Hamburg. Tennis-Olympiasieger Alexander Zverev siegt als erster Deutscher seit Michael Stich 1993 am Rothenbaum und widmet Erfolg seinen Eltern.

Tennisspieler sind laut Alexander Zverev im Grunde einfach gestrickte Leute. „Ihr denkt immer, wir machen uns über Gott weiß was Gedanken. Aber während der Matches ist meistens nur Leere im Kopf“, sagte er auf die Frage, warum er vor seinem Aufschlag den Ball zwölfmal auf die Grundlinie prelle.

Doch am Sonntagnachmittag, als der gebürtige Hamburger als erster Deutscher seit Michael Stich vor 30 Jahren bei seinem Heimturnier triumphiert und den Serben Laslo Djere (28) nach 110 Spielminuten mit 7:5 und 6:3 niedergerungen hatte, da ging ihm, während er mit dem Gesicht in den Händen vergraben auf dem Center-Court kniete, Erstaunliches durch den Kopf.

Rothenbaum: Ein Kreis schließt sich

„Ich habe gedacht, wie schön es ist, dass ich nichts anderes tun muss, als gelbe Filzbälle hin- und her zu schlagen. Aber im Ernst: Es war ein sehr emotionaler Moment für mich“, sagte der Weltranglisten-19., für den sich mit seinem 20. Turniersieg auf der ATP-Tour ein Kreis schloss. 2013 war er bei seinem Rothenbaum-Debüt als 16-Jähriger in Runde eins beim 3:6, 2:6 gegen den Spanier Roberto Bautista Agut chancenlos gewesen.

Zehn Jahre später konnte er in seinem ersten Hamburg-Finale vor 10.000 begeisterten Fans im ausverkauften Stadion einen Titel feiern, der in seinem persönlichen Ranking knapp hinter dem Olympiasieg von 2021 rangiert. „Dieses Turnier hat einen größeren Wert für unsere gesamte Familie als andere ATP-Turniere“, sagte er.

Stich unterstützte Zverev lange

Stich (54) war wegen einer Urlaubsreise für eine Stellungnahme zu seinem Nachfolger nicht zu erreichen. Das Verhältnis der beiden gilt als belastet, seit Zverev 2017 trotz einer von seinem damaligen Manager Patricio Apey gegebenen Startzusage nicht am Rothenbaum angetreten war.

Zuvor hatte der Wimbledonsieger von 1991 seinen Vereinskameraden vom Uhlenhorster HC lange protegiert und zu Beginn von dessen Profikarriere auch mit Wildcards für den Rothenbaum geholfen. Zverev, der im Turnierverlauf keinen Satz abgab, hatte für das Endspiel „die härteste Partie der Woche“ erwartet, und Djere lieferte ihm diese.

Der Weltranglisten-57., der sich im Halbfinale mit 6:3, 6:2 gegen den Chinesen Zhizhen Zhang (26/Nr. 79) behauptet hatte, unterfütterte die These, dass Serbien mehr als einen herausragenden Tennisspieler hat, mit einem fast fehlerlosen Auftritt.

Djere spielte fast fehlerlos

Er hatte schlicht Pech, dass sein Kontrahent in den entscheidenden Momenten – bei 6:5 im ersten und bei 2:1 im zweiten Satz – seine Breakchancen ebenso gnadenlos nutzte wie seinen ersten Matchball. „Ich bin traurig über das Ergebnis, aber dennoch zufrieden mit meiner Woche“, sagte er.

Zverev nutzte seine Ansprache auf dem Platz zunächst zu einem Dankesmarathon an sein gesamtes Team und das Publikum. „Ihr habt mich unglaublich unterstützt, jede Sekunde hat so viel Spaß gemacht. Die schweren Momente fallen so viel leichter mit dieser Unterstützung“, sagte er und widmete den Titel seinen Eltern, die ihn von klein auf trainieren „und diesen Sieg mehr verdienen als alle anderen.“

Zverev kritisiert den DTB

Anschließend setzte er ein deutliches Statement zur Zukunft des Turniers, das auf Wunsch des Deutschen Tennis-Bundes von 2024 an von der Agentur Tennium veranstaltet wird: „Was Sandra Reichel seit 2019 aus diesem Turnier gemacht hat, ist unglaublich. Es gibt keine Organisation, die dieses Turnier übernehmen darf“, sagte er. Wiederkommen will er im kommenden Jahr dennoch.

Abzusehen war diese Entwicklung nicht. Als in der vorvergangenen Woche die „Bild“ auf der Titelseite darüber berichtet hatte, dass die Berliner Staatsanwaltschaft nach von einer früheren Lebensgefährtin zur Anzeige gebrachten Vorwürfen häuslicher Gewalt einen Strafbefehl gegen Zverev beantragt hat, war gemutmaßt worden, ob er sich bei seinem Heimturnier dem Druck der Öffentlichkeit aussetzen würde.

Doch schon bei seiner Pressekonferenz am vergangenen Montag wischte Zverev, der mit seiner Familie im Elternhaus in Lemsahl wohnte, an diesem Montag hier noch einen Arzttermin hat und am Mittwoch nach Kanada fliegt, alle Zweifel daran vom Tisch. Er weise alle Vorwürfe zurück und freue sich, nach vier Jahren Pause an den Rothenbaum zurückkehren zu können, sagte er.

Rothenbaum: Publikum trägt Zverev

Und genau so trat er auch während der gesamten Woche auf. Getragen vom Publikum, das ihm vom Start weg wohlgesonnen war, gab sich der früher oft verschlossen und unnahbar wirkende 1,98-Meter-Mann in seinen On-Court-Interviews schlagfertig (was bitte nicht als Anspielung auf die juristischen Probleme verstanden werden möge) und sympathisch.

Dass nach seinem 6:2, 6:4-Halbfinalsieg über Arthur Fils (19/Nr. 71) der aufstrebende Franzose für seinen spektakulären und mutigen Spielstil lautstärker gefeiert wurde, nahm er locker. Der Eindruck, der hängen bleibt von dieser Woche, ist der eines Profis, der nach dem schweren körperlichen Rückschlag mit der im Juni 2022 im Halbfinale der French Open in Paris erlittenen Fußverletzung nun wieder vollkommen bei sich ist.

Zverev: Werde mich entwickeln

Das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzuerlangen, sei ein langwieriger Prozess gewesen, gab er zu bedenken. „Aber ich fühle, dass ich wieder auf dem Level ankomme, wo ich sein will.“ Die Frage, ob das ausreicht, um seine beiden letzten großen Ziele – Grand-Slam-Triumph und Nummer eins der Welt – zu erreichen, ist schwierig zu beantworten.

Zweifelsohne hat sich die nachrückende Generation um den spanischen Ranglistenprimus Carlos Alcaraz (20) in Position gebracht. Zverev wird, um dauerhaft in der Spitze mitzumischen, sein eigenes Spiel nicht nur anpassen, sondern weiterentwickeln müssen. Sich auf den Aufschlag und das dominante Grundlinienspiel zu verlassen, die ihm in Hamburg zum Triumph reichten, wird nicht genügen.

„Ich habe diese Woche besser gespielt als bei den French Open vor ein paar Wochen, wo ich im Halbfinale stand. Ich war aggressiver und bin besser ans Netz gegangen. Niemand muss sich sorgen, ich werde mich weiterentwickeln“, sagte er.

Krawietz/Pütz gewinnen ersten gemeinsamen Titel

Für den Auftakt eines perfekten Finalsonntags hatten mittags Kevin Krawietz (31/Coburg) und Tim Pütz (35/Frankfurt am Main) gesorgt. Das Daviscup-Doppel, das seit dieser Saison auch auf der ATP-Tour zusammenspielt, setzte sich nach 88 Minuten Spielzeit gegen das belgische Duo Sander Gille (32)/Joran Vliegen (30) mit 7:6 (7:4) und 6:3 durch.

Es war nach Finalteilnahmen in München und Stuttgart nicht nur der erste gemeinsame Titel für Krawietz/Pütz, sondern auch der erste deutsche Sieg im Herrendoppel seit 1974, als Jürgen Faßbender und Hans-Jürgen Pohmann triumphierten. „Hier zu gewinnen, ist etwas ganz Besonderes. Für mich fühlt es sich auch besser an als vor zwei Jahren, denn mit einem Teamkollegen an der Seite ist so ein Triumph noch mal etwas anderes“, sagte Tim Pütz.

2021 hatte er an der Seite des Neuseeländers Michael Venus am Rothenbaum den Titel geholt – gegen seinen heutigen Partner Krawietz und den Rumänen Horia Tecau. „Unser erster gemeinsamer Titel ist eine schöne Bestätigung dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Krawietz.