Essen. Interview mit Eishockey-Star Draisaitl und Hockey-Weltmeister Wellen über die familiäre Bande, ungleichen Ruhm und die EM in Gladbach.
Sie sind eng miteinander verbandelt, aber im Moment liegt ein Ozean zwischen ihnen. Die Verbindung nach Krefeld und Kanada steht, per Video sind zugeschaltet: Niklas Wellen (28) und Leon Draisaitl (27). Der eine Hockey-Weltmeister, der andere der deutsche Superstar in der NHL, der besten Eishockey-Liga der Welt. Zwei herausragende Sportler, familiär miteinander verbunden, weil Leon Draisaitls Schwester Kim die Lebensgefährtin von Niklas Wellen ist. Im Januar, als er die deutsche Nationalmannschaft in Indien zum dritten WM-Titel schoss, wurde Niklas Wellen während eines Spiels erstmals Vater. Ein Gespräch darüber, was der kleine Carlo sich in der frühkindlichen Sportorientierung von beiden abgucken kann, wie jeweils große Erfolge unterschiedlich wahrgenommen werden und was Leon Draisaitl Niklas Wellen für die Hockey-EM wünscht, die am Freitag, 18. August, in Mönchengladbach beginnt.
Hand aufs Herz, wer wird sich bei Söhnchen Carlo mit seiner sportlichen Neigung durchsetzen – Papa Niklas oder Onkel Leon?
Niklas Wellen: Das soll er später selbst entscheiden, wir werden ihn in keine Richtung drängen.
Leon Draisaitl: Ganz klar: Er geht zum Eishockey. (lacht)
Wellen oder Draisaitil – wer hat mehr Einfluss auf den kleinen Carlo?
Können Sie besonders Einfluss auf Ihre Schwester Kim, die Mutter von Carlo, nehmen?
Leon Draisaitl: Ehrlich gesagt: nein. Das ist Sache von Niklas, Kim und dem Kleinen.
Ein Kompromiss wäre zunächst, ihn in ein Trikot des Crefelder HTC zu stecken und ihm eine Mütze der Edmonton Oilers aufzusetzen.
Niklas Wellen: Das Coole ist, dass Carlo uns beide noch ein bisschen in Aktion sehen wird. Also mich auf jeden Fall noch in der Bundesliga, Leon wird hoffentlich auch weiter drüben aktiv sein. Möglich, dass die NHL und das ganze Drumherum um Leon Carlo ein bisschen mehr packen werden – aber er wird hier in Krefeld täglich von Feldhockey umgeben sein. Ich bin mir sicher: Er wird Fan von beidem. Ein Oilers-Trikot hat er auf jeden Fall schon, es passt ihm nur noch nicht.
Leon Draisaitl: Der Junge wird einiges an Talent mitbringen, verschiedene Sportarten ausprobieren – und am Ende mit viel Spaß bestimmt auch Erfolg haben.
Die Namen Wellen und Draisaitl stehen jeweils für Topathleten in ihren Sportarten. Haben Sie, Herr Wellen, Leon eigentlich schon mal mit auf den Kunstrasen genommen?
Leon Draisaitl: (lacht) Die spielen doch falschherum, das könnte doch nichts geben.
Stimmt, Feldhockeyspieler haben immer die linke Hand oben am Schläger, im Eishockey geht beides, Sie spielen mit der rechten Hand oben.
Niklas Wellen: Er war mal mit bei einem Länderspiel. Da sind wir unfassbar verdroschen worden, 0:8 gegen Belgien, die höchste Pleite, die Deutschland je kassiert hat im Hockey.
Leon Draisaitl: Ihr wart wirklich nicht vom Glück verfolgt (lacht).
Niklas Wellen: Ein anderes Spiel hast du nicht von uns gesehen?
Leon Draisaitl: Leider nein. Aber was mir da trotzdem klar wurde: Hockey sieht am Fernseher immer viel einfacher aus, als wenn man mal ein Spiel direkt am Platz verfolgt. Wie schwierig das sein muss, sich in Zweikämpfen mit Koordination und Schnelligkeit durch so viele Jungs zu spielen. Respekt.
Was Leon Draisaitl und Niklas Wellen aneinander schätzen
Da lobt ein Star aus der rasantesten Sportart der Welt die Schnelligkeit beim Hockey, Herr Wellen.
Niklas Wellen: Was ich am Eishockey so krass finde, ist die körperliche Komponente. Mein Sport ist ein Tick filigraner – aber wie man auf dem Eis angegangen wird, wie viel Kraft man aufwenden muss, um sich technisch sauber durchzusetzen und dann aufs Tor zuzufahren, finde ich genauso beeindruckend.
Talent und Fleiß sind Voraussetzungen – was braucht man aber, um als Athlet ganz in die Spitze vorzudringen?
Leon Draisaitl: Sehr viel. Das Talent bringt dich bis zu einem gewissen Punkt – ab dann geht es nur noch mit ganz viel Arbeit nach ganz oben. Man darf dann nur nicht den Spaß verlieren – den muss sich jeder, so gut es geht, beibehalten. Wir fangen alle mit vier oder fünf Jahren einen Sport an, weil der uns Freude bereitet, nicht weil wir dann schon der Beste der Welt sein wollen. Wenn man zu schnell verkrampft, gerät man schnell an sein Limit.
Niklas Wellen: Die mentale Komponente ist nicht zu unterschätzen. Was auf einen NHL-Spieler von außen einprasselt, ist viel mehr, viel krasser, viel aggressiver als bei uns – im Positiven wie im Negativen. Damit richtig umzugehen, ist schwierig. Wir haben die längste Zeit des Jahres nicht diesen Druck, machen uns nicht die Gedanken – haben dann aber zum Höhepunkt bei einem Turnier wie Olympischen Spielen, einer WM oder EM die volle Aufmerksamkeit.
Sie spielen beide im Angriff – welche Fähigkeiten beziehungsweise Eigenschaften vom jeweils anderen können Sie sich abschauen?
Leon Draisaitl: Ich würde auf jeden Fall sagen: die Kaltschnäuzigkeit, die Niklas speziell bei der WM in Indien gezeigt hat. Das ist im Groben das gleiche wie bei uns.
Niklas Wellen: Leon beeindruckt mich im Umgang dem Hype um ihn. Da ist der Aufstieg des kleinen Jungen aus Köln, der vor drei Jahren MVP, also wertvollster Spieler der NHL, wurde. Man sieht ja bei manchen Fußballern, wozu viel Geld und Aufmerksamkeit führen. Wir können auf dem Platz oder auf dem Eis wenig voneinander abschauen. Was wir beide haben, ist die gute Einstellung zu hartem Training, zu harter Arbeit in der Freizeit.
Herr Wellen, Sie waren bester Spieler im Team des Weltmeisters und des ganzen Turniers. Herr Draisaitl, Sie gelten in der NHL als der German Gretzky, waren Torschützenkönig und MVP. Große Erfolge für beide – aber mit maximal unterschiedlicher Popularität und öffentlicher Anerkennung zur Folge.
Leon Draisaitl: Niklas und ich, wir spielen auf dem gleichen Level – nur in unterschiedlichen Sportarten. Eishockey in Kanada ist alles, es ist Wahnsinn. Das ist noch mal ein, zwei Stufen über Fußball in Deutschland. Ich würde mich für das Feldhockey in Deutschland freuen, wenn mit dem WM-Titel und der Heim-EM jetzt über die nächsten Jahre etwas entsteht, der Sport die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Ein volles Stadion in Gladbach wird dem Sport auf jeden Fall sehr guttun.
Niklas Wellen: Dass unsere Spiele in der Bundesliga demnächst beim Streamingdienst Dyn zu sehen sein werden, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wobei wir uns nicht ständig in den Schlaf weinen und denken: Warum bitte berichtet man nicht ausführlicher über uns? In Deutschland ist es für alle Sportarten schwierig, neben dem Fußball wahrgenommen zu werden. Aber wir müssen uns die Aufmerksamkeit auch erarbeiten. Das ist okay so. Der WM-Titel war da schon mal hilfreich – gut, dass jetzt eine Heim-EM ansteht.
Niklas Wellen freut sich auf die Heim-EM in Mönchengladbach
Exakt, die Hockey-EM der Herren und Damen wird in Mönchengladbach ausgetragen. Sind Sie froh, endlich mal ein großes Turnier vor der Familie, den Freunden und Fans zu spielen?
Niklas Wellen: Ich hatte schon viele coole Turniere in den Niederlanden und Belgien, wir haben in Indien vor 20.000 Zuschauern gespielt. Ein Heimturnier hatten wir noch nicht – das wird von der Stimmung her etwas Unglaubliches, all unsere Spiele sind ausverkauft.
Zweimal ging es in Gladbach schon um Titel – 2006 bei der WM, 2011 bei der EM, beide Male siegten die deutschen Herren. Mit welchen Erwartungen geht der Weltmeister in das Turnier?
Niklas Wellen: Es kann kein anderes Ziel geben als den EM-Titel. Das denken sich die Niederlande, Belgien und England aber auch. Wir kommen als amtierender Weltmeister, können aber nicht sagen: Na, dann werden wir halt auch Europameister. Wer die WM im Januar in Indien gesehen hat, weiß, wie knapp die Spiele da waren. Wir wissen aber genau, was wir können werden müssen.
Die Familienplanung hält diesmal nicht als besondere Motivation her, die Sie vielleicht auch bei der WM zu derartigen Leistungen beflügelt hat, oder?
Niklas Wellen: Das brauche ich nicht unbedingt noch mal.
Leon Draisaitl: Wie bitte? (lacht)
Niklas Wellen: Beim nächsten Kind wäre ich gerne im Kreißsaal dabei.
Verständlich. Was hat sich im Team seit dem WM-Titel verändert?
Niklas Wellen: Der Kern der WM-Mannschaft ist geblieben. Der Titel hat uns noch mehr Selbstbewusstsein gegeben, weil wir wissen: Wir haben in diesem Jahr schon alle Gegner besiegt und sind Weltmeister geworden. Aber es hat nach diesem großartigen Erlebnis doch einige Wochen gedauert, bis es mit der Motivation für die EM wieder bergauf ging, da fällt man schon mal in ein Loch. Wir haben aber jetzt auf jeden Fall unsere volle Angriffslust zurück. Der EM-Titel ist allein deshalb schon lohnenswert, weil er die direkte Qualifikation für Paris 2024 bedeuten würde, wir uns ein nerviges Quali-Turnier im Januar ersparen könnten. Also: Volle Attacke!
Herr Draisaitl, Ihre DEB-Kollegen standen bei der letzten WM im Finale, auch ein unglaublicher Erfolg. Aber das Größte im Eishockey bleibt, den Stanley Cup zu gewinnen, oder?
Leon Draisaitl: Ja, wobei es sehr speziell ist und jedem enorm viel bedeutet, mit Deutschland etwas zu erreichen. In der Situation, in der ich mich persönlich und auch mit Edmonton befinde, liegt der Fokus aber auf dem Stanley Cup.
Sie schienen letztes Jahr mit den Oilers dem Titel in der NHL so nah wie nie zuvor, dann das Play-off-Aus im Viertelfinale gegen die Vegas Golden Knights. Wir haben Sie den Frust verarbeitet?
Wie Leon Draisaitl seinen Frust über das NHL-Play-off-Aus verarbeitet hat
Leon Draisaitl: Den Frust habe ich im Sommer hauptsächlich an Niklas ausgelassen.
Großer Gott, was haben Sie mit ihm gemacht?
Leon Draisaitl: Natürlich nur in allen möglichen Sportarten.
Niklas Wellen: Aber auch da war er weniger erfolgreich als ich.
Leon Draisaitl: Also ich bin schon ganz klar der bessere Athlet. (beide lachen) Okay, im Tennis sind wir auf ähnlichem Niveau unterwegs, beim Padel ist Niklas mir um einiges voraus. Im Ernst: Ich habe bei mir alles ein paar Wochen lang runtergefahren, bin jetzt aber wieder voll dabei.
Tauscht sich der NHL-Star bei Rückschlägen mit dem Hockey-Weltmeister aus?
Niklas Wellen: Wir wissen beide, wie sich Niederlagen anfühlen. Wir wissen aber auch beide, wann und wie viel man darüber reden muss. Mir hat ein langes Warum, Wieso, Weshalb nie besonders geholfen. Wenn wir uns nach so einem unbefriedigenden Erlebnis das erste Mal wieder sehen, arbeite ich meine Liste mit drei Fragen ab – und danach ist das kein großes Thema mehr.
Leon Draisaitl: Wir sind beide keine Typen, die den Kaugummi stundenlang kauen müssen. Als Athleten verstehen wir, was der jeweils andere durchmacht, wenn es mal nicht so gut lief. Wobei: Ich würde gerne verstehen, wie es ist, Weltmeister zu werden. Wobei das für mich der Stanley Cup wäre.
Erlaubt es Ihr Trainingsplan, EM-Spiele von Niklas von Edmonton aus im Livestream zu schauen?
Leon Draisaitl: Ich wollte eigentlich noch mal nach Europa fliegen, es passt nun leider doch nicht. Ich werde mir die Spiele aber anschauen.
Ein Blick in die Zukunft, was könnte 2024 eher eintreten? Dass Niklas mit seiner Familie beim NHL-Finale ist, wenn Sie, Herr Draisaitl, sich den Traum vom Stanley Cup erfüllen? Oder dass Sie in Paris Niklas, mit der Goldmedaille um den Hals, zum Olympiasieg gratulieren?
Leon Draisaitl: Das wäre ein überragender Sommer für uns.
Niklas Wellen: Wir haben auf jeden Fall geplant, beides zu machen. (lachen beide)