Hamburg. Das Abendblatt begleitete eine Saison die ETV-Fußballer in der Regionalliga Nord – sieben Folgen mit 250 Minuten Spieldauer.

Wie so viele gute Ideen entstand auch diese bei einem Glas Rotwein. Ich saß Ende März 2023 mit Peter Wenig zusammen, meinem Vorgänger als Sportchef beim Abendblatt. Während des Treffens erzählte ich (ein passionierter Seriengucker) ihm von meinem Wunsch, einmal etwas komplett Neues auszuprobieren und nach dem Vorbild vieler Video-Dokumentationen über Profiteams eine Saison lang eine ambitionierte Amateurmannschaft mit der Kamera zu begleiten. Es benötigte nicht mal ein weiteres Glas, um den richtigen Club ausfindig gemacht zu haben: den Eimsbütteler TV!

Der Reiz lag auf der Hand: Dank der hervorragenden Nachwuchsarbeit in den vergangenen Jahren gehörte der Oberliga-Neuling trotz der geringen finanziellen Möglichkeiten sensationell zu den Aufstiegsaspiranten. Der Plan war klar: Entweder wir begleiten das Team beim Nicht-Aufstieg ein Jahr lang durch die mit vielen Traditionsclubs gespickte Oberliga Hamburg – oder aber, falls tatsächlich der Sprung in die Regionalliga Nord gelingen würde, beim Abenteuer Vierte Liga. David gegen Goliath, die perfekte Geschichte für eine Video-Doku.

ETV-Doku: Im Mai 2023 finden die Dreharbeiten an

Oft verpuffen solche Ideen, wenn der Rausch des Abends verflogen ist. Dieses Mal war es anders. Auf die E-Mail-Anfrage am nächsten Tag antwortete Frank Fechner, der Vorsitzende des ETV, sofort: „Das hört sich nach einer richtig tollen Idee an, und unsere Fußballer finden das sehr reizvoll. Wir sind also bereit.“ Und auch innerhalb der Redaktion bekam ich für dieses Pilotprojekt innerhalb kürzester Zeit grünes Licht. Nach zwei Treffen zwischen Abendblatt und dem ETV stand der Entschluss: Wir probieren es!

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Viel Zeit zum Überlegen blieb sowieso nicht. Tatsächlich schaffte es der ETV in die Aufstiegsrunde zur Regionalliga gegen OSC Bremerhaven und Kilia Kiel. Wir mussten also sofort anfangen zu drehen. Nur mit einem Strategiepapier, das auf eine Seite passte, keinem Drehbuch und einem kleinen Team: mit Videoredakteur Axel Leonhard und unserem freien Mitarbeiter Frederik Kastberg.

Als erstes Hamburger Team schaffte der ETV einen Doppelaufstieg

Am 4. Juni 2023 stand nach dem 4:0-Erfolg gegen Kilia Kiel der Aufstieg fest. Zwei Aufstiege in Folge, das hatte noch keine Hamburger Mannschaft geschafft. Was für ein Triumph. Der ETV gehörte nun tatsächlich zu der Liga, in der etliche Traditionsclubs wie Meppen oder Oldenburg spielen und die Nachwuchsteam des HSV, des FC St. Pauli Hannover oder Kiel. Alles Teams, die unter Profibedingungen trainieren.

Der ETV stürzte sich voller Elan in die Vorbereitung auf die Regionalliga-Saison – und wir vom Abendblatt waren immer dabei, nicht nur bei den Spielen, sondern auch in Mannschaftssitzungen, auch mit Teamcoach Hinnerk Smolka. Spieler wie Maurice Boakye und Oskar Lenz erzählten von ihrem Traum Fußballprofi. Emotionen, Entwicklung und Zusammenhalt – das sind die drei Säulen beim ETV. Aber würden diese Werte noch bestehen, wenn der Erfolg ausbleibt, wenn das siegesgewohnte Team plötzlich lernen muss, mit Niederlagen umzugehen, es darum geht, Widerstände zu überwinden?

Wolfsrudel: ETV steht stellvertretend für viele Amateurclubs

Ein gutes Jahr später sind die sieben auf abendblatt.de/etv abrufbaren Folgen tatsächlich fertig. Entstanden ist eine realitätsgetreue Dokumentation, die ohne Erzähler auskommt und zeigt, wie der Fußball abseits der Profiligen in Deutschland funktioniert, stellvertretend für tausende andere Amateurclubs. Die Serie zeigt, mit wie viel Leidenschaft die Menschen in diesen Vereinen ihrem Sport nachgehen, ob auf dem Platz oder als Betreuer. Viermal Training, am Wochenende das Spiel mit vier Stunden Fahrzeit – und das alles für 250 Euro im Monat. Hier geht es eben nicht in erster Linie um Geld, sondern um den Sport.

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Ganz ehrlich: Viele Entwicklungen im Profifußball gefallen mir nicht, die Flut an neuen Wettbewerben, die Unsummen, die mittlerweile in die Taschen der Sportler fließen, das Zementieren von Machtverhältnissen sowie der aus den Geldströmen resultierende gestörte Wettbewerb. Das vergangene Jahr jedoch hat mir die Freude an diesem Sport zurückgegeben. Die uns entgegengebrachte Offenheit und das Vertrauen in unsere Arbeit gehören zu den schönsten Erfahrungen in meinem Berufsleben, besonders in schwierigen Phasen der Saison.

„Wolfsrudel“ haben wir die Serie getauft, weil sich die Mannschaft selbst diesen Titel gegeben hat. In dieser Saison geht sie wieder in der Oberliga Hamburg auf dem Platz „auf die Jagd“. Denn trotz des Abstiegs ist der ETV sich und seinen Werten treu geblieben. Und das ist die schönste Erkenntnis am Ende der zwölfmonatigen Reise, die für uns mit unserem kleinen Team mit viel Arbeit verbunden war – und mit noch viel mehr Spaß. Trotzdem werde ich beim nächsten Glas Rotwein vorsichtiger sein, auf welche Idee ich mich einlasse.