Mönchengladbach. Die deutschen Hockeydamen müssen bei Heim-EM nach dem Halbfinal-0:1 gegen Belgien konstatieren, dass es ihnen an Variabilität fehlt.

Alles ist angerichtet für ein großes Hockeyfest. Die ARD, die im linearen TV live überträgt, kommt mit mehreren Kamerateams und rund 65 Mitarbeitenden. Der Mönchengladbacher Hockeypark ist mit 9500 Fans ausverkauft, und auch das Wetter soll nach dem freitäglichen Gewitter und Starkregen stabil bleiben.

Das einzige Problem: Die deutschen Hockeydamen können an diesem Sonnabend nicht das bieten, wofür sie zur ersten Heim-EM seit 2011 angetreten waren. Anstatt sich um 14.45 Uhr zum dritten Mal in Serie mit Titelverteidiger, Weltmeister und Olympiasieger Niederlande um den kontinentalen Titel zu duellieren, wartet um 12.15 Uhr das Spiel um Platz drei gegen England auf die Auswahl von Bundestrainer Valentin Altenburg.

Hockeydamen: Bronze zählt nur bei Olympia

„Das ist maximal bitter. Bronze zählt nur bei den Olympischen Spielen etwas“, sagte Mittelfeldregisseurin Anne Schröder vom Club an der Alster nach der 0:1-Halbfinalniederlage gegen Belgien am späten Donnerstagabend brutal ehrlich auf die Frage nach der Motivation für ein Spiel, das im deutschen Lager weder irgendjemand gewollt noch erwartet hatte.

Nach der makellosen Vorrunde mit drei Siegen und 14:0 Toren schien manchen der Einzug ins Traumfinale nur noch Formsache. Entsprechend hart war die Landung auf dem Boden der Realität. Die Gefühle, die diese Niederlage hervorrief, changierten allerdings innerhalb des Teams.

Ratlosigkeit, Trauer und Wut

Während die Düsseldorfer Defensivstrategin Selin Oruz Ratlosigkeit ausstrahlte („Ich habe einfach keine Erklärung für dieses Ergebnis.“) und der Bundestrainer „in erster Linie traurig“ darüber war, „dass wir hier ohne Tor aus diesem Halbfinale gehen und sich die Mannschaft für ihre Entwicklung innerhalb der vergangenen Monate nicht belohnt“, war die Kölner Kapitänin Nike Lorenz vor allem wütend.

„Es ist unglaublich bitter, weil wir uns spielerisch nichts vorwerfen können und uns wieder nur das Quäntchen Glück gefehlt hat“, sagte sie. Das Hadern war verständlich angesichts einiger umstrittener Schiedsrichterentscheidungen.

Ärger über Schiedsrichterentscheidungen

Das Tor der Belgierinnen durch Emily White war diskutabel, weil die Angreiferin bei ihrem Rückhandkracher verbotenerweise die runde Schlägerseite eingesetzt haben könnte. Videobilder, die das hätten aufklären können, wurden weder von den Spielleiterinnen noch vom deutschen Team angefragt. Auch die Szene mit dem Schlusspfiff, als Deutschland trotz Videobeweises eine vertretbare Strafecke verwehrt wurde, hätte mit etwas Glück anders ausgelegt werden können.

Zur Wahrheit gehörte allerdings auch, dass den deutschen Damen über die gesamten 60 Minuten in der Offensive die Ideen fehlten, um die mit zehn Spielerinnen am eigenen Schusskreis mauernden Belgierinnen entscheidend auszuhebeln.

Großer Frust bei Stapenhorst

„Es stimmt schon, dass uns in manchen Szenen die letzte Überzeugung gefehlt hat“, sagte Anne Schröder. Einzig die Berlinerin Charlotte Stapenhorst hatte Ende des ersten Viertels, als sie am langen Pfosten eine Hereingabe nicht über die Linie drücken konnte, und zu Beginn des Schlussabschnitts, als ihr Rückhandschuss vom rechten Innenpfosten ins Feld zurücksprang, klare Torchancen. Kein Wunder, dass die 28-Jährige nach Spielende den größten Frust schob.

„Das ist für mich persönlich die bitterste Niederlage meiner Karriere“, sagte die langjährige Bundesligaspielerin des Uhlenhorster HC, „vor allem den ersten mache ich normalerweise im Schlaf.“ Die vielen vergeblichen Anläufe, nach Olympiabronze 2016 in Rio Titel zu gewinnen, seien durchaus kraftraubend, gab sie offen zu. „So langsam schwindet die Überzeugung, dass wir uns in großen Turnieren irgendwann noch mal belohnen.“

Diskussion über mentale Komponente

Damit hat die Frage, ob das vielfältige Scheitern der deutschen Hockeydamen in K.-o.-Spielen auch eine mentale Komponente hat, neue Nahrung erhalten. Der Hamburger Bundestrainer, seit Januar 2022 im Amt, kann die Diskussionen nachvollziehen, „die Ergebnisse auf der Anzeigetafel sind ja nicht wegzudiskutieren“, dennoch warnte er davor, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

„Im Vergleich zu den ersten beiden K.-o.-Spielen bei der WM 2022 waren wir heute ganz stark im Handlungsmodus und haben ganz viel von dem umgesetzt, was wir geplant hatten. Wir tun deshalb gut daran, die Entwicklungsschritte zu sehen und die mentale Diskussion nicht aufzumachen.“

Tatsächlich ähnelte die Partie gegen Belgien fatal dem WM-Viertelfinale von 2018, als sich eine deutsche Mannschaft, der Titelchancen zugestanden worden waren, beim 0:1 an Spaniens Defensive ähnlich kräftig die Zähne ausbiss wie am Donnerstagabend.

Belgien exekutiert Matchplan perfekt

Belgien hatte mit dem Führungstor nach nicht einmal zwei Minuten seinen Matchplan, die Deutschen ins Handeln zu zwingen und aus einer massierten Defensive über Konter gefährliche Nadelstiche zu setzen, perfekt exekutiert. Einen Spielanspruch hat das körperlich aggressive Team nicht; und genau daran, solche Gegner, die nicht mitspielen wollen, mit einem neuen Matchplan zu bezwingen, wird Altenburg in den kommenden Monaten arbeiten müssen.

Der Weg, sich im Januar 2024 bei einem Qualifikationsturnier in Spanien oder China das Ticket für die Olympischen Spiele in Paris zu sichern, dürfte genau solche Herausforderungen bereithalten. „Wir müssen Werkzeuge entwickeln, um gegen solche Gegner zu bestehen“, sagte Anne Schröder, die, wie ihre Teamkolleginnen und der für seine Eloquenz bekannte Bundestrainer, im Moment der bitteren Niederlage Größe zeigte und selbstkritisch analysierte.

Mit Anstand verlieren zu können, auch das trennt im Sport die Besten von den Guten, auch wenn die deutschen Hockeydamen sicher auf die eine oder andere Lehrstunde in dieser Disziplin gern verzichtet hätten.

Kein Hängenlassen gegen England

Sorgen, dass sich die Mannschaft gegen die bei dieser EM erschreckend schwachen Engländerinnen, die im Halbfinale beim 0:7 von den Niederlanden überrollt wurden und das Gruppenspiel gegen Deutschland 0:5 verloren hatten, hängen lassen könnte, müsse sich niemand machen, bekräftigte Anne Schröder. „Das Publikum wird uns tragen, und wir sind es uns selbst und allen, die uns unterstützen, schuldig, noch einmal alles rauszuhauen.“

Auch der Bundestrainer glaubt, dass das gelingen wird. „Es sollte immer das Ziel sein, das letzte Spiel eines Turniers zu gewinnen“, sagte er. Auch wenn es nicht das Spiel ist, auf das alle hingefiebert haben.