Berlin/Hamburg. Der 2:1-Sieg bei Hertha BSC bringt das Team von Trainer Hürzeler an die Spitze der Zweiten Liga. Warum das ist kein glücklicher Zufall ist.

Nachdem sie die ausgiebigen und ausgelassenen Feierlichkeiten vor der mit mehr als 13.000 Anhängern prall gefüllten Gäste-Fankurve im riesigen Berliner Olympiastadion beendet hatten, schalteten die Fußballprofis des FC St. Pauli wieder in ihren verbalen Zurückhaltungsmodus.

„Der erste Platz sagt Nullkommanull aus. Es ist natürlich eine schöne Momentaufnahme, aber wenn du da oben stehst, wirst du umso mehr gefordert“, sagte zum Beispiel Innenverteidiger Hauke Wahl und dachte schon an die nächste Aufgabe am Sonnabend (erneut 20.30 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg.

FC St. Pauli jetzt seit 13 Spielen in Folge ungeschlagen

„Es geht uns jetzt noch nicht in erster Linie darum, wo wir stehen, sondern um die kontinuierliche Performance, also diese Leistung konstant jede Woche abzurufen“, sagte Stürmer Johannes Eggestein, der mit dem Treffer zum 1:0 den zweiten Auswärtssieg seines Teams in dieser Saison eingeleitet hatte.

Dabei hatte der gesamte Auftritt im mit 66.113 Zuschauern beeindruckend gefüllten, aber damit immer noch nicht ausverkauften Olympiastadion (74.475 Plätze) eine bemerkenswerte Reife des aktuellen St.-Pauli-Teams bewiesen, die völlig zu Recht auf den ganz großen Wurf, sprich den Bundesliga-Aufstieg, in dieser Saison hoffen lässt.

St. Paulis Team beweist Reife und Spielstärke

Obwohl die weitaus meisten Spieler eine solche Kulisse, die noch einmal eine andere Dimension als das regelmäßig ausverkaufte Millerntor-Stadion darstellt, alles andere als gewohnt sind, zogen sie nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ihr bekanntes Kombinationsspiel auf und brachten die Berliner mehr und mehr in Verlegenheit.

„Es war eines unserer besten Auswärtsspiele im ganzen Jahr, wobei wir in den ersten 20 Minuten der zweiten Halbzeit den besten Fußball überhaupt gespielt haben“, sagte Abwehrchef Eric Smith und geriet dann doch ein wenig ins Schwärmen. „Wir wussten, dass Hertha uns nach der Pause unter Druck setzen wollte. Doch darauf, wie gut wir damit umgegangen sind, können wir stolz sein“, sagte der Schwede weiter. „Wir hätten unsere Chancen noch besser nutzen können. Aber wenn wir weiter so konsequent verteidigen, genügen auch in einem schwierigen Auswärtsspiel zwei Tore, um zu gewinnen.

St. Pauli jetzt seit 13 Spielen ungeschlagen

Der FC St. Pauli steht jetzt wieder dort, wo er die Rückrunde der vergangenen Saison beendet hatte – auf Platz eins. Deshalb ist auch der Hinweis der Spieler, die Saison sei noch jung und der Tabellenplatz nur eine schöne Momentaufnahme, nur vordergründig zutreffend.

Vielmehr setzt das Team in dieser Saison eine Entwicklung fort, die zu Beginn des Jahres mit der Amtsübernahme von Fabian Hürzeler als Cheftrainer ihren Anfang genommen hatte. Aus den seither 25 Ligaspielen sammelte St. Pauli 57 Punkte (2,28 Punkte pro Spiel), verlor ganze zwei Matches und ist jetzt schon wieder saisonübergreifend seit 13 Spielen ungeschlagen – eine überragende Bilanz.

Erst fünf Gegentore nach acht Spielen

Zudem hat die Mannschaft bewiesen, dass sie mit Rückschlägen umgehen kann. Nach den beiden Niederlagen in der Rückrunde ließ sie bis zum Saisonende elf Punkte aus fünf Spielen folgen. Auch jetzt reagierte das Team auf die Serie von vier eher unglücklichen Unentschieden mit einer konsequenten Beibehaltung ihrer Philosophie, was denn auch zu den jüngsten drei Siegen hintereinander führte.

Trainer Fabian Hürzeler wird nicht müde, die Defensivarbeit des gesamten Teams als Grundlage für die erfolgreiche Spielweise zu propagieren. Verteidiger Wahl stellte dabei heraus: „Die Jungs vorn haben in der Arbeit gegen den Ball einen sehr guten Job gemacht, der es uns hinten leichter macht.“ Nur fünf Gegentore nach acht Spielen sind Ligabestwert und sprechen dafür, dass das Team dem Gegner nur wenig Möglichkeiten gewährt. Gerade acht Torschüsse standen am Ende für die Hertha als Heimteam, das über die meiste Zeit einem Rückstand hinterherlaufen musste, zu Buche. Bemerkenswerte 24 waren es für St. Pauli.

Eggestein trifft erstmals unter Trainer Hürzeler

Dies zeigt auch, dass die gute Defensivarbeit keineswegs ein kreatives und attraktives Spiel bei eigenem Ballbesitz verhindert. „Wir spielen richtig mutig Fußball. Jeder weiß, was der andere tut. Wir haben eine sehr gute Abstimmung“, befand Torschütze Eggestein treffen.

Der 25-Jährige ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie die Mannschaft des FC St. Pauli derzeit funktioniert. Er spielte in den Überlegungen von Trainer Hürzeler monatelang fast keine Rolle, auch wenn er immer im Kader stand. Seit drei Spielen ist er jetzt in der Startelf, war sofort ein Faktor und traf jetzt erstmals seit dem Trainerwechsel im Dezember 2022.

Stürmer Simon Zoller wird nicht vermisst

„Die Jungs haben mich gut integriert. Wir haben ein sehr hohes Trainingsniveau. Jeder, der reingeschmissen wird, performt auch gleich, auch weil jeder weiß, was er zu tun hat“, beschrieb Eggestein das, was das Team derzeit auszeichnet. Eine Woche zuvor hatte der ebenfalls lange außen vor stehende Carlo Boukhalfa als Joker einen Treffer zum 3:1 gegen Schalke 04 beigesteuert.

„Ich habe das Gefühl, dass ich immer besser reinkomme und vorn auch bessere Ballkontakte habe“, beschrieb Eggestein seine persönliche Entwicklung in den jüngsten drei Spielen. Damit sammelte er gute Argumente dafür, dass er auch in den kommenden Partien erste Wahl sein wird.

Spielt er weiter wie gegen die Hertha, wird der prominente Last-Minute-Zugang Simon Zoller nicht vermisst werden. Auch in Berlin gehörte er noch nicht dem 20-Mann-Kader an. Er soll sich weiterhin in Ruhe für seine ersten Einsätze im St.-Pauli-Trikot hundertprozentig fit machen. Denn die erfolgreiche Spielweise verlangt eine hohe Intensität.

St. Paulis Verteidiger Wahl spricht von "großer Kunst"

Unterdessen blickte Hauke Wahl nach vorn: „Die Gegner werden immer wieder etwas gegen uns versuchen. Wir müssen schauen, dass wir Lösungen dagegen finden. Das ist die große Kunst.“ In Berlin ist sie seinem Team jedenfalls gelungen.

Hertha: Ernst – Karbownik (71. Bence Dardai), Leistner, Kempf, Dudziak (59. Hussein) - Bouchalakis, Marton Dardai – Winkler (46. Gustav Christensen), Prevljak (71. Scherhant), Reese - Tabakovic (80. Niederlechner). FC St. Pauli: Vasilj - Wahl, Smith, Mets - Saliakas, Metcalfe (71. Irvine), Hartel (90. Boukhalfa), Ritzka – Afolayan (85. Amenyido), Eggestein (71. Albers), Saad (85. Treu). Tore: 0:1 Eggestein (25.), 0:2 Hartel (74.), 1:2 Scherhant (83.). – Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach). – Zuschauer: 66.113. Gelb: Christensen, Dardai (2) – Hürzeler (Trainer). Statistik: Torschüsse: 8:24; Ecken: 7:3; Ballbesitz: 48:52 Prozent; Zweikämpfe: 81:65; Laufleistung: 122,02:126,35 km.