2016 gewannen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst in Brasilien Olympiagold im Beachvolleyball. Im Abendblatt erinnern sie sich an den Triumph.
Dieser Urschrei, der so deutlich zu hören ist, weil 11.950 brasilianische Fans in Schockstarre schweigen und nur die kleine Kolonie deutscher Beachvolleyball-Enthusiasten in Ekstase ausbricht – niemand, der dabei war an jenem 17. August 2016 in Rio de Janeiro, wird ihn je vergessen. „Auuuuuuus“ brüllt Laura Ludwig, als der Aufschlag ihrer brasilianischen Rivalin Barbara Seixas de Freitas jenseits der Spielfeldbegrenzung landet.
Aus ist der Ball, aus ist in dieser Minute, um 0.42 Uhr Ortszeit, auch das Finale um olympisches Gold. Ludwig und ihre Partnerin Kira Walkenhorst haben die amtierenden Weltmeisterinnen Barbara und Agatha Bednarczuk in den Sand der weltberühmten Copacabana gezwungen, wo in einem extra für die Sommerspiele zusammengezimmerten Stahlrohrstadion am Atlantikstrand gespielt wurde. 21:18, 21:14, das sind die Zahlen, die den größten Triumph, den je deutsche Beachvolleyballerinnen geschafft haben, zum Fakt machen.
Bis zum Matchball im Tunnel
An den Moment, der ihre sportlichen Karrieren aufteilt in ein Davor und ein Danach, erinnern sich Ludwig (damals 30) und Walkenhorst (damals 25) gut sieben Jahre später, als wäre er gestern gewesen. „Als wir bei 20:13 unseren ersten Matchball hatten, habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, was uns gelingen konnte“, sagt Kira Walkenhorst, „vorher war ich komplett im Tunnel, aber plötzlich war die Aufregung da. Umso dankbarer war ich, dass Barbara nach dem ersten abgewehrten Matchball ihren Aufschlag ins Aus gesetzt hat.“
Laura Ludwig hatte „vor dem Finale das schlechteste Warm-up des ganzen Turniers, weil ich so aufgeregt war. Aber dann habe ich gespürt, wie dominant wir waren, das hat mir Sicherheit gegeben. Als es vorbei war, war ich komischerweise erst einmal total ruhig. Ich dachte nur: Das war es jetzt? Jetzt haben wir wirklich Gold gewonnen?“
Einzigartige Dominanz
Hatten sie. Und es gab keinen Zweifel daran, dass dieses Duo, das sich im Herbst 2012 genau zu diesem Zweck zusammengetan hatte, zum optimalen Zeitpunkt auf dem Zenit seines Schaffens war. Keinen Satz gaben Ludwig/Walkenhorst in der olympischen K.-o.-Runde ab.
Sie ließen sich weder im Halbfinale gegen Larissa/Talita noch im Endspiel von der Wucht des nicht immer fairen einheimischen Publikums beeindrucken, sondern strahlten eine Dominanz aus, von der bis heute Expertinnen und Experten sagen, dass sie einzigartig gewesen sei. Ludwig als beste Abwehrspielerin der Welt und Walkenhorst als brutal starke Blockerin vor ihr – zumindest in diesem Jahrtausend hatte der HSV, für den sie starteten, sportartenübergreifend nicht einmal annähernd eine stärkere Mannschaft zu bieten.
Viel Lob fürs Team hinterm Team
Das Team hinter dem Team priesen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst schon in Rio als das Geheimnis ihres Erfolgs. Als nach dem Finale gegen 3 Uhr morgens die Pressekonferenz beendet war und zum Aufbruch ins Teamhotel in Ipanema geblasen wurde, wo die Goldparty stattfinden sollte, war der „inner circle“, der sich im Zeichen der fünf Ringe zusammengeschlossen hatte, in einem seltenen Moment des gemeinsamen Innehaltens zu beobachten.
Chefcoach Jürgen Wagner, Hamburgs Landestrainerin Helke Claasen, die Physiotherapeuten Katharina Hubert und Jochen Dirksmeyer sowie die Sportpsychologin Anett Szigeti – das waren die Menschen, deren Arbeit in Gold kaum aufzuwiegen gewesen wäre.
Sie standen gemeinsam mit dem damaligen HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, Hamburgs Sportsenator Andy Grote, Sportstaatsrat Christoph Holstein und Olympiastützpunktleiterin Ingrid Unkelbach auf der Promenade vor dem Stadion und versuchten, das Erlebte einzuordnen.
Harter Tag nach dem Finale
Auch in der Verarbeitung ihres größten Erfolgs zeigten sich schon in Brasilien die unterschiedlichen Charakterzüge der beiden Protagonistinnen. Kira Walkenhorst, die Ernsthafte, die ihr zweifelsohne vorhandenes Talent mit einer unbändigen Leidenschaft und extremem Ehrgeiz paarte, wirkte am Tag nach dem Finalsieg, als der Medienmarathon und die Medaillenparty im Deutschen Haus auf dem Programm standen, wie ein in die Enge getriebenes Tier, das einen Fluchtweg sucht und nicht findet.
Laura Ludwig, der Sonnenschein, die über einen inneren Schalter zu verfügen scheint, um schlechte Laune aus- und ihr berühmtes Lächeln anzuknipsen, genoss die Lobpreisungen auf der großen Bühne. „Das lag daran, dass Laura nach dem Finale wenigstens ein paar Stunden geschlafen hat, während ich noch Caipirinha getrunken habe“, sagt Kira Walkenhorst im Rückblick scherzhaft, um dann ernsthaft einzugestehen, „dass ich tatsächlich Zeit für mich gebraucht hätte, um das Ganze zu verarbeiten.“
Verarbeitung erst im Urlaub
Stattdessen standen im Anschluss an die Olympischen Spiele mit den Europameisterschaften, den deutschen Meisterschaften und dem World-Tour-Finale noch drei wichtige Turniere an, für die sich das Duo in Absprache mit seinen Trainern noch in Rio verpflichtete.
„Es war schon irgendwie surreal, dass es gleich weitergehen musste. Aber schon zwei Tage nach dem Goldfinale war ich wieder im Kraftraum“, erinnert sich Laura Ludwig. Erst nach Saisonende im Urlaub sei Zeit gewesen, das Erlebte Revue passieren zu lassen. Auch das taten beide auf ihre Weise.
Ludwig war mit ihrem Partner und heutigen Ehemann Imornefe Bowes in Costa Rica, „da wurde ich selbst in kleinen Städten erkannt“, sagt sie. Walkenhorst entschied sich mit ihrer Partnerin und heutigen Ehefrau Maria Kleefisch für die Abgeschiedenheit Dänemarks. „Mir tat das gut, das Handy auszuschalten und niemanden sehen zu müssen“, sagt sie.
Olympiasieg war nachhaltig
Was bleibt von einem Olympiasieg? Eine gewisse Nachhaltigkeit habe der Titel zweifelsohne, sagen beide. Die vielen Talkshowauftritte, das gesteigerte Interesse von Sponsoren, die Wahl zu Deutschlands „Mannschaft des Jahres“ – all das wäre ohne die magische Nacht von Rio nicht möglich gewesen.
„Wir waren zwar auch gemeinsam Welt- und Europameister, aber der Olympiasieg ist das, was die Menschen in Erinnerung behalten“, sagt Kira Walkenhorst. Zwar sei das Interesse der Öffentlichkeit irgendwann abgeebbt, aber noch immer werde sie in erster Linie mit dem Rio-Gold in Verbindung gebracht, sagt Laura Ludwig.
„Ich spüre, dass junge Teams noch heute großen Respekt haben, wenn sie gegen mich spielen – bis sie dann gegen mich gewinnen. Aber dann erinnere ich mich daran, dass ich in Rio auf dem Podest auf meine Idole Agatha und Kerri Walsh, die Bronze holten, hinuntergeschaut und gedacht habe: Wow, was geht hier gerade ab?“
Walkenhorst brachte große Opfer
Auf die Frage, ob ein Olympiasieg all die harte Arbeit, die Entbehrungen und Mühen, die die meisten nicht sehen oder nachvollziehen können, wirklich wert ist, antworten beide mit einem deutlichen Ja. Bei Kira Walkenhorst allerdings, die für den Olympiatraum bewusst in Kauf nahm, in relativ gesehen jungem Alter künstliche Kniegelenke eingesetzt bekommen zu müssen, mischen sich nachdenkliche Untertöne in die Antwort.
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„Damals, als die Ärzte mir gesagt haben, worauf es hinausläuft, habe ich das im Kopf gar nicht zugelassen. Heute ist es dort natürlich angekommen, und vielleicht würde ich ohne die Goldmedaille auch anders darüber denken. Aber so ist es weiterhin ein unglaubliches Gefühl, mit harter Arbeit und Disziplin das selbst gesteckte Ziel erreicht zu haben“, sagt sie.
Genau das versuche sie auch ihren Drillingen zu vermitteln, die ihre Ehefrau im Oktober 2018 zur Welt brachte. „Uns ist aber vor allem wichtig, dass sie Spaß am Sport haben, denn der stand auch für mich immer im Vordergrund“, sagt die heute 32-Jährige, die mittlerweile in Borken lebt. Ihre Goldmedaille hat einen Ehrenplatz im Trophäenschrank erhalten, während Ludwig das gute Stück „in irgendeiner Schublade“ aufbewahrt.
Eigene Kinder realisieren den Erfolg
Dass ihre Kinder langsam realisieren, wie erfolgreich die Mutter ist, gefällt Kira Walkenhorst gut. „Sie stellen jetzt Fragen, warum Menschen mit mir Fotos machen wollen, und darüber kommen viele Erinnerungen zurück“, sagt sie. Erinnerungen an eine Zeit, die für sie nicht mehr zurückkommen wird. 2019 hatte Kira Walkenhorst, gepeinigt von chronischen Verletzungssorgen, ihre Karriere beendet. Rio werden die einzigen Olympischen Spiele bleiben, die sie als Aktive erlebte.
Laura Ludwig hingegen, die nach dem Olympiasieg selbst zwei Kinder zur Welt brachte und heute mit der Familie in Halstenbek lebt, kann im kommenden Jahr in Paris mit ihrer neuen Spielpartnerin Louisa Lippmann (28) ihre fünften Sommerspiele erleben. „Natürlich wäre es ein Traum, ein zweites Mal Gold zu holen. Aber das erste Mal wird immer das Größte bleiben“, sagt sie. Ein weiterer Urschrei unter dem Eiffelturm, wo das Olympiaturnier 2024 stattfindet, hätte allerdings etwas.