Kritik an Fortsetzung des Wettkampfs nach dem Unfalltod eines Motorradfahrers (70). Topstar Frodeno hatte eine böse Vorahnung.
- Der Ironman Hamburg 2023 ist von einem tödlichen Unfall überschattet worden
- Am Spadenländer Hauptdeich kollidierte ein Motorrad mit dem Rad eines Triathleten
- Der Motorradfahrer (70) starb, sein Mitfahrer – ein Kameramann – und der Radfahrer wurden verletzt
- Der Veranstalter ließ den Triathlon sowie die Live-Übertragung auf YouTube weiterlaufen
- Für diese Entscheidung hagelte es Kritik – auch von den Athleten selbst
- Abbruch-Debatte: Präsident des Deutschen Triathlon Union stellt eine Sache klar
Hamburg. Es war 13.26 Uhr am Sonntag, als die Partybässe im Zielbereich kurz heruntergeregelt wurden. Auf dem Rathausmarkt hatten sich mehrere Tausend Triathlon-Fans versammelt, es lief die ganz normale Gute-Laune-Show bei der Ironman-EM in Hamburg.
Die meisten Zuschauer wussten nicht, dass es bereits um 8.40 Uhr, etwa zweieinhalb Stunden nach Rennbeginn, auf der Fahrradstrecke am Spadenländer Hauptdeich zu einem tödlichen Unfall gekommen war: Ein Begleitmotorrad mit einem Fotografen kollidierte bei hohem Tempo frontal mit einem entgegenkommenden Radfahrer.
Ironman Hamburg: Veranstalter äußert sich erst Stunden nach Todesfall
„Wir müssen bedauerlicherweise mitteilen, dass der Motorradfahrer verstorben ist. Der Mitfahrer und der Athlet sind weiter in Behandlung im Krankenhaus“, war nun, fast fünf Stunden nach dem Unfall, aus der Lautsprecheranlage auf dem Rathausmarkt zu hören. Es folgte eine Schweigeminute, dann lief Klaviermusik, während im Hintergrund auf einem anderen Streckenbereich noch Fans jubelten.
Die lokalen Veranstalter hatten die Durchsage nicht aus eigener Initiative gestartet. Sie warteten auf Anweisungen des Mutterkonzerns aus Florida in den USA. Vielmehr mussten Sportstaatsrat Christoph Holstein und Sportamtsdirektor Dr. Jonas Leder Ironman-Germany-Geschäftsführer Oliver Schiek diesen Schritt empfehlen. Sieben Minuten danach, um 13.33 Uhr, ging das normale Partyprogramm aber weiter. Das Publikum solle die Athleten doch bitte würdigen, tönte es auf Englisch durch die Lautsprecher, dann wurden die Bässe wieder aufgedreht. Nur auf das obligatorische Abklatschen der Profis mit den Fans wurde im Ziel diesmal verzichtet.
Tödlicher Unfall beim Ironman: Jan Frodeno emotional getroffen
Inmitten dieser unwirklichen Atmosphäre stand Jan Frodeno und rang nach Worten. „Es war so chaotisch, so krass“, sagte der deutsche Ironman-Star. „Ich war direkt daneben, habe das Fahrrad in gefühlt 1000 Teile zerspringen sehen. Dann habe ich mich umgedreht und den Motorradfahrer am Boden liegen gesehen und gedacht, das kann nicht gut sein. Zwischendurch hörte ich, dass die Verletzten wiederbelebt wurden.“
Im offiziellen Ironman-Livestream war kurz vor dem Unfall ein Profi-Athlet zu sehen, der nach der ersten Wendemarke auf der rechten Straßenseite zurück in Richtung Innenstadt fuhr. Links neben ihn begleitete ihn eine Kolonne von mindestens zehn Motorrädern, auf denen Kampfrichter, Kameraleute und Fotografen saßen.
Motorrad überholte die Kolonne auf der falschen Seite
Plötzlich setzte ein weiteres Motorrad links an der Kolonne vorbei zum Überholen an – in dem Streckenbereich, der für die entgegenkommenden Fahrer der Radschleife vorgesehen war. Wenige Sekunden später kam es zum Zusammenstoß, ein entgegenkommender Radfahrer kollidierte frontal mit dem Motorrad. Der Athlet wurde quer über die Straße geschleudert, das Rennrad zersprang.
Der per Hubschrauber eingeflogene Notarzt konnte nur noch den Tod des 70 Jahre alten Motorradfahrers feststellen. Auch der Triathlet, ein 26 Jahre alter Engländer, zog sich schwere (Gesichts-)Verletzungen zu, wurde mit einem Krankenwagen in die Asklepios-Klinik St. Georg transportiert, wo er sofort operiert wurde. Lebensgefahr habe allerdings nicht bestanden.
Ironman: Kriseninterventionsteam betreut Augenzeugen
Der 50 Jahre alte Fotograf des Veranstalters erlitt leichte Verletzungen und einen Schock, er wurde am Nachmittag wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Da er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung fotografierte und einen sogenannten Integralhelm trug, blieben ihm schwere Verletzungen erspart. Vor Ort waren rund 20 Rettungskräfte im Einsatz, die die Straße umgehend für mehr als zwei Stunden sperrten.
Die Sportler schoben ihre Räder auf dem Deich vorbei am Unfallort. Das Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes übernahm die psychologische Betreuung von Augenzeugen und Ersthelfern.
Während die ARD ihre Übertragung aus Pietätsgründen abbrach, lief der Stream des Veranstalters weiter. Die englischsprachigen Kommentatoren widmeten sich dort ausschließlich der Profi-Spitze, sprachen von einem „beautiful day“ in Hamburg, machten Witze. Einen Abbruch gab es nicht. Der Veranstalter sah das Rennen mit EM-Wertung und 2800 Altersklassen-Startern offenbar als zu wichtig an.
Tödlicher Unfall beim Ironman: Hamburgs Sportstaatsrat bestürzt
Sportstaatsrat Holstein (SPD), der den Ironman morgens gestartet und sich auf „ein typisches Hamburger Sommersportfest gefreut“ hatte, reagierte bestürzt auf die Tragödie und drückte den Angehörigen des Toten und der beiden Verletzten wie Frodeno sein „tiefstes Mitgefühl aus“. Die Entscheidung über einen Abbruch des Ironmans liege beim Veranstalter, sagte Holstein. Die Polizei könne das nur tun, „wenn eine konkrete, akute Gefährdung der Sicherheit anderer Menschen bestanden hätte“. Das sei nicht der Fall gewesen.
Die Ermittlungen der Polizei über den Unfallhergang dauerten am Sonntagabend an. „Wir werden uns auch in Hinblick auf die anstehende Triathlon-Weltmeisterschaft im Juli noch einmal intensiv mit dem Thema Sicherheit befassen, was wir aber ohnehin vor jeder Großveranstaltung mit allen dafür verantwortlichen Stellen in Hamburg tun“, sagte Holstein.
Zu klären sei jetzt, ob ein grundsätzlicher Fehler im Sicherheitskonzept vorlag, „welche Konsequenzen wir ziehen müssen“, oder es sich um menschliches Versagen oder eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt habe.
Kritik an Ironman-Veranstalter: Zu viele Begleitmotorräder?
Wie dem Abendblatt von mehreren Begleitmotorrad-Fahrern unabhängig berichtet wurde, waren deutlich zu viele Begleitfahrzeuge auf der engen Radstrecke. „Die Motorräder waren viel zu nah dran. Es war eine Farce. Mit dem Gegenverkehr war es so unfassbar eng. Da dürfen keine Motorräder sein“, kritisierte auch Frodeno. „Ich habe dem Kampfrichter 15 Kilometer vor dem Unfall noch gesagt, dass das nicht gut endet.“
Auch der frühere Ironman-Weltmeister Sebastian Kienle, der als Experte für den NDR im Einsatz war, sagte dem Abendblatt: „Es waren viel zu viele Motorräder auf der Strecke. Das dürfte jedem schon auf den ersten 15 Radkilometern klar gewesen sein.“ Obwohl der Motorradfahrer nicht hätte überholen dürfen, sei das tödliche Manöver auch durch die enge Strecke provoziert worden. Man müsse nun „Konsequenzen“ aus dem Unglück ziehen.
Triathlon-Präsident: „Das kann bei jedem Wettkampf passieren“
Der Veranstalter Ironman Germany selbst reagierte erst rund fünf Stunden nach dem Unglück mit einem Statement, drückte sein Mitgefühl aus. Geschäftsführer Schiek wollte sich am Sonntag nicht äußern, war emotional sichtlich betroffen. Stattdessen handelte die PR-Abteilung des Veranstalters, schaltete die Kommentarfunktion unter dem kurzen Statement sowie beim Livestream ab. Die Party sollte offenbar nicht von kritischen Kommentaren gestört werden.
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Am Montag meldete sich dann der Präsident der Deutschen Triathlon Union zu Wort – und nahm die Veranstalter in Schutz. „Das kann bei jedem Wettkampf passieren. Das kann auch bei uns passieren. Es gibt andere Wettkämpfe, wo es auch Todesfälle gegeben hat, beim Triathlon“, sagte Martin Engelhardt im Deutschlandfunk.
Warum der Ironman nicht abgebrochen werden sollte
Dass das Rennen am Sonntag nicht abgebrochen wurde, habe mit der „Gesamtverantwortung“ der Veranstalter, „auch was die Sicherheitslage des Gesamtwettkampfes anbelangt“, zu tun gehabt.
„Sie waren natürlich auch über den Unfall und natürlich den Tod geschockt, haben aber in alle Richtungen überlegt, was jetzt die richtige Handlungsweise ist. Auf der Strecke waren über 2000 Leute. Wenn sie jetzt das ganze Rennen gestoppt hätten, wäre das relativ unkalkulierbar geworden, laut Aussagen von den hauptverantwortlichen Organisatoren“, sagte Engelhardt: „Deswegen hat man sich bei aller Entsetztheit, auch bei den betroffenen Leuten, dafür entschieden, eben das Rennen fortzuführen – bei allem Respekt vor dem tragischen Unfall, der da passiert ist.“
Triathlon-Präsident: Entscheidung über Ironman-Abbruch in Hamburg getroffen
Engelhardt sagte, dass die Entscheidung gegen einen Rennabbruch das Team in Hamburg getroffen habe und nicht, wie am Renntag kommuniziert, die in Tampa (Florida) ansässige Organisation World Triathlon Corporation. Er nannte die Organisatoren erfahren, sie hätten sich die Entscheidung sicherlich nicht leicht gemacht.
Ob das Rennen, das auch als WM-Qualifikation gewertet wird, sportlich regulär gewesen sei, darüber könne man streiten, so Engelhardt. Die Athleten hätten aber wenig Anspruch, weil es sich um eine von einer Firma organisierte Meisterschaft handle, erklärte er.
Die EM war eine Veranstaltung der Ironman-Serie. „Diese Europameisterschaften sind letztendlich nicht sanktioniert von einem Verband, sondern sie werden von einer kommerziellen Gesellschaft durchgeführt. Der sportliche Wert ist trotzdem gegeben, weil dort Spitzensport gemacht wird, wie auch in anderen Sportarten, die professionell organisiert sind.“