Hamburg. Noma Noha Akugue steht bei ihrem Tennis-Heimturnier im Finale. Auf dem Weg dorthin hat sie einige Tiefen gemeistert.

Ein wenig Hilfe benötigte Noma Noha Akugue, um den größten Erfolg ihrer Karriere angemessen zu bejubeln. Barbara Schett, ehemalige Weltklassespielerin und als Expertin für ServusTV auf dem Center-Court am Rothenbaum für die Siegerinneninterviews zuständig, packte die 19 Jahre alte Bundesligaspielerin vom Club an der Alster am Arm und reckte diesen in die Höhe, während rund 7000 Fans ausgelassen eine der größten Überraschungen feierten, die das traditionsreichste deutsche Tennisturnier in diesem Jahrtausend erlebt hat.

Mit 6:3 und 6:3 entschied die Weltranglisten-207. nach 78 Spielminuten ihr Halbfinalmatch am Freitagnachmittag gegen die gleichaltrige Russin Diana Schnaider, im Ranking 106 Positionen über ihr geführt, für sich und steht damit zum ersten Mal in ihrer Karriere im Finale eines WTA-Turniers der 250er-Serie (250 Weltranglistenpunkte für die Siegerin). „Dass das in Hamburg passiert, ist einfach nur ein Traum. Ich bin so stolz auf mich und kann wirklich nicht glauben, was da gerade mit mir passiert“, sagte sie.

Petkovic letzte deutsche Finalistin am Rothenbaum

Die letzte Deutsche, die an der Hallerstraße ein Endspiel bestritt, war vor zwei Jahren die aktuelle Turnierbotschafterin Andrea Petkovic (35/Darmstadt), die schon vor dem Turnier Akugue als „das deutsche Talent mit dem größten Potenzial“ bezeichnet hatte. Letzte deutsche Siegerin war vor 31 Jahren Steffi Graf.

Auch Akugues Gegnerin im Finale am Sonnabend (13.30 Uhr), Arantxa Rus, hat bislang noch keinen Titel auf der WTA-Tour gewinnen können. Die 32 Jahre alte Niederländerin, in der Weltrangliste an Position 60 geführt, erlebt im Herbst ihrer Karriere ihr erfolgreichstes Jahr.

„Ich bin sehr glücklich, dass sich die harte Arbeit der vergangenen Monate und Jahre endlich auszahlt. Mein Gefühl ist, dass in diesem Jahr endlich alles zusammenpasst“, sagte die in Spanien lebende Athletin, deren Vorname nicht in Verbindung mit der spanischen Tennislegende Arantxa Sanchez Vicario steht. „Meine Eltern mochten den Namen einfach“, sagte sie.

Rus hat Eva Lys besiegt

Rus hatte auf ihrem Weg in ihr erstes Finale auf 250er-Level im Viertelfinale Lokalmatadorin Eva Lys (21/Nr. 167) ausgeschaltet. Dass sie im Fall eines Siegs über Akugue Einreiseverbot in Hamburg erhalten könnte, befürchtet sie nicht. „Ich finde es schön zu sehen, dass in Deutschland solche jungen Spielerinnen nachkommen. Ich spiele gern gegen sie, weil ich ihr offensives Spiel sehr mag“, sagte sie.

„Die Erfahrungen, die Noma in dieser Woche gesammelt hat, werden sie ein großes Stück weiterbringen“, glaubt eine, die seit Jahren in der Förderung der Glinderin eine wichtige Rolle spielt: Bundestrainerin Barbara Rittner.

Welches Potenzial die Tochter nigerianischer Eltern besitzt, ist im Deutschen Tennis Bund (DTB) allen schon länger klar. Den Glauben daran allerdings auch der von Selbstzweifeln begleiteten Sportlerin selbst zu vermitteln, das ist nicht immer ein leichtes Unterfangen. „Bei Noma ist es so, dass man ständig wiederholen muss, was wichtig ist, damit sie es verinnerlicht“, sagt Barbara Rittner.

Akugue tanzt leidenschaftlich

Die kraftvollen Grundschläge, mit der sie ihre Gegnerinnen unter Druck zu setzen versteht, hatten die deutsche Hallenmeisterin von 2020 schon früh ausgezeichnet. Dazu kommt ein ausgeprägtes Bewegungstalent, das nicht nur durch ihre Leidenschaft fürs Tanzen befeuert wird.

Auch ihr Vater Roland Obazelu, der als ehemaliger Leichtgewichts-Boxprofi in ihrer Kindheit sehr viel Wert auf Beweglichkeits- und Koordinationsschulung legte, hat einen gewissen Anteil daran, dass die 1,70 Meter große Athletin den Platz leichtfüßig abzudecken versteht.

Einen großen Sprung hat die gebürtige Reinbekerin im vergangenen Jahr vor allem im physischen Bereich gemacht. Ihre langwierigen Schulterprobleme, die sie immer wieder zurückgeworfen hatten, hat sie dank der Arbeit mit dem österreichischen Athletikcoach Klaus Luisser (46) in den Griff bekommen.

Aktuell kein fester Trainer

Auch das Training mit dem deutsch-iranischen Spitzencoach Benjamin Ebrahimzadeh (43), sagt Barbara Rittner, habe die Linkshänderin auf ein neues Niveau gehoben. „Leider steht Benny nun nicht mehr zur Verfügung, weil er sich zu 100 Prozent auf den Österreicher Dominic Thiem konzentriert. Wir sind deshalb gerade dabei zu eruieren, welche Lösung für Noma die beste ist.“

Eine nicht ganz einfache Aufgabe ist das, da Akugue ein Mensch ist, der Zeit braucht, um anderen zu vertrauen. Noch immer gleicht ihre Entwicklung einer Achterbahnfahrt; Phasen, in denen sie ihre deutschen Trainingskolleginnen vorführt und den Eindruck vermittelt, auf direktem Weg in die Weltspitze vorstoßen zu können, wechseln sich regelmäßig ab mit solchen, in denen sie kaum einen Ball ins Feld spielt und sich dann tagelang ins Private zurückzieht.

Aufschlag muss besser werden

Um diese extremen Ausschläge besser in den Griff zu bekommen, arbeitet sie seit einigen Monaten mit einem professionellen Sportpsychologen. „Ich merke, dass mich das wirklich weiterbringt“, hatte sie schon nach ihrem Achtelfinalerfolg über die Australierin Storm Hunter (28/Nr. 154) gesagt, bei dem sie sich von einem 0:6 im ersten Satz erholt und zum Sieg gekämpft hatte.

Bei allem Lob, das in dieser Woche über Noma Noha Akugue verbreitet wurde, sieht die Chefbundestrainerin diverse Felder, auf denen eine Weiterentwicklung notwendig ist. „Sie kann definitiv ihren Aufschlag verbessern, da ist einiges rauszuholen.“

Außerdem müsse sie „lernen, ihr offensives Spiel nicht nur von der Grundlinie aufzuziehen, sondern sich auch zuzutrauen, ans Netz zu gehen, um noch dominanter aufzutreten“, sagt Barbara Rittner, die in der kommenden Woche mit Akugue zum ITF-Sandplatzturnier nach Hechingen (Baden-Württemberg) reist. Von der großen Bühne zurück in die Niederungen – auch das gehört zum Tennisgeschäft dazu. Und nur, wer daran wächst, wird es nach ganz oben schaffen.