärt Favé in der Abendblatt-Dokumentation über die Saison der Herren des Eimsbütteler TV in der Regionalliga Nord.

Favé schrieb ein wegweisendes Jugendkonzept, von dessen Inhalten sein späterer Nachfolger Jasper Hölscher profitieren und die er mit seiner eigenen Handschrift versehen und an die aktuellen Erfordernisse anpassen konnte. Über allem stehen die drei Säulen Entwicklung, Emotion und Zusammenhalt.

ETV: Starkes Training, starke Trainer, viel Förderung

„Wir setzen beim Eimsbütteler TV auf ausgezeichnetes Training und starke Trainer“, sagt Hölscher, gleichzeitig Oberliga-Spieler. „Wir“ sagt Hölscher, „sind ein leistungsorientierter Breitensportverein.“ Deshalb bezahlt der Verein seinen Trainern und Trainerinnen deren Trainerscheine zur Weiterqualifizierung. „Wenn wir sehen, jemand hat Bock, sich weiterzuentwickeln, fördern wir das mit unseren Mitteln“, sagt Hölscher.

Auch die Trainingsinhalte für die 30 Jugendmannschaften in der gut 1250 Mitglieder umfassenden Jugendabteilung sind nicht beliebig. Bestimme Leitplanken sind festgeschrieben, innerhalb derer sich die Trainer dann selbst verwirklichen dürfen. Vorgänger Favé selbst schrieb ja einst ein Buch über Trainingsmethodik mit dem Titel „Kreatives Fußballtraining“.

Der ETV profitiert mehrfach von seinen Talenten

Die starke Jugendarbeit – Dreiklang für die Trainerinnen und Trainer im Konzept: Wissen-Wollen-Dürfen – mit viel Feedback untereinander hat nicht nur dazu geführt, dass der ETV in jeder Leistungsklasse mindestens ein Leistungsteam stellt und immer wieder sportliche Erfolge im Jugendfußball feiert. Sie bringt auch Talente hervor, von denen der Verein nicht nur profitiert, solange sie das Trikot des ETV tragen. Denn viele dieser Spieler wechseln ins Nachwuchsleistungszentrum von Bundesligisten – und der ETV wird für die Ausbildung der Spieler entlohnt.

„Der DFB hat hier erst vor kurzer Zeit sehr gute Anpassungen vorgenommen. In diesem Jahr werden wir wohl zum ersten Mal circa 30.000 Euro statt 10.000 Euro bis 20.000 Euro auf diesem Wege einnehmen“, sagt Hölscher. Dazu kommt noch mehr Geld, wenn ein Jugendspieler des ETV es tatsächlich auf einen Einsatz in der Bundesliga oder Zweiten Liga bringt. „Die Summe ist von 5000 Euro pro Jahr erhöht worden auf 7000 oder sogar 8000 Euro pro Jahr“, sagt Hölscher.

Debüts in den Profiligen bringen ETV Geld

Das rechnet sich. „Nicolas Oliveira vom HSV und Justin Njinmah von Werder Bremen haben beide ihr Debüt in der Bundesliga beziehungsweise der 2. Bundesliga gegeben. Wir haben sie sieben Jahre ausgebildet und nehmen nun viel Geld ein“, sagt Hölscher. Im ETV-Kreislauf fließt dieses Geld wieder in die Verbesserung der Jugendarbeit. So kann der Verein seine sportliche Stellung dort und auch bei den Erwachsenen behaupten. Denn nicht jedes Talent wechselt. Viele kommen in den Herren- und Damenteams an, zeigen dort starke Leistungen.

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In diesem Sommer jedoch musste der ETV auch einen schmerzhaften Wechsel verkraften. Torjäger Maurice Boakye (19)  ging von den Herren des ETV ablösefrei zum VfB Stuttgart II in die Dritte Liga. Zwar geht der ETV nicht ganz leer aus, Boakye spielte ein Jahr in der U19 des Vereins. Aber er war zum Zeitpunkt des Wechsels vertragslos. Eine Ablöse im Herrenbereich gab es folglich nicht. Hölscher: „Das ist eines unserer nächsten Projekte. Wir wollen die Spieler ermutigen, bei uns im Erwachsenenbereich auch Zwei-Jahres-Verträge zu unterschreiben, damit wir im Falle des Wechsels als Verein auch eine Ablösesumme bekommen.“

Eine Sache beim Nachwuchs nervt Hölscher richtig: „Die per Ligensystem geschaffene Aufstiegsmöglichkeit in den Hamburger Staffeln von der U 14 auf die U 12 vorzuziehen, ist ein Fehler“, sagt Hölscher. „Eltern machen ihren Kindern Druck, Kinder wechseln häufiger die Vereine, Trainer lassen aufgrund der Tabellensituation Ergebnisfußball spielen. Wir sollten endlich aufhören, unsere Sicht auf Fußball als Erwachsene auf unsere Kinder zu übertragen“, sagt Hölscher.