Mönchengladbach. 14:0 Tore in der EM-Gruppenphase sind das Ergebnis disziplinierter Defensivarbeit. Im Halbfinale gegen Belgien wartet ein Härtetest.

Sie könnte im eigenen Bett schlafen, schließlich erlebt Julia Sonntag in dieser Woche eine Heim-EM, wie sie klassischer nicht sein könnte. Beim Gladbacher HTC lernte sie das Hockeyspielen, sie lebt in Mönchengladbach, hat hier ihre eigene Zahnarztpraxis.

Aber die Frau, die einen wichtigen Teil zur besten EM-Vorrunde seit der Premiere des Wettbewerbs 1984 beigetragen hat, meldet sich am spielfreien Mittwoch aus dem Teamhotel der deutschen Hockeydamen, wenige Kilometer vom Sparkassen-Park entfernt – und versprüht eine Laune, die nur eine Torhüterin versprühen kann, die in drei Gruppenspielen ohne Gegentreffer geblieben ist.

14:0 Tore in drei Gruppenspielen

„Die Defensive sieht perfekt aus, die Bilanz ist super“, sagt die 31-Jährige, die im Kader von Bundestrainer Valentin Altenburg als einzige der 18 Akteurinnen der Ü-30-Fraktion zuzurechnen ist. Wenn die Weisheit stimmt, dass die Offensive Spiele gewinnt, die Defensive aber Meisterschaften, dann darf Hockey-Deutschland mit einigem Recht angesichts von drei Siegen mit 14:0 Toren auf den ersten EM-Titel seiner Damen seit 2013 hoffen.

Umso wohltuender war am Dienstagabend nach dem 5:0-Erfolg über Irland zu hören, dass Mannschaft und Trainer die in der Vorrunde gezeigten Leistungen einzuordnen wissen. Bei aller Euphorie darüber, erstmals seit 2017 wieder alle EM-Gruppenspiele gewonnen und ein Torverhältnis herausgeschossen zu haben, das einzig 1984 mit 18:0 in allerdings fünf Partien getoppt werden konnte, sagte die Hamburger Abwehrchefin Viktoria Huse vom Club an der Alster: „Das alles nützt uns gar nichts, wenn wir jetzt im Halbfinale gegen Belgien verlieren.“

Bundestrainer hofft auf Sternstunde

Dieses Halbfinale steht an diesem Donnerstag (20 Uhr/sportschau.de) an, und als der Bundestrainer gefragt wurde, ob er die 14 geschossenen oder die null gefangenen Tore höher bewerte, sagte er: „Ich würde das nicht priorisieren, denn gegen Belgien ist beides gleich wichtig. Wir brauchen eine Sternstunde, um ins Finale zu kommen, aber wir haben für diese Sternstunden trainiert.“

Tatsächlich jedoch ist die defensive Stabilität, die die Vizeeuropameisterinnen von 2019 und 2021 im Verbund auf den Kunstrasen bringen, beeindruckend. Julia Sonntag macht dafür in erster Linie die Verbesserungen im Gegenpressing verantwortlich.

Gegenpressing als Erfolgsrezept

„Wie schnell wir bei Ballverlust Druck auf Ball und Gegner bringen und so Konter unterbinden, das ist wirklich stark“, sagt Julia Sonntag. Genau das wird gegen die physisch extrem aggressiven und konterstarken Belgierinnen, die sich anschicken, den seit Jahren in der Weltspitze dominanten belgischen Herren nachzueifern, das Rezept zum Weiterkommen sein.

Viktoria Huse hat als weiteren Erfolgsfaktor ausgemacht, „dass wir krass diszipliniert verteidigen und alle athletisch in der Lage sind, die Wege rückwärts zu machen, was die meisten Gegner vor Probleme stellt“, so die 27-Jährige.

Ihre Partnerin in der Innenverteidigung, Linnea Weidemann vom Berliner HC, sagt: „Ich spüre, wie wichtig es ist, dass wir in dieser Formation schon länger zusammenspielen. Dadurch wird die Abstimmung immer besser und es ist einfacher, die Vorderleute zu stellen. Ich glaube, dass wir große Fortschritte in unserem Zusammenspiel gemacht haben.“

Sonntag ist klare Nummer eins

Eine wie Linnea Weidemann, mit 19 die jüngste Spielerin im Kader, sei ein gutes Beispiel für die Qualität der Defensive, findet Julia Sonntag. „Sie spielt schon sehr reif, braucht keine besondere Ansprache. Egal, wer vor mir verteidigt, alle wissen um ihre Aufgaben und sind voll konzentriert“, sagt die Torhüterin, die vom Bundestrainer als klare Nummer eins den Vorzug vor Noelle Rother (26/Uhlenhorster HC) bekommen hat.

Ganz ohne mahnende Worte will sie die Mannschaft zwar nicht in den Halbfinal-Showdown schicken, doch die Heim-EM-Party soll erst am Sonnabend mit dem Finale ihr Ende finden. „Wir dürfen nicht denken, dass das jetzt immer ohne Gegentor weitergeht“, sagt sie, „aber wenn wir geduldig bleiben und unsere Qualitäten abrufen, dann kriegen wir die Aufgabe Belgien gelöst.“