Hamburg. Mischa Zverev, Manager von Alexander Zverev, und Turnierbotschafterin Andrea Petkovic analysieren die Rothenbaum-Hauptfelder.

Das persönliche Treffen musste aufgeschoben werden. Weil er in seiner Wahlheimat Monte Carlo am Sonnabend noch auf einem Kindergeburtstag gefordert war, konnte Mischa Zverev (35) erst am Sonntagabend in seine alte Heimat Hamburg reisen. An diesem Montag wird der ehemalige Daviscupspieler, der seinen Bruder Alexander (26) als Manager zu den Hamburg European Open am Rothenbaum begleitet, dann Turnierbotschafterin Andrea Petkovic auch vor Ort treffen.

Zuvor nahm sich die Darmstädterin Zeit, um für das Abendblatt per Telefonschalte gemeinsam mit dem knapp drei Wochen älteren Mischa Zverev die Teilnehmerfelder der Damen- und Herrenturniere in zehn Kategorien zu analysieren – und dabei auch ein paar Insidertipps zu geben, die den Hamburger Tennisfans beim Besuch des Turniers die Blicke schärfen dürften.

Die härteste Vorhand: Spontan entscheiden sich zunächst beide für den topgesetzten Norweger Casper Ruud (24/aktuell Nr. 4 der Weltrangliste). Mit etwas Nachdenken gibt Petkovic aber dem Argentinier Tomas Martin Etcheverry (23/Nr. 34) den Vorzug, „weil ich mich daran erinnere, dass Alexander Zverev nach seinem Viertelfinalsieg in Paris gegen ihn sagte, dass er auf Sand die härteste Vorhand der Tour habe“.

Bei den Damen wählt Mischa Zverev die Estin Kaia Kanepi (38/Nr. 93), Petkovic legt sich auf die beiden Hamburger Toptalente Noma Noha Akugue (19/Nr. 207) und Ella Seidel (18/Nr. 309) fest.

Die schönste Rückhand: Bei den Herren sind sich beide sofort einig. „Mein Bruder hat die schönste Rückhand, er spielt sie effizient, konstant, schnell und ästhetisch“, sagt Mischa und erhält vehemente Zustimmung: „Wenn Sascha Zeit hat, dann dreht er sich bei der Rückhand so sehr ein, dass man fast seinen Rücken sieht. Dadurch kreiert er so viel Power und Winkel. Bei ihm gibt es technisch nichts auszusetzen“, sagt Petkovic.

Bei den Damen nimmt sie die Hamburgerin Eva Lys (21/Nr. 167), „weil sie sehr glatt spielt, genauso perfekte Winkel wie auch longline spielen kann. Das sehe ich gern.“ Zverev entscheidet sich für die Kasachin Julia Putin­tsewa (28/Nr. 58), „sie spielt extrem flach und baut immer wieder Stopps ein, das können mit der Rückhand nicht viele“.

Gefährlichster zweiter Aufschlag: Einigkeit bei den Damen – es ist Titelverteidigerin Bernarda Pera (28/Nr. 56) aus den USA. „Ihr zweiter ist genauso schnell wie ihr erster Aufschlag, sie ist vor allem sehr sicher, macht kaum Doppelfehler. Außerdem spielt sie als Linkshänderin Slice und Kick, das ist ungewöhnlich“, sagt Petkovic, die bei den Herren „wegen des sehr guten Kicks“ den Karlsruher Yannick Hanfmann (31/Nr. 45) wählt.

Zverev hält Titelverteidiger Lorenzo Musetti (21/Nr. 18) für am gefährlichsten, weil der Italiener „seinen zweiten Aufschlag mustergültig als Vorbereitungsschlag für den darauf folgenden Ballwechsel einsetzen kann“.

Fiesester Stopp: Da verdreht Andrea Petkovic die Augen: „Aus eigener Erfahrung sage ich: Putintsewa! Sie spielt ihn unglaublich. Obwohl man im Ansatz sieht, dass ein Stopp kommt, kann man ihn nicht erlaufen. Das habe ich oft leidvoll erfahren, unter anderem 2021 im Achtelfinale hier in Hamburg.“ Weil es bei den Damen nur wenige Spezialistinnen für diesen Schlag gibt, stimmt Zverev zu.

Einigkeit herrscht auch bei den Herren. Der Spanier Alejandro Davidovich Fokina (24/Nr. 39) hat die gemeinsten Stopps auf Lager. „Er kann sie mit Vor- und Rückhand einstreuen, und vor allem spielt er sie immer im richtigen Moment. Das ist Weltklasse“, sagt Zverev.

Trickreichstes Repertoire: Übereinstimmung wieder bei den Damen, die Wahl fällt auf die Kolumbianerin Camila Osorio (21/Nr. 67). „Sie ist eine unglaublich interessante Spielerin. Sie hat nicht viel Power, aber spielt dafür extrem schlau. Sie kann das Tempo anziehen und verlangsamen, streut Stopps ein und kann dich als Gegnerin total einlullen. Ihre Matches sollte man sich anschauen“, sagt Petkovic.

Zverev wählt bei den Herren erneut Davidovich Fokina, „weil er alles drauf hat, auch den Unterarmserve in unmöglichen Momenten“. Petkovic dagegen setzt auf Musetti: „Er hat ein so großes Arsenal, dass er sich manchmal selbst damit verwirrt, was er als Nächstes machen sollte.“

Bestes Gesamtpaket: Diesmal zögert Mischa keine Sekunde. „Mein Bruder. Er ist groß, schnell, bewegt sich gut, schlägt sehr stark auf, fühlt sich in kurzen und langen Rallyes wohl, hat auch sein Volleyspiel verbessert“, sagt er. Petkovic nickt, sieht Cas­per Ruud aber „auf demselben Level, beide haben unglaublich viele Optionen und ähnliche Waffen“.

Bei den Damen fällt Zverevs Wahl auf die topgesetzte Kroatin Donna Vekic (27/Nr. 22). „Sie galt mal als kommender Topstar, hatte dann Pech mit Verletzungen, kann aber auf allen Belägen gut spielen und hat in dieser Saison auch gelernt, aus der Defensive zu agieren.“ Petkovic wählt die Dortmunderin Jule Niemeier (23/Nr. 106), „weil sie genauso gut schnell wie flach spielt, super serviert und ein enormes Ballgefühl hat“.

Aufregendstes Talent: „Mit Abstand Noma Noha Akugue, sie hat unglaubliche Power und kann die Bälle krass beschleunigen“, sagt Andrea Petkovic. Mischa Zverev entscheidet sich für Eva Lys, „weil sie nach ihrem Durchbruch im vergangenen Jahr jetzt lernt, mit den Erwartungen umzugehen“.

Bei den Herren überrascht seine Auswahl: „Mein Bruder, auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist. Aber ich sehe im Training mit ihm, wie viel Potenzial noch in ihm steckt, das er noch nicht abgerufen hat. Er hat seine Vielfältigkeit noch nicht gezeigt.“ Petkovic ist Fan des Chinesen Zhizhen Zhang (26/Nr. 79), auch nicht mehr ganz jung, „aber er spielt super spektakulär und hat eine tolle Ausstrahlung. Zudem ist China ein riesiger Markt. Wenn er einen großen Titel holt, würde das die tektonischen Platten des Tennis verschieben“, sagt sie.

Anziehendster Charme: Donna Vekic, keine Frage, auch wenn Zverev sagt, dass er sich mit Jule Niemeier auch sehr gut verstehe. „Aber Donna hat immer ein Lachen im Gesicht, ist sehr lustig und offen und hat einfach eine positive Ausstrahlung“, sagt Petkovic. Bei den Herren ist sie dem italienischen Charme des Lorenzo Musetti erlegen, „da hält niemand mit“. Mischa Zverev erhebt nur leise Einspruch. „Cas­per Ruud gilt allseits als der freundlichste Spieler auf der Tour.“

Interessantester Social-Media-Auftritt: Hier gewinnt Ruud in Zverevs Augen, „weil er einen eigenen Golf-Account hat“. Andrea Petkovic mag, was der Russe Andrej Rubljow (25/Nr. 7) im Internet teilt. „Auf seinen Tennisfotos sieht er immer so aus, als würde er gleich heulen. Und dann haut er auf einmal Bilder von sich mit Superstars wie Elton John raus. Total witzig!“

Einigkeit bei den Damen: „Donna Vekic hat einen sehr professionellen Auftritt, sie ist zudem sehr fotogen, da kommt ihre Persönlichkeit sehr natürlich zur Geltung“, sagt Petkovic.

Die Favoriten: Bei den Herren sind sich beide einig, dass Alexander Zverev 30 Jahre nach dem Triumph von Michael Stich die Rothenbaum-Trophäe endlich wieder nach Deutschland holt. Bei den Damen traut Mischa Zverev Bernarda Pera die erfolgreiche Titelverteidigung zu, während Andrea Petkovic zwar zunächst überlegt, sich „ein bisschen aus dem Fenster zu lehnen“, dann aber auf Donna Vekic setzt. Bleibt nur noch, allen Tennisfans viel Vergnügen beim Überprüfen der Expertentipps zu wünschen…