Hamburg. Ruderweltmeister Oliver Zeidler spricht über seinen Erfolgsweg, sein Image als „Maschine“ und warum Deutschland kein Sportland ist.
Deutschlands aktuell erfolgreichster Ruderer hat in dieser Woche einen besonderen Termin. Bei der traditionsreichen Henley-Regatta auf der Themse, die von diesem Mittwoch bis zum Sonntag ansteht, feilt Oliver Zeidler an seiner Form.
Schließlich will der 26-Jährige aus Dachau beim Saisonhöhepunkt, der WM in Serbiens Hauptstadt Belgrad vom 3. bis 10. September, nicht nur seinen Titel im Einer erfolgreich verteidigen, sondern auch seine Vormachtstellung auf dem Weg zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris zementieren.
Im Abendblatt-Gespräch erklärt der examinierte Steuerberater, warum sein Weg zum Erfolg führt, wieso er gern sein Selbstbewusstsein zur Schau stellt – und was Deutschland zu einem Sportland fehlt.
Herr Zeidler, neben Ihrer Einer-Kollegin Alexandra Föster sind Sie aktuell der einzige deutsche Ruderer, der bei internationalen Events Gold gewinnen kann. Wie gefällt Ihnen die Rolle als Alleinunterhalter?
Oliver Zeidler: Mittlerweile fühle ich mich damit sehr wohl. Mein Motto war immer schon, dass sich die Mühen, die das harte Training kostet, lohnen sollen, dass ich aber auch Spaß haben möchte. Die Erwartungshaltung und den Druck von außen lasse ich gar nicht mehr an mich heran. Im Gegenteil, ich empfinde es sogar als schön, dass von mir so viel erwartet wird.
Das war nicht immer so. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, als Sie vollkommen überraschend den Endlauf verpassten, und bei der Heim-EM 2022 in München, als Sie als Favorit Vierter wurden, wirkten Sie fast so, als würden Sie daran zerbrechen. Was haben Sie daraus gelernt?
Dass es keinen Sinn ergibt, sich zu sehr unter Druck zu setzen. Tokio war wegen der Bedingungen ein Sonderfall, aber bei der Heim-EM wollte ich unbedingt den Titel. Wenn du weißt, dass die meisten der Zuschauer nur wegen dir kommen, kann das durchaus hemmend wirken. Es ist alles eine Kopfsache, und ich habe gelernt, dass ich bei so etwas cooler bleiben muss.
Zeidler arbeitet mit Sportpsychologin
Es reicht nicht, sich das nur vorzunehmen. Wie haben Sie das umgesetzt bekommen?
Ich arbeite seit nach der EM in München mit einer Sportpsychologin. Sie war sehr froh, dass ich mich gemeldet habe, weil sie eigentlich schon nach Tokio damit gerechnet hatte. Ich habe verstanden, dass ich in diesem Bereich noch viel Nachholbedarf und einige Luft nach oben habe. Dinge, die den Kopf belasten, besser zu verarbeiten, ist ein Feld, auf dem ich viel herausholen kann. In anderen Ländern ist man da seit vielen Jahren deutlich weiter.
Tatsächlich wirken Sie schon seit einigen Jahren mental durchaus stabil, Sie strahlen, sicherlich auch dank Ihrer körperlichen Voraussetzungen, eine Siegessicherheit aus, die einschüchternd wirken kann. Ist das Show oder Ihre wahre Persönlichkeit?
Ein Stück weit gehört Show zum Leistungssport dazu. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei der WM im vergangenen Jahr habe ich im Viertelfinale gegen den Niederländer Marvin Twellaar verloren, der mich schon bei der EM geschlagen hatte. Bis zur 1000-Meter-Marke war es ein starkes Rennen. Dann wusste ich, dass ich es drauf habe, ihn zu schlagen, und habe bewusst abreißen lassen, um die Erwartungshaltung zu drücken und ihn in Sicherheit zu wiegen. Im Finale war ich dann vorn. Ich spiele solche Spielchen gern, aber ich brauche die Gewissheit, dass ich die Kontrolle habe.
Gefällt Ihnen Ihr Image, ein Sportler zu sein, der wie eine Maschine seine Leistung abruft und niemals an sich selbst zweifelt?
Ja, denn es entspricht dem, was ich darstellen möchte. Ich will ausstrahlen, was ich kann und wer ich bin. Gerade im Einer braucht man diese Mentalität, dieses Selbstbewusstsein. In einem Finale sind alle dafür gemacht, um zu gewinnen. Wer da vorn landen will, braucht die meiste Überzeugung, es wirklich zu schaffen. Wer zweifelt, hat schon verloren. Mir macht es Freude, das zu verkörpern.
Zeidler akzeptiert mittlerweile auch Niederlagen
Wie verkraften Sie es denn dann, wenn Sie nicht vorn liegen? Bei der EM in diesem Jahr schienen Sie mit Bronze durchaus zufrieden zu sein. Wie passt das zu Ihrem Image?
In jeder Karriere gibt es Höhen und Tiefen, das habe ich gelernt zu akzeptieren. Das Ziel für diese Saison ist, den WM-Titel erfolgreich zu verteidigen und mich für Olympia zu qualifizieren. Die EM fand in diesem Jahr Ende Mai und damit zu einem so frühen Zeitpunkt statt, dass ich gar nicht auf Toplevel performen konnte. Andere messen der EM einen anderen Stellenwert bei. Da kann ich dann auch mal mit dem dritten Platz zufrieden sein, zumal die Bedingungen in Bled auch denkbar ungünstig für mich waren.
Womit wir bei einem Thema wären, das Sie seit Ihrem Wechsel vom Schwimmen zum Rudern im Jahr 2017 begleitet: Es gibt Menschen, die behaupten, Sie könnten noch immer nicht richtig rudern, was sich insbesondere bei komplizierten Bedingungen zeige. Was antworten Sie diesen Menschen?
Dass ich zunehmend das Gefühl habe, dass ich das Rudern vollumfänglich beherrsche. Man sagt, dass es sechs Jahre dafür braucht, es zu erlernen. Ich hatte von Anfang an ein gutes Boots- und Wassergefühl, aber natürlich hatte ich technisch und taktisch Rückstände gegenüber denen, die zehn Jahre länger rudern als ich. Wenn ich Messboot fahre, sind alle von den Leistungskurven begeistert. Ich werde Stück für Stück besser. In Tokio hatte ich bei ähnlichen Bedingungen wie in Bled zwei Bootslängen Rückstand, bei der EM waren es nur ein paar Zentimeter.
Wo liegt Ihr Entwicklungspotenzial?
Darin, mich voll auf den Sport zu fokussieren. In diesem Jahr arbeite ich noch recht viel in meinem erlernten Beruf. Im kommenden Jahr werde ich alles auf Olympia fokussieren. Das wird einen weiteren Schub geben. Ich werde dieses Jahr vieles ausprobieren, weil ich noch auf der Suche nach dem Generalschlüssel bin, der es mir ermöglicht, auch an schlechten Tagen mindestens eine Medaille zu machen. Alle Olympiasieger hatten zudem einen „Signature Move“, der sie kennzeichnete. Da bin ich noch auf der Suche.
Professionelle Strukturen auf Weltklasseniveau
Gefunden haben Sie aber immerhin Ihren persönlichen Erfolgsweg, Sie setzen auf Training abseits der Stützpunkte, gemeinsam mit Ihrem Vater Heino. Warum ist das für Sie der richtige Weg?
Weil wir so genau das tun können, was wir für das Richtige halten. Viele erkundigen sich bei mir danach, wie wir arbeiten, und ich habe schon sehr viele große Augen gesehen, weil das, was wir tun, an den Stützpunkten nicht möglich ist. Mein Vater und ich haben da eine Vorbildfunktion, wir haben professionelle Strukturen auf Weltklasseniveau geschaffen, auf dem unsere Stützpunkte nicht mithalten können. Ich fühle mich damit sehr wohl. Vom Verband brauche ich nicht mehr, als zu den internationalen Regatten nominiert und bei den Reisekosten unterstützt zu werden. Wenn man dann noch meinem Vater in den Trainersitzungen Gehör schenkt, bin ich rundum zufrieden.
Sie haben Kritik am Deutschen Ruderverband schon mehrfach geäußert, sowohl offen als auch intern. Sehen Sie, dass das Früchte getragen hat?
Sicherlich nicht in dem Maß, wie ich es erhofft hatte. Das Problem ist, dass meine Kritik an den Strukturen sowohl vom Verband als auch vom Deutschen Olympischen Sportbund nicht so gut aufgenommen wurde. Es kam so rüber, dass ich mich beklagen wollte. Aber mir ging es in erster Linie darum, die Unzufriedenheit, die im gesamten Team herrschte, zu verbalisieren, damit man sich im Verband nicht einfach wegduckt, weil keiner was sagt. Leider sind auch die Athletenvertreter an den Themen nicht so drangeblieben, wie es notwendig gewesen wäre. Das frustriert mich, denn ich habe viel Zeit und Herzblut investiert, da ist es sehr schade, wenn so etwas keine Früchte trägt.
Was wären denn Veränderungen, die Sie für sinnvoll erachten würden?
Ich bin kein Freund der Zentralisierung. Aber ich hielte es für hilfreich, wenn die besten deutschen Ruderer öfter gegeneinander antreten würden, als ständig irgendwelche Time Trials zu fahren. 2018, als es mit Tim Ole Naske und mir zwei gleichwertige Rivalen gab, hat uns beide diese Situation angespornt und besser gemacht. Durch die Zentralisierung machen wir uns die nationale Konkurrenz komplett kaputt, da die Boote nach den deutschen Meisterschaften fest besetzt werden und keine Chance mehr für andere besteht. Dadurch beenden viele Talente wegen fehlender Perspektive ihre Karriere und es fehlt am täglichen Kräftemessen, das die Zentralisierung eigentlich erlauben sollte. Die Begründung, dass sich die Boote erst einfahren müssen, lasse ich nicht durchgehen, da gerade deshalb ja die Athleten dauerhaft vor Ort sind, um sich durchgehend zusammen ins Boot zu setzen, was aber offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt ist.
Zeidler fühlt sich als Teil des Teams
Vermissen Sie manchmal in Ihrem Dasein als Einzelgänger das Team?
Absolut! Schwimmen habe ich einige Jahre nur weitergemacht, weil es mir mit dem Team dahinter so viel Spaß gemacht hat. Ich würde es schon feiern, wenn das Mannschaftsgefüge mehr zum Tragen käme. Auf den internationalen Regatten spüre ich, wie sehr ich mich als Teil der Mannschaft verstehe.
Dennoch sagen Sie auch offen, dass Sie das Förderprinzip der Dachverbände nicht nachvollziehen können. Sie plädieren dafür, nicht mit der Gießkanne alle zu benetzen, sondern die Erfolgreichen stärker zu fördern. Warum?
Weil ich an das Leistungsprinzip glaube. Meine Überzeugung ist, dass wir in Deutschland zu wenig nach dem Output schauen und zu wenig individuell auf die Bedürfnisse der Athleten eingehen. Der Unterschied zwischen einem normalen Bundeskaderathleten und mir beträgt aktuell rund 400 Euro. Honoriert das den Erfolg, den ich habe, angemessen?
Ist das nicht ein generelles Problem in Deutschland, dass Leistungssport nicht ausreichend honoriert wird? Lohnt sich Leistung im deutschen Sport tatsächlich?
Ich kann aus meiner Erfahrung sagen: auf keinen Fall! Ich bin Weltmeister, der Beste in meiner Disziplin. Auf mein Leben hat das überhaupt keine Auswirkungen. Leistung im Sport wird in Deutschland nicht ansatzweise so anerkannt, wie es in vielen anderen Ländern der Fall ist. Für das Geld, das ich verdiene, würden viele ihre Finger nicht krumm machen.
Zeidler fordert: Rentenloch stopfen
Was ließe sich verbessern? Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob Sportlern während ihrer aktiven Zeit staatliche Beiträge für die Rentenkasse gezahlt werden sollen. Eine Reform der Leistungssportreform mit einer eigenständigen Leistungssport-AG ist ebenfalls in der Mache. Reicht das?
Es wäre doch wohl das Mindeste, das Rentenloch zu stopfen, das entsteht, wenn Sportler zehn, 15 Jahre keinen Beruf ausüben können. Was ich im deutschen Sport vermisse, ist ein klarer Plan, wie wir das zweifelsohne vorhandene Geld sinnvoller einsetzen können. Wir müssen doch nur in die Länder schauen, die uns kontinuierlich den Rang ablaufen.
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Die gesellschaftliche Anerkennung des Leistungssports kann allerdings auch die Politik nicht verordnen.
Das stimmt, die muss aus der Bevölkerung selbst kommen. Events wie die European Championships in München im vergangenen Jahr zeigen uns doch, dass die Begeisterung lebt. Sie muss nur wieder hervorgehoben werden, indem wir den Blick über den Fußball hinaus weiten und Menschen mit Sport in Berührung bringen. Im Winter übertragen ARD und ZDF am Wochenende ganztags Sport. Das muss im Sommer auch möglich sein. Und ich hoffe sehr, dass sich Deutschland zu einer neuen Olympiabewerbung durchringt. Die würde einen wichtigen Schub geben.
Ist die Bedeutung, die Olympischen Spielen beigemessen wird, noch zeitgemäß? Sie selbst haben erfahren, wie dieser Druck auch lähmen kann.
Dennoch finde ich es richtig. Ich habe es bislang erst einmal miterlebt, unter unnormalen Corona-Bedingungen ohne Zuschauer. Dennoch war es die emotionalste Regatta meines Lebens. In Tokio ist mir klar geworden, dass Sportarten wie Rudern die Bühne Olympia brauchen. Wir haben jedes Jahr eine WM, aber wenn wir nur die hätten, würden wir in unserer Nische untergehen. Der Wert von Olympia ist ungebrochen.
Das heißt also, Sie planen schon für Paris, und diese Saison ist Durchgangsstation?
Bei der WM muss ich mindestens Neunter werden, um es nach Paris zu schaffen. Das sollte machbar sein. Und dann will ich mir im nächsten Jahr holen, was mir in Tokio verwehrt geblieben ist.