Dortmund. Sabine Tschäge muss bei der WM in Belgrad das Paradeboot des Deutschen Ruderverbands zum Olympiaticket coachen. Ihr Stil kommt gut an.

Ihre Augen schützt sie, weil die Sonne unbarmherzig auf den Bundesstützpunkt der Riemenruderer am Dortmund-Ems-Kanal hinunterbrennt an diesem Sommertag in Dortmund, mit einer schwarzen Sonnenbrille.

Mehr als ihr Sehorgan allerdings hat Sabine Tschäge nicht zu verbergen, als sie vor der wichtigsten Mission der Saison 2023 gefragt wird, wie sie mit dem immensen Druck umgeht, der auf ihr und ihrer Crew lastet. Bei der WM in Serbiens Hauptstadt Belgrad, die an diesem Sonntag beginnt, muss der Deutschland-Achter der Männer mindestens Rang fünf belegen, um sich direkt für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris zu qualifizieren.

Ruder-WM: Von Platz zwei bis sieben alles möglich

Wer weiß, dass es bei der WM 2022 in Racice (Tschechien) nur zu Rang sieben langte, kann die Schwere dieser Aufgabe ermessen. Angst jedoch, sagt Sabine Tschäge, wäre ein ganz schlechter Berater. „Wir wissen, dass wir es können“, sagt die 53-Jährige.

Von Platz zwei hinter dem als kaum schlagbar geltenden Titelverteidiger Großbritannien bis Rang sieben sei alles möglich, „wir schielen auf eine Medaille und sind uns sicher, dass wir das Potenzial haben, das Olympiaticket zu lösen.“

Tschäge, geboren in Duisburg, wohnhaft in Mülheim an der Ruhr, ist seit Oktober vergangenen Jahres Cheftrainerin der männlichen Riemer. Das sind die Athleten, die ein Ruder mit beiden Händen bedienen – im Gegensatz zu den Skullern, die zwei Ruder bearbeiten.

Tschäge setzt auf Kommunikation

Seit im März der lange schwelende Konflikt mit Achter-Bundestrainer Uwe Bender in dessen Versetzung in den Innendienst gipfelte, trägt sie auch die Verantwortung für das deutsche Paradeboot – als erste Frau. Was das an der Führung verändert hat, will sie nicht beantworten, das müsse man die Sportler fragen.

„Das Klischee, dass Männer mit harter Hand geführt werden müssen, ist doch längst überholt“, sagt der Hamburger Torben Johannesen (28/RC Favorite Hammonia), der seit 2017 zur Stammbesetzung zählt. „Sabine ist wichtig, dass viel geredet wird, sie hält oft Rücksprache und geht auf individuelle Bedürfnisse ein. Das ist für uns neu und ein Schritt in die richtige Richtung.“

Johannesen: „Richtig gute Trainerin“

Tschäge, die vor ihrer aktuellen Aufgabe den Vierer ohne Steuermann trainierte und bei Olympia in Tokio mit dem leichten Doppelzweier Silber holte, hält es für den richtigen Weg, die Athleten als gleichrangige Partner zu behandeln. „Sie sind alle mündige Sportler, die viele persönliche Erfahrungen mitbringen. Im Konsens erzielt man die besten Ergebnisse“, sagt sie.

Was nicht heißen solle, dass in der Sache nicht hart diskutiert werde. Dass sie das kann, bestätigen viele, die mit ihr zu tun hatten. Wer die mit ihren 1,63 Metern Körperlänge zwischen den acht Kraftprotzen manchmal fast verschwindende Übungsleiterin unterschätze, begehe einen schweren Fehler. „Sie ist sehr direkt, handlungsstark und vor allem eine richtig gute Trainerin“, sagt Torben Johannesen.

Entspannung auf Fahrradtouren

In den vergangenen Monaten hat die Crew, zu der aus Hamburg neben Johannesen auch dessen Vereinskollege Benedict Eggeling (24) und Marc Kammann (26/Hamburger und Germania RC) zählen, vor allem daran gearbeitet, Abläufe zu stabilisieren und den Rennrhythmus zu verbessern.

„Wir waren bei den Weltcups in Varese und Luzern vorn dabei, in Varese konnten wir uns mit Bronze belohnen. Aber das Zusammenspiel im Achter, wie man ihn fährt, wenn er richtig unter Dampf ist, das müssen wir weiterhin mit allen zusammenbringen. Dafür fehlen Erfahrungswerte“, sagt die Cheftrainerin.

Für Sabine Tschäge, die auf langen Fahrradtouren oder mit ihrer zweijährigen Nichte, die aktuell in ihrem Haushalt lebt, am besten Entspannung vom Alltagsstress findet, zählt bei der WM nichts anderes als das Olympiaticket. „Wenn wir das holen, ist es eine erfolgreiche WM“, sagt sie.

Zehn Nationen haben gemeldet

Zehn Nationen haben gemeldet, aus den beiden Vorläufen am kommenden Dienstag ziehen die jeweils beiden Besten direkt ins Finale am 10. September ein, der Rest kann sich im Hoffnungslauf zwei weitere Finalplätze sichern. Vizeeuropameister Rumänien, der EM-Dritte Niederlande, die USA, Kanada, Australien, Italien und Deutschland – alle seien auf Augenhöhe.

Was aber, wenn es nichts wird? Wenn sie in Belgrad und bei der Nachqualifikation im Mai 2024 in Luzern erfolglos bleiben und Olympia erstmals seit 2000 in Sydney ohne deutschen Männerachter stattfindet? Sabine Tschäge schiebt die Sonnenbrille auf die Stirn. „Daran verschwende ich keinen Gedanken“, sagt sie, und ihr Blick verrät, dass das stimmt.